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Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor von Steffen Schroeder - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor 


von Steffen Schroeder


Die Welt ist ein Paradox. Und alles ist möglich.


Oktober 1944. Mit sechsundachtzig Jahren steht Max Planck, Begründer der Quantenphysik, vor der schwersten Aufgabe seines Lebens. Der Nobelpreisträger wird von der Reichskulturkammer aufgefordert, ein «Bekenntnis zum Führer» verfassen. Er kann eine solche Offenbarung nicht abgeben, denn diese Regierung ist ihm zuwider. Andererseits ist sein Sohn Erwin inhaftiert, der am Hitler-Attentat vom 20. Juli beteiligt war. Er sitzt im Todestrakt von Tegel. Kann er den Sohn vor dem Tod retten? Er hadert mit sich, dies Bekenntnis abzugeben. Planck denkt zurück an frohe Tage und die dunkle Zeitenwende. Gefährten hatten ihn gewarnt, waren frühzeitig ins Exil geflüchtet. Vor allem vermisst er Albert Einstein. Der forscht jetzt in Amerika und widmet sich vielem – besonders den Frauen. 


Aber auch Nelly ist eine starke Persönlichkeit


Man weiß nicht: Wenn ich sage, das mache ich nicht, hat das vielleicht den Effekt, dass mein Sohn überhaupt keine Chance hat und zum Tode verurteilt wird. Und im Gegenzug: Wenn ich ein Bekenntnis schreibe, wie großartig unser deutscher Führer ist – hätte das den Effekt, dass man Gnade walten lässt und meinen Sohn rettet? Und wie verhalte ich mich in diesem Moment?


Einsteins Sohn Eduard ist in der Zürcher Heilanstalt Burghölzli untergebracht, ringt mit seinen Dämonen und dem fernen Vater, der ihn längst aufgegeben hat. Zwei berühme Physiker und ihre Söhne sind Thema dieses Romans. Max Planck schreibt mit der Schwiegertochter Nelly, die als Ärztin eng mit dem Chirurgen Ferdinand Sauerbruch arbeitet, Gnadengesuche für Erwin, der in seiner Gefängniszelle sein Leben resümiert. Erwin Planck hatte nichts mit Physik am Hut, ihm gelang in der Weimarer Republik eine Politikkarriere. In seiner Zelle denkt er zurück an seine Zeit in der Politik, wie zu seinem Entsetzen sich immer mehr Freunde den Nationalsozialisten zuwendeten, die er selbst anfänglich für ungefährlich hielt; seine Mitschuld, dass sie sich etablieren konnten. Erwin Planck, ehemals Staatssekretär unter von Papen, hatte am Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler um seine Entlassung gebeten. Seine Dienstwohnung musste er für Hitler räumen. Die zuversichtlichen Briefe an seine Frau Nelly unterzeichnet er liebevoll mit «Dein Mops», obwohl er ahnt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Im Januar 1945 wurde Erwin Planck von den Nazis in Berlin-Plötzensee erhängt. Aber auch Nelly ist eine starke Persönlichkeit, hält mit Sauerbruch während der Bombardierung die Chirurgie am Laufen. Besonders hat mich eine Szene beeindruckt: Als die sowjetischen Besatzer einfallen, vergewaltigen sie Frauen im Krankenhaus. Schnell schreibt Nelly in kyrillischer Schrift Typhus, Tuberkulose, Diphtherie usw. auf Zettel, klebt sie auf die Zimmertüren, malt Totenköpfe dazu. 


Ein Charmeur, der alle Frauen anbaggerte


Gemeinsam mit Fräulein Dukas betreibt Einstein seit Jahren erfolgreich eine Art ‹Einwanderungsbüro›, wie er zu sagen pflegt. Ohne Unterlass schreibt er Empfehlungsbriefe und entwirft Gutachten, die Fräulein Dukas anschließend abtippt, um jüdischen Wissenschaftlern und Künstlern bei der Flucht aus Deutschland zu helfen und ihre Einwanderung in die USA zu ermöglichen. Da die amerikanische Einwanderungsbehörde auch eine Arbeitsplatzzusage oder zumindest eine Finanzierungsgarantie verlangt, liefert er die gleich mit. Er stellt Hunderte von finanziellen Bürgschaften aus, auch an Menschen, die er überhaupt nicht kennt.


Einstein amüsiert sich mit seiner russischen Geliebten, der Spionin Margarita Konenkowa, ahnt nichts von ihrem Doppelspiel. Sein Sohn Eduard, der als hochbegabter Musiker galt, hasst den Vater, der ihn nie anerkennen wollte. In die Psychiatrie wurde er eingewiesen, weil er Stimmen hörte, dort wurde mit Elektroschock-Therapie seine Schizophrenie «behandelt». Ein empathisch geschriebener Roman, der Geschichte und Fiktion glaubhaft verwebt. Die Einstein-Geschichte hat mich nicht besonders berührt, sie zeigt allerdings einen ganz anderen Einstein, als man ihn sich vorher vorstellte: Ein Charmeur, der alle Frauen anbaggerte, die sich bei drei nicht auf die Bäume retten konnten, der von seiner Frau verlangte, dass sie diese vielen Liebschaften akzeptierte. Ansonsten erfährt man nicht viel über den Physiker. Zu der beschriebenen Zeit gibt es auch keinen Kontakt mehr zwischen Planck und Einstein. 


Insgesamt ein lesenswerter Roman, der eine Menge historisch bekannter Menschen noch einmal vor Augen führt. Steffen Schroeder ist weitläufig mit der Familie Panck verwandt, hat dadurch Einblick in alte Papiere erhalten und genau recherchiert. Aber dies ist nicht eine Biografie, sondern ein literarischer Einblick in die dunkle Zeit des Nationalsozialismus. Anhand der geschichtlichen Eckdaten versetzt er sich in seine Figuren hinein und genau hier beginnt die Fiktion. 


Steffen Schroeder, geboren 1974 in München, ist Schauspieler und Schriftsteller. Er war
Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, bevor er Claus Peymann ans Berliner Ensemble folgte. Er spielte in zahlreichen Fernsehserien und Kinofilmen, wie etwa «SOKO Leipzig» oder «Der rote Baron». Schroeder engagiert sich für den Weißen Ring und gegen Rechtsextremismus, seit 2017 ist er Botschafter der Organisation Exit-Deutschland. Sein Buch «Was alles in einem Menschen sein kann. Begegnung mit einem Mörder» (2017) löste großes Echo aus. 2020 erschien sein Debütroman «Mein Sommer mit Anja». Steffen Schroeder lebt mit seiner Familie in Potsdam.



Steffen Schroeder
Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor
Historischer Roman, Albert Einstein, Margarita Konenkowa, Eduard Einstein, Max Planck, Nelly Planck, Ferdinand Sauerbruch, Nationalsozialismus
Hardcover, 320 Seiten
Rowohlt, Berlin Verlag, 2022




Historische Romane und Sachbücher

Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter.  Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz.  Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.
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