Direkt zum Hauptbereich

Karlchen hilft allen, ob sie wollen oder nicht von Lisa-Marie Dickreiter, Andreas Götz und Barbara Scholz - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Karlchen hilft allen, ob sie wollen oder nicht von Lisa-Marie Dickreiter, Andreas Götz und Barbara Scholz

Zunächst fällt beim ersten Durchblättern das opulente Design auf. Jede Doppelseite ist mit großflächigen, witzigen Illustrationen von Barbara Scholz gefüllt. Da muss man sofort anfangen zu lesen! Doch dann war ich irritiert: Karla, genannt Karlchen, das Mädchen vom Bauernhof macht aus Sicht der Erwachsenen ziemlich viel Blödsinn. Aus Karlas Sicht sieht die Sache ganz anders aus. Sie möchte immer behilflich sein und handelt in guter Absicht. Manchmal geht genau das in die Hose oder wird falsch verstanden. Zur Strafe wird sie in die Wäschekammer gesperrt und sie muss Socken sortieren. – Nein, sie schnitzt keine Männchen. Aber doch, das klang für mich wie Michel aus Lönneberga von Astrid Lindgren. Und wenn es einmal im Kopf Klick gemacht hat, dann wird man den Vergleich nicht los – leider.




Karlchens Mama kam auf die Idee, den alten Schuppen zur Ferienwohnung umzubauen. Das ging schneller als gedacht. Und schon ist die neue Glastür der Terrasse kaputt. Gäste sind für den nächsten Tag angemeldet! Aber nicht nur einmal zersplittert die Tür! Karlchen gesteht die Tat. Doch war sie es wirklich? Eine Mutter mit zwei Kindern reist an: Alban und Pippa, die Ferien auf dem Bauernhof machen wollen. Die Stadtkinder haben aber Angst vor Tieren, wollen nicht aus dem Auto aussteigen. Opa hatte Karlchen erzählt, er hätte seine Angst vor Bienen überwunden, als er eine Nacht ins Bienenhaus eingesperrt war. Karlchen hat die leuchtende Idee! Konfrontationstherapie: einen Eimer voller Stinkkäfer ins Auto schütten. Weder stechen sie, noch haben sie Hörner. Alban und Pippa werden sehen, dass man vor Tieren keine Angst haben muss. Ob diese Idee gut war? Sacramento, ein kampferprobter Hahn, eine Ziege, ein Hängebauchschwein und eine Menge verrückter Ideen von Karlchen und Opa machen das Buch sympathisch. Karlchens letzter Sommer vor der Einschulung ist dann doch nicht so langweilig, wie sie anfangs vermutete.






Die Autor:innen sprechen die Kinder direkt an, beziehen sie mit ein in die Geschichte. Das gefällt mir. Viel Trubel auf dem Hof, verrückte Tiere, ein schräger, fast hinterhältiger Opa, zu Gast eine Influencerin mit zwei verzogenen Kindern, die man wie rohe Eier behandeln muss wegen der Bewertung – ein lustiger Spaß zum Vorlesen. Kurzweilig und turbulent mit Slapstick. Genau das macht den Unterschied zum «Original», an das diese Geschichte bei weitem nicht heranreicht. Ich konnte nicht anders, immer wieder kam der Vergleich im Kopf. Slapstick durch hineintransportierte schräge Vögel – Mensch und Tier. Beim Michel hatten die Begebenheiten Tiefgang, der benötigte keine schrägen Vögel. Alltagssituationen, die eben eskalierten – jede Geschichte hat dort ihre Moral. Das macht den feinen Unterschied. Hier ist mir alles zu oberflächlich. Die Kinder, denen wir vorlesen, werden es nicht merken, finden die Story urkomisch, was sie auch ist. Drum auf jeden Fall ein Vorlesespaß. Der Arena Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 5 Jahren. Das passt. Eins noch, die Schwere des Buchs war mir unangenehm. Es hat so viel Gewicht wie ein Atlas. Das Buch ist großformatig und ich nehme an, für die vielen Illustrationen benötigt man ein starkes Papier. Ein Tolstoi oder King wiegen weit weniger. Das Buch ist auch für Erstleser geeignet, da es mit recht großen Buchstaben gesetzt wurde. Aber für diese Altersgruppe ist das Kinderbuch auf jeden Fall zu schwer zu halten.





Lisa-Marie Dickreiter, geboren 1978, absolvierte ein Drehbuchstudium an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Von der FAZ wurde sie 2012 in den Kanon der 20 besten deutschsprachigen AutorInnen unter 40 Jahren aufgenommen. Sie erhielt diverse Preise und Stipendien.

Andreas Götz, geboren 1965, hat Germanistik, Theaterwissenschaft und Amerikanische Literatur studiert. Für sein Jugendbuch „Wir sind die Wahrheit“ erhielt er 2021 den Glauser-Jugendliteraturpreis und die Auszeichnung „Jugendbuch des Jahres“ der Jugendbuchcouch. Er schreibt auch Romane für Erwachsene.

Barbara Scholz, in Herford geboren, machte zunächst eine Ausbildung zur Druckvorlagenherstellerin. Anschließend studierte sie in Münster Grafik Design mit dem Schwerpunkt Illustration. Seit 1999 arbeitet sie als freie Illustratorin für verschiedene Verlage. Barbara Scholz wohnt heute in Bonn im Rheinland.








