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Ich wurde nicht geboren von Julia Cohen - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Ich wurde nicht geboren 


von Julia Cohen


Loyalität: N. schläft. Ich gehe mit dem Hund raus, wasche ab, bringe Altglas weg. Weine nicht vor N. Stattdessen spät nachts auf dem orangefarbenen Sofa … Beobachte mein aufgelöstes Gesicht. Weil das heißt, mich selbst zu überraschen.
Illoyalität: Wenn ich in Gedanken unsere Sachen aufteile. Die Nachttische, meine. Die Matratze, meine. Das Geschirr & die Gläser, meine. … Was ist mit der Kunst, die wir zusammen gekauft haben? Unserem Hund?


Ich würde das Buch als Therapietagebuch beschreiben. Es gibt Sequenzen aus Gesprächen von J. mir dem Doktor. Julia Cohen. Ein Buch voller Selbstgespräche, bei der die Autorin ihre Gedanken in »Loyalität.« und »Illoyalität« teilt, Gedichte verfasst, kleine Essays, Textfragmente, »Nicht vergessen«, Fragen an sich selbst, oder solche, die sie nicht zu stellen mag. Also rundum kleine Texte, die sich mit der Beziehung zwischen J. und N. befassen. J. will sich trennen, zweifelt, schafft es nicht, den Schritt in die Richtung zu gehen. Sie hält es nicht mehr aus mit J.

Hättest du mich echt sitzen lassen, ohne mir zu sagen, wie man Augenbohnen mit Blattkohl kocht?
Hast du dir ausgemalt, wie ich deine Leiche identifiziere.

Wut, Verletztheit, Verzweiflung bei J., N. hat sich wieder versucht umzubringen, eine Beziehung, die nicht funktioniert, keine ist, weil der eine Teil in einem schwarzen Loch wohnt. Selbstgespräche auf Papier, Therapiegespräche, Selbstheilung durch Schreiben, Entscheidungen durchdenken und finden, Gewissensbisse aussprechen. Die Autorin benutzt ihre Aufzeichnungen als Medizin, Erinnerung, Auseinandersetzung mit sich, mit N. und kommt Stück für Stück der Lösung näher. Der Leser erlebt aber nicht nur J., denn ihr Problem ist letztendlich N., dasgemeinsame Leben mit N., der sie ausschließt aus seinem Leben, der sich in die Dunkelheit zurückzieht, ohne Tabletten nicht am Leben teilhaben kann. »Krankheit braucht eine bestimmte Art Geduld«, sagt J. Eine schwere Depression des Partners zieht herunter, aber will man ihn im Stich lassen? Hat J. versagt, hätte sie N. helfen können? Ihr eigenes Leben kreist um das ihres Partners, der lieber tot wäre. Zusammenleben mit einem Menschen, der an schweren depressiven Episoden leidet, raubt einem selbst die Kraft. Und irgendwann steht man vielleicht an der Grenze des Belastbaren. Trennung, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?

Julia Cohen ist Assistant Professor am Wright College in Chicago. Sie veröffentlichte zwei Lyrikbände. Die Texte besitzen Kraft und strahlen große Ehrlichkeit aus, denn es geht die reale Beziehung zwischen Julia Cohen und ihrem Partner. Kein leichter Stoff. Wer sich mit solchen Texten auseinandersetzen mag, für den wird es ein Lesegenuss sein.

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