Rezension
von Sabine Ibing
Glorias Finale
von Giuseppe Gracia
Der Anfang:
Angst?
Gloria schüttelt den Kopf. Sie hat keine Angst, und sie wird nicht zulassen, dass ihr der Sender Angst macht. Sie wird ihr Ziel nicht verfehlen.
Dies hätte ein guter Roman werden können, wenn er sich auf den Stoff hinter den Kulissen mit einer Castingshow eingelassen hätte. Leider wird auch der gesamte Inhalt im Klappentext verraten. Gloria ist die jüngste Finalistin der europaweiten Castingshow «Eurostar», die über 50 Millionen Menschen erreicht. Die Show erinnert an «Deutschland sucht den Superstar», mit der Steigerung, dass die Finalisten aller EU-Länder wieder eine eigene Show bekommen; im Finale stehen dann die letzten drei Teilnehmer*innen. Gloria ist dabei. Sie ist am Ziel. Und wir erfahren gleich am Anfang, dass dieses Finale anders enden wird, es wird keinen Sieger geben, sondern Tote. Gloria hat eine Pistole versteckt, die sie mit auf die Bühne nehmen wird. Und so plätschert der Roman dahin – ab der Mitte habe ich nur noch quergelesen. Wir wissen, was passieren wird. Ende.
Was genau hat Chantal in den Tod getrieben?
Gloria, Tochter portugiesischer Einwanderer, lebt in dem kleinen beschaulichen Ort Rohrschach am Bodensee mit nicht mal 9.000 Einwohnern. Aber die Szene des Stadtteils der armen Leute, der Einwanderer, wird beschrieben, als handele sich um ein Großstadtquartier. Das hat mich stutzen lassen. Glorias Vater ist gewalttätig. Glorias Freundin Chantal ist wesentlich älter, kümmert sich um das Mädchen (warum eigentlich?), nimmt sie mit nach Hause, wenn es mal wieder hoch her geht, nimmt das kleine Mädchen abends mit in den Motorradclub. Beide können sehr gut singen. Es kommt, wie es kommen muss, Glorias Vater prügelt seine Frau zu Tode und Gloria landet im Heim, hält Kontakt zu Gloria. Chantal bewirbt sich bei dem Songcontest, gewinnt für die Schweiz und landet im EU-Finale. Sie gewinnt nicht und begeht Suizid. Und genau hier hätte ich erwartet: Vorhang auf! Beide Frauen landen im Finale und es ist immer wieder die Rede von verbalem Missbrauch und Vergewaltigung. Ende. In der Jury sitzen fiese Typen und ein Marketingkarussell hypt die Teilnehmer. Das wissen wir doch alle, selbst die Leute, die sich diese Shows nicht ansehen. Aber was genau hat Chantal in den Tod getrieben? Wir erfahren es nicht. Was hat Gloria erlebt? Wir erfahren es nicht.
Gute Idee, die für mich leider ideenlos und langweilig umgesetzt
Junge Menschen geraten in eine Maschinerie, werden ausgenutzt, dem Publikum zum Fraß vorgeworfen. Ihre Lebensläufe werden durchleuchtet, Privates ans Licht gezerrt, alles wird ausgeschlachtet, Lügenprofile werden aufgebaut, herzzerreißende Konstrukte werden erfunden, aufgebauscht – aber was und wie genau läuft die Maschinerie – unter welchen Druck werden die Teilnehmer gestellt? Der Mensch entmenschlicht, als Produkt verkauft. Genau das hätte den Leser interessiert. Die Figur Chantal ist farblos, die Beziehung zwischen ihr und Gloria oberflächlich beschrieben, so dass mir das Verständnis des Rachefeldzugs von Gloria fehlte. Denn sie nahm an dieser Show nur teil, um im Finale Chantal blutig zu rächen. Für mich liegt hier auch ein Denkfehler vor. In jeder vorangegangenen Show hätte sie herausgewählt werden können. Woher kam ihre Sicherheit, es ins Finale zu schaffen, um dort ihre eigene Show liefern zu können? Hätte Chantal keinen Suizid begannen, wenn sie gewonnen hätte? Denn trotz allem ist sie ja das Martyrium durchlaufen. Für mich hatte kein der Protagonist Profil, nicht mal Gloria. Die Stunden vor dem Auftritt schleppen sich dahin mit Wiederholungen des Mantras – die Jury ist schuld am Tod vom Chantal. Ich hatte zumindest erwartet, dass am Ende des Buchs irgendetwas passiert, das nicht im Klappentext steht – eine Wendung, ein ungewöhnlicher Schluss. Aber selbst das trat nicht ein. Romane die im Klappentext die gesamte Handlung in Kurzformat verraten sind für mich nicht akzeptabel. Insgesamt ist der Roman durchgängig mit Plattitüden versetzt, er kratzt an allen Klischees, das beginnt bereits mit den Namen Gloria und Chantal. Da vergeht einem die Leselust. Eine gute Idee, die für mich leider ideenlos und langweilig umgesetzt wurde.
Giuseppe Gracia (geboren 1967 in St. Gallen) ist ein Schweizer Schriftsteller, Journalist und Kommunikationsberater. Gracia ist Sohn eines Sizilianers und einer Spanierin. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Als Publizist schreibt für das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), Focus online, Welt und andere Medien. Als Mediencoach und PR-Berater arbeitete und arbeitet er für Klienten aus Wirtschaft, Politik, Kirche und andere Organisationen.
Glorias Finale
Zeitgenössische Literatur, Schweizer Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, 176 Seiten
Nagel & Kimche, 2021
Zeitgenössische Literatur
Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …Zeitgenössische Romane
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