Lisa-Marie Dickreiter, Andreas Götz, Barbara Scholz
Karlchen hilft allen, ob sie wollen oder nicht
Kinderbuch, Kinderroman
Hardcover, 224 Seiten, 24.6 cm x 17.9 cm
Arena Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 5 Jahren










Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension -MENSCH!: Eine Zeitreise durch unsere Evolution von Susan Schädlich, Michael Stang und Bea Davies

  Die Entstehungsgeschichte der Menschheit als spannende Comic-Sachgeschichte präsentiert – lehrreich und humorvoll verpackt! Woher kommen wir? Wer waren unsere Vorfahren? Und ab wann lernten sie, mit Werkzeugen umzugehen? Diese Graphic Novel nimmt uns mit auf eine Zeitreise durch die Evolution der Menschen, indem wir ihnen sozusagen hautnah begegnen. Wissenschaft meets Comic, Historische Fiction – Sachkinderbuch ab 10 Jahren, über die Evolution der Menschen – klasse gemacht! Empfehlung auch als Unterrichtsmaterial! Weiter zur Rezension:    MENSCH!: Eine Zeitreise durch unsere Evolution von Susan Schädlich, Michael Stang und Bea Davies

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

  Ein herrlich spaßiger, spannender Kinderkrimi! Mit Papa und seiner neuen Flamme in die Berge zum Wandern oder zu Oma Lore. Keine Frage! Bei der fetzigen Lore ist es immer lustig. Jetzt sitzt Pia aber seit über einer Stunde auf dem Bahnhof, ohne dass Oma sie abgeholt hat. Sehr seltsam. Omas Haus ist nicht weit entfernt; und so macht sich Pia mit ihrem Rollkoffer auf den Weg. Niemand öffnet die Tür! Durch ein offenes Fenster gelangt sie hinein. Doch Oma bleibt verschwunden. Die Detektivarbeit beginnt … Ein Pageturner, ein Kinderroman, eine waschechte Heldenreise, ein rasanter Abenteuerroman und nervenkitzelnder Kinderkrimi ab 8-10 Jahren. Unbedingt lesen!  Weiter zur Rezension:   Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

Rezension - Spanischer Totentanz von Catalina Ferrera

Der erste Barcelona-Krimi, »Spanische Delikatessen«, von Calina Ferrera hatte mir als Hörbuch gefallen: leichte Story mit Lokalkolorit, feiner Humor, spannende Geschichte. Leider konnte mich der zweite Band nicht überzeugen. Weder Spannung noch ein Gefühl für die Stadt kam auf. Touristische Beschreibungen und Restaurantbesuche lähmen eine durchschaubare Kriminalgeschichte, die die Mossos d’Esquadra auf den Cementiri de Montjuïc und die Zona Alta führt. Weiter zur Rezension:    Spanischer Totentanz von Calina Ferrera

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Young Agents: Operation «Boss» von Andreas Schlüter

Offiziell gibt es sie gar nicht. Jeder Insider würde ihre Existenz leugnen. Und doch leben sie unter uns: Die Young Agents, europäische, jugendliche Geheimagenten, ausgebildet an einer EU-Agentenschule, fast unsichtbar, denn wer achtet schon auf Kinder? Sie sind im Alter zwischen 11 und 14 Jahren, leben bei ihren Familien und gehen ganz normal zur Schule. Der zwölfjährige Billy, ein Agent aus Deutschland, ist der Icherzähler dieser Geschichte. Gleich am Anfang erklärt er, man soll sich das nicht so vorstellen wie bei 007, James Bond, denn wir befinden uns ja in der Realität. Aber genau das ist es letztendlich! Ein Plotaufbau nach James Bond, eine Heldenreise in drei Akten, beginnend mit einem nervenzerreißenden Intro, in dem der Agent hoher Gefahr ausgesetzt wird – sehr spannend geschrieben  – und mit Action pur geht es weiter, Seite für Seite. Ein Pagemaker zum Entspannen für Jugendliche ab 11 Jahren. Mir fehlte ein wenig Ruhe und Atmosphäre. Wer auf American-Hero-Storys steht, fü

Rezension - Unser Deutschlandmärchen von Dincer Gücyeter

  Eine türkische Familiengeschichte, die mit der Urgroßmutter und der Großmutter einleitend beginnt. Die nächste Generation wandert nach Deutschland aus – das gelobte Land, wo Milch und Honig fließt. Der Traum, den viele «Gastarbeiter» träumten: Arbeiten, viel Geld verdienen, nach Hause zurückkehren und ein Haus bauen. Und dann wurden aus den Gästen Einwohner. In Deutschland die Türken – in der Türkei die Deutschen – entwurzelt, nirgendwo wirklich zu Hause. Eine Familie, die sich bemüht hat, sich zu integrieren. Ein Zwiegespräch zwischen Sohn und Mutter – zwei völlig verschiedene Generationen, aber auch eine Abrechnung mit der deutschen Gesellschaft und eine mit dem Heimatland und dem Machismo, mit der Erniedrigung der Frauen. Ein hervorragender Gesellschaftsroman, ein Bildungsroman über Migration, Rassismus und Misogynie – meine Empfehlung! Weiter zur Rezension:     Unser Deutschlandmärchen von Dincer Gücyeter

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz