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Krankenbesuche von Vicente Valero - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Krankenbesuche 


von Vicente Valero


Franco lebte damals noch, er jagte und angelte, nahm Militärparaden ab und hatte den Vorsitz bei Ministerräten inne, unterschrieb Todesurteile, lächelte viel, spielte mit seinen Enkeln, ging in die Kirche, kurz: führte ein normales Diktatorenleben, war jedoch schon alt und außerdem, wie bei den Plauderrunden immer wieder gesagt wurde, sehr krank.


Vicente Valero erzählt kleine Geschichten aus dem Ibiza seiner Kindheit. Damals unter der Diktatur von Franco, noch ein abgelegenes Stück Land im Meer, wohin später die ersten Künstler kommen, Ausländer, erste Touristen und sich alles verändert. Als Aufhänger nimmt er die Besuche bei kranken Menschen, die damit verbundenen Rituale, die Bräuche. Denn die Kranken bleiben, wie sie sind, ob sterbenskrank oder erkältet. Abwesend, aber nicht einsam. Im Original heißt der Titel: «Enfermos antiguos» – ältere Patienten. Für mich ein passender Titel für diese Novelle, wobei Krankenbesuch auch passt. Krank sind meist die Alten. Und es gehörte sich, dass man die Kranken mit der gesamten Familie besucht. Das alles ist sehr humorvoll geschrieben. 


Inselgeschichten


Wie das Herz meiner Großmutter war auch das Doña Antonias groß, aber sehr empfindlich, vielleicht, weil es so viele abgebrochene Geschichten und bittere Enttäuschungen in sich barg.


Die Szenen spielen in der Heimat Vicente Valeros,  Ibiza in den Jahren vor Francos Tod und darüber hinaus. Eine längere Erzählung handelt von Franzosen, die plötzlich auftauchten – nach 30 Jahren zurückgekehrt aus dem Exil. Ein älteres Ehepaar mit Tochter und Enkel. «Soweit ich es mit meinen zehn Jahren begriff, war ein Exilant jemand, der sich sehr schlecht mit Franco verstand ...». Der Alte sitzt gelähmt im Rollstuhl, will in der Heimat sterben. Abersogleich gibt es misstrauische Insulaner, die sich fragen, was der vorhat? Na, was will er schon vorhaben, fragt der Großvaters der Erzählers, wenn er weder laufen, noch sprechen kann. Die Abkehr von der Diktatur wird hier angesprochen, die Versöhnung zwischen Franquisten und Sozialisten (oder auch nicht) und die Öffnung der Insel für Fremde. Denn diese Exilanten sind letztendlich Fremde, zumindest die jüngeren Generationen. Der Erzähler freundet sich mit dem Jungen an – eine Geschichte, die mit einer Erkrankung und der Rückkehr enden wird. Erinnerungen an arrogante Ärzte, die man eigentlich als Kurpfuscher bezeichnen sollte, die sich gegenseitig schlecht machen, Randgeschichten, die das Inselleben, die Rückständigkeit und die Veränderung beschreiben, längere Rückblicke, die mit Personen verbunden sind. Ein neuer junger Lehrer mit langen Haaren, verhuscht – dem die Alten alle Ehre zollen – das hat seinen Grund. 


Die Zeit des langsamen Aufbruchs


... niemand mehr etwas werden wollte. Die Bauernkinder keine Bauern mehr, die Fischerkinder keine Fischer, ja nicht einmal mehr die Anwaltskinder Anwälte. ... Los war, dass alle jungen Leute bloß noch kellnern wollten – in einer der modernen Bars, die nur noch wenig, oft auch gar nichts mit den benachbarten Lokalitäten zu tun hatten – oder an einer Hotelrezeption arbeiten oder in einem Strandimbiss kochen.


Geschrieben aus der Perspektive eines Kindes, das natürlich immer älter wird im Rückblick, zum gereiften Mann heranwächst. In manchem naiven Unverständnis der kindlichen Sicht liegt die versteckte Wucht der Aussage. Ibiza galt unter Franco als «verlorene Insel». Verloren, weil die Wirtschaft stagnierte und Ibiza in einer Krise steckte. Streng katholisch, die Ibizenkerinnen trugen zugeknöpfte Tracht, war Ibiza wirtschaftlich und technisch eine extrem rückständige Insel. In den 70-ern vollzog sich der totale Wandel zur Partyinsel, Hippieinsel. Diese Novelle geht zurück in die Zeit des langsamen Aufbruchs, sehr humorvoll, Erinnerungen an eine Zeit, die es schon lange nicht mehr gibt. Empfehlung!

 

Vicente Valero, geboren 1963 auf Ibiza, wo er auch heute lebt. Er hat zahlreiche Gedichtbände veröffentlicht, dazu Essays und erzählende Prosa. Bei Berenberg erschienen, jeweils übersetzt von Peter Kultzen, »Die Fremden« (2017), »Übergänge« (2019), »Schachnovellen« (2021) und zuletzt »Krankenbesuche« (2022).



Vicente Valero
Krankenbesuche
Originaltitel: Enfermos antiguos, 2020
Aus dem Spanischen übersetzt von Peter Kultzen 
Zeitgenössische Literatur, Novelle, spanische Literatur, Ibiza
Hardcover, 112 Seiten, Kleinformat: 13 x 19.5 cm
Berenberg Verlag, 2022



Übergänge von Vicente Valero

Eine Novelle; Übergänge vom Kind zum Erwachsenen, vom Faschismus unter Franco in die Demokratie, Ibiza wächst von der beschaulichen Ausflugsinsel zum Ort des Massentourismus. Retrospektiven, die Zeit des Übergangs. Beerdigungen rufen Erinnerungen wach, drei alte Freunde, die sich 20 Jahre nicht mehr gesehen haben, beerdigen den Vierten im Bunde, sitzen zusammen …

Weiter zur Rezension:    Übergänge von Vicente Valero



Spanische Literatur

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Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
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