Rezension
von Sabine Ibing
Im kleinen wilden Schnergenland
von Veronica Cossanteli und Paddy Donnelly
Neu erzählt nach einer Geschichte von Edward Augustine Wyke-Smith
Pip und Flora wohnen im Sunny Bay Home, ein Heim für elternlose Kinder, das von der strengen Miss Watkyns geführt wird. Es gibt hier eine Menge Regel, die den beiden Kindern so gar nicht passen. Und weil sie wieder dagegen verstoßen haben, müssen sie zur Strafe Obst und Gemüse ausliefern, während der Rest der Kinder zu einem Picknick fährt. Aber klar, die zwei haben sogleich einen Streich auf Lager. Sie schmeißen vom Felsen Obst in die Instrumente der Blaskapelle unter ihnen – wobei unglücklicherweise der ganze Inhalt des Korbes hinunterfällt. Was nun? Weglaufen? Aber wohin? Und da steht direkt an der Straße eine Luxuslimousine.
Wir singen, bis wir trunken ratzen, wir tanzen, bis die Blasen platzen. Ein wahrer Schnerg geht brav und nett nach einem Kopfstand erst ins Bett.
Eine fein angezogene Frau mit Chauffeur und einem jungen Hündchen bietet den Kindern an, bei ihr zu wohnen, und reicht gleich Veilchenpastillen aus dem Fenster, verspricht Luxus, ein Leben ohne Regeln. Das klingt verlockend. Als sich Flora dem Wagen nähert, geht die Tür auf, die Frau schnappt sie sich, stopft sie ins Auto und rast davon. Pip rennt hinterher, sieht, dass der Fahrer das Auto nicht voll im Griff hat, gegen einen Baum schleudert. Flora kann entkommen, Pip ist bei ihr, doch der Hund verschwindet in einem geteilten Baum. Das kann nicht sein. Und schwupps, sind beide Kinder hinterhergerannt und in einer fremden Welt aufgetaucht. Sie treffen auf den Schnerg Gorbo, den Miss Watkyns gerade aus dem Haus geworfen hatte, weil er lauter Unfug angerichtet hatte.
«The Marvellous Land of Snergs» von Edward Augustine Wyke-Smith aus dem Jahr 1927 soll J.R.R. Tolkin zur Geschichte «Der kleine Hobbit» animiert haben. Hier ist sie modern aufpoliert in neuem Bild erschienen. Gorbo will die Nudelingen (Menschen) der Königin vorstellen, die gern Feste feiert, die Einladungen auf Keksen verschickt. Er hat es auch nicht einfach. Er möchte immer alles richtig machen. Aber dabei stellt sich vergessliche Zwerg recht linkisch an und erreicht meist das Gegenteil von dem, was er gewollt hatte. Man reitet nun auf Zimtbären und Straußen, entdeckt seltsame Rituale. Aber Ausruhen kommt nicht in Frage, denn die Hexe, die Frau aus dem Auto, hat es auf Flora abgesehen. Eine Jagd beginnt. Die Kinder gefangen, dann auf der Flucht. Flora, Pip, Gorbo und der kleine Hund Tiger erleben erstaunliche Dinge. Denn nicht alles in dieser Welt ist angenehm, wie Säbelzahntausendfüßler, Heulschnecken, Schnodderwürmer, Krokopotamusse, Squiesel, Wobser. Das Schnergenland und das der verfeindeten Kelpse – dazwischen ein unheimlicher Wald mit schaurigen Bewohnern ...
Ein spannendes Abenteuer mit etwas Gruselcharakter – ziemlich lustig und fantasievoll. Am Ende verstehen auch Flora und Pip: «Kinder brauchen Regeln», ein paar zumindest. Gerüchteküche über Schnergen bei den Kebsen – über Kebse bei den Schnergen – das sind die ekelhaften ... die Kinder fressen. Die anderen vom anderen Stamm, was für fürchterliche Wesen. Hey! Vielleich sollte man sich beim Schnerg nochmal zu einem Fest treffen und die Fakenews klären ... Von Paddy Donnelly gibt es einseitige und kleinere Illustrationen dazu. Knallbunt passen sich die Grafiken ins Geschehen ein. Das Format ist ein wenig größer in Höhe und Breite als übliche Kinderromane und es ist schwer. Die Schriftgröße ist für Erstleser gehalten. Dieses Fantasy-Abenteuer wird vom Thienemann Verlag ab 6 Jahren empfohlen. Für mich lebt das Buch unter anderem durch die kreative Fantasiesprache und magischen Namen, auch die Satzlänge ordne ich eher bei 8 Jahren ein. Dazu kommt, dass die Geschichte an manchen Stellen etwas schaurig wird. Gut, wer mit Rotkäppchen und Hänsel und Gretel aufgewachsen ist, wird kein Problem haben, aber vielleicht die ganz zart besaiteten Kinder. Für Sechsjährige hätte ich mir auch mehr Illustration gewünscht. Summa summarum lande ich bei einer Empfehlung ab 8 Jahren – zum selbst lesen oder vorlesen (Ich würde vorlesen, dann haben beide Seiten ihren Spaß!) Meine Empfehlung für ein wundervolles Fantasy-Abenteuer!
Veronica Cossanteli wuchs in Hampshire und Hongkong mit einer Reihe von Tieren auf, darunter ein imaginärer Haustierdinosaurier, der auf ihrem Bett schlief. Sie arbeitet in einer Grundschule in Southampton, wo sie mit drei Katzen, zwei Schlangen, einem Meerschweinchen und einer großen Anzahl von Eidechsen lebt.
Edward Augustine Wyke-Smith (1871–1935) war Bergbauingenieur, führte jedoch überwiegend das Leben eines Weltenbummlers und Abenteurers. Er diente bei den Horse Guards in Whitehall, heuerte auf einem Windjammer an, mit dem er nach Australien und Amerika segelte, und arbeitete in den USA lange Zeit als Cowboy. Als Bergbauingenieur verwaltete er Minen in Mexiko, Spanien, Portugal, Norwegen und Südamerika. Seine Kinder waren so begeistert von den Geschichten, die er ihnen erzählte, dass sie ihn baten, sie aufzuschreiben. The Marvellous Land of Snergs (1927) war sein letztes Buch, dem heute besondere Bedeutung zukommt, weil es J. R. R. Tolkien zu seinem berühmten Klassiker The Hobbit inspirierte. Aufmerksame Leser dürften tatsächlich erstaunliche Parallelen zwischen beiden Büchern entdecken.
Paddy Donnelly ist ein irischer Illustrator, der heute in Belgien lebt. Er hat über 15 Jahre Erfahrung als Illustrator und Designer und liebt es besonders, mit einem strukturierten, malerischen Ansatz zu arbeiten. Stets versucht er, seiner Arbeit einen Hauch von Humor zu verleihen, wo immer er kann. Paddy hat einen grafischen Hintergrund und arbeitet je nach den Anforderungen des Projekts problemlos in verschiedenen Illustrationsstilen. Er wünschte, Pluto wäre noch ein Planet.
Im kleinen wilden Schnergenland
neu erzählt nach einer Geschichte von Edward Augustine Wyke-Smith
Aus dem Englischen übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn
Kinderbuch, Kinderroman, Fantasy, Abenteuer
Hardcover, 235 Seiten
Thienemann Verlag, 2021
Altersempfehlung: ab 8 Jahren (von mir) ab 6 Jahren (Verlag)
Kinder- und Jugendliteratur
Kommentare
Kommentar veröffentlichen