Eine Blume ohne Wurzeln
von Nada Chekh
Nada Chekh, arabischstämmig, staatenlos, wuchs im Wiener Gemeindebau auf. Zwischen den moralischen Vorstellungen und Werten ihrer Eltern, «ihrer Community» und unter den kritischen Blicken jener, zu denen sie später selbst gehören will, zu denen sie eigentlich auch gehört. Aber Zugehörigkeit ist so viel mehr als nur ein Wort. Kann man zwei Zugehörigkeiten haben? Eben eine typische Migrationsgeschichte. Ein Mädchen, später eine junge Frau, mit eigenen Wünschen, ihr Leben zu gestalten. Wut darauf, nach den starren und unnachgiebigen Normen leben zu müssen, die ihre Community ihr vorschreibt, die wiederum abgeschottet mitten in einer offenen Gesellschaft lebt. Sie berichtet von ihrem Schmerz, der ein Ventil suchte, von Essstörungen. Und sie erzählt von ständiger Beobachtung und Überwachung innerhalb der Familie, in der Community, davon, wie es sich anfühlt, stets unverschuldet eine Rechtfertigung für das eigene Handeln parat haben zu müssen.
Irgendwie fühl es sich immer so an, als würde man gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen
Der Vater stammt aus Palästina, die Mutter aus Ägypten. Sie sprechen nicht die gleiche Sprache und die Familie entwickelt eine eigne Art zu kommunizieren, von der die Kinder annehmen, es sei Arabisch – ist es aber nicht, sondern ein Kauderwelsch, das niemand versteht. Später, im Arabischunterricht wird das ein großes Hemmnis sein. Gesetze, wie man sich als Mädchen zu verhalten hat, auf der einen Seite, die offene Gesellschaft, die in vielem widerspricht, widerlegt auf der anderen Seite. Was ist richtig? Diese Eltern sind auf ihre Weise sehr aufgeschlossen, lesen viel, animieren die Kinder dazu und man spricht österreichisch, denn man möchte sich integrieren. Ich habe viel mit Migranten zu tun gehabt und weiß, es gibt viele Arten der Anpassung an ein fremdes Land – oder auch gar nicht. Irgendwie fühl es sich immer so an, als würde man gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen. Ich würde diese Eltern dem Mittelweg zuordnen. Auf der einen Seite sind sie offen, besonders für die Bildung ihrer zwei Töchter und sprachliche Anpassung, auf der anderen Seite bringen sie natürlich ihre eigene Kultur, ihre eigene Identität mit, die sie weitergeben möchten. Der Druck der migrantischen Community ist groß. Arabisches Patriarchat, Religion, Regeln, die vornehmlich für Frauen gelten. Die Eltern der Autorin sind herzlich, bemühen sich auf ihre Art und Weise. Herrlich, die Geschichte, wie sie der Tochter eine Geburtstagsfeier organisieren, der Tochter sogar das Gefühl geben, man ließe die Mädchen unbeobachtet … Denkste! Traurig, die Realität später zu verstehen: Die Eltern haben in Österreich einen Rückschritt gemacht, um in der arabischen Community nicht anzuecken. Die Mutter z.B. trägt in Wien