Rezension
von Sabine Ibing
Keinzigartiges Lexikon
von Giuliano Musio
Zeichnungen von Manuel Kämpfer
Das Gute an Wörterbüchern ist, dass man sie nicht lesen muss. Bücher lesen müssen muss man ohnehin nicht, aber der Bücherliebhaber, der ich bin, will, was er kauft, gewöhnlich auch lesen. Bücher zu kaufen, ist für sich genommen schon ein Heidenspaß. Dank Wörterbüchern kauft der Bücherliebhaber, der ich bin, mehr Bücher, als er lesen kann, aber mit gutem Gewissen, da er so nicht alles, was er kauft, auch lesen muss. Einer meiner Lieblinge ist das Duden-Bildwörterbuch. Ihm eignet die Besonderheit, dass man es nicht nur nicht lesen muss – im Vergleich zu anderen Wörterbüchern hätte man dazu auch noch weniger Anlass: Nur die Hälfte des Umfangs besteht aus Text, und man wird kaum je etwas darin nachschlagen wollen. Das Duden-Bildwörterbuch ist, gemessen an seinem Umfang, eines der überflüssigsten Bücher, die es gibt.
Der schreibende Mensch umgibt sich gern mit Wörterbüchern und Lexika, wortgewaltig, worterfinderisch. Die Sprache basiert auf Gleichgewicht, es gibt Wichtiges und Unwichtiges, Schönes und Unschönes. Immer im Gleichgewicht mit dem Wort das Unwort zu finden, das Antonym, das Yin und Yang der Sprache. Wer früher ein Jungspund war, den mag man heute im Seniorenheim finden, den Altspund. Klitzeklein, so erfordert die Logik, muss das Gegenteil von klitezgroß sein – oder? Eine Senkamme lässt wohl öfter mal Kinder fallen, so vermutet Musio.
Rein äußerlich unterscheidet sich das Geheuer kaum vom Ungeheuer. Geheuer – auch Getüme genannt – legen jedoch wenig Wert darauf, herumzubrüllen, Häuser niederzutrampeln oder Menschen den Kopf abzureißen. Zwar können sie Feuer speien, doch halten sie sich damit dezent zurück. Sie zeigen ein kultiviertes und höfliches Verhalten und fallen im Alltag, zum Beispiel in U-Bahnen, Kinos oder Restaurants, so gut wie gar nicht mehr auf. Gelegentlich kommen Geheuer in angenehmen Träumen oder in Wahnvorstellungen von Langweilern vor. Wie man seit kurzem weiß, gibt es auch ein Geheuer von Loch Ness, das für eine touristische Vermarktung allerdings viel zu uninteressant wäre.
Unikale Morphemen
Auf der Suche nach sogenannten unikalen Morphemen (Bestandteil eines komplexen Wortes - ein Morphem - in der nur in einer einzigen Verbindung mit einem anderen Wortbestandteil. Beispiel: Schornstein, Lindwurm), zaubert uns Giuliano Musio neue Wörter, die er mit viel Humor erklärt. Morphem: »so etwas wie die Primzahlen oder die Atome der Sprache.« Musio nimmt als Beispiel die Himbeere. Die Stachelbeere ist stachlig – klar. Und die Himbeere? Was ist Him? Dazu fällt mir die Erdbeere ein, die nah der Erde wächst, die Blaubeere, die eine blaue Farbe hat, aber bitte was ist Brom?Der Schreibende sinniert gern über Wortgruppen. Denn wenn es den Orang-Utan gibt, dann ist davon auszugehen, dass irgendwo auf der Welt auch der Limon-Utan und der Mandarin-Utan zu finden ist. Nehmen wir mal die Bolde, unangenehme Zeitgenossen, die Raufbolde und Trunkenbolde. Giuliano Musio sind noch ein paar andere eingefallen:
Neben dem Saufbold und dem Raufbold gibt es noch einige weitere, weniger bekannte Bolde, darunter der Kaufbold, der Taufbold oder der sehr sportliche Langlaufbold.
Der Neunaldoofe rechnet 1 x 1 = 1 Das weiß er gefähr. Und aufgepasst, ihr Krimischreiber, wenn ihr wissen wollt, was ein Serienselbstmörder ist, man kann es in diesem Lexikon nachschlagen.
»Zweiöden sind höchst unbeliebte Orte, zumal sie gleich doppelt so öde sind wie Einöden. Sie werden, wenn überhaupt, nur von Zweisiedlern aufgesucht. Während eine Einöde gemeinhin als Arsch der Welt bezeichnet wird, muss man die Zweiöde als Warze darauf verstehen. Neben radioaktiv verseuchten Gebieten, den Oberflächen fremder Planeten und Brennnesselplantagen wurden jüngst auch CD-Läden, Videoverleihe und die Yahoo-Suchmaschine als eindeutige Zweiöden klassifiziert. Vorsicht: Auch einige Bars und Lounges gehören dazu. Man erkennt sie daran, dass sie zur Tarnung Slogans wie »The place to be«, »Two thumbs up« oder »Where the cool people meet« einsetzen.«
Für Aphorismenliebhaber ein Muss
Ein Sprachlexikon dient zum Nachschlagen, oder gibt es unter euch solche, die es von A-Z auf dem Sofa durchgehen? Ich kenne solche Leute, nenne hier keine Namen … die es zumindest »kapitelweise« durchziehen. Doch dieses Lexikon ist mal eins zum Lesen, von A-Z. Damit es nicht so langweilig wird, gibt es jede Menge Cartoons von Manuel Kämpfer als Zugabe. Witzig, frech, intelligent gemacht, ist dies Lexikon für jeden Aphorismenliebhaber ein Muss! Um die 100 neue Wortschöpfungen sind eine Lesespaß. Ein Buch für Globehocker und Stubentrotter.»Im Unterschied zum Luftikus ist der Erdikus eine gesetzte und gut strukturierte Person. Da er nur wenige Gefühlsregungen kennt, stehen ihm höchstens drei verschiedene Gesichtsausdrücke zur Verfügung: normal, gelangweilt und hungrig. Statt Luftschlösser zu bauen, verfolgt er in seinen Tagträumen realistische Ziele: die Zähne putzen oder einkaufen gehen. Wegen seiner Flugangst nimmt er meist den Landweg, am liebsten mit der Erdhansa. Es wäre aber ungerecht, den Erdikus als Spaßbremse zu bezeichnen. Wenn einige Maßnahmen getroffen werden, kann er durchaus Partys feiern: So werden beispielsweise Hüpfburgen mit Erde statt mit Luft gefüllt, damit sie nicht zu gefährlich sind – eine Vorkehrung übrigens, die der Erdikus auch bei seinem Airbag anwendet.
Neugierig? Einblicke und Ausblicke gibt es hier:
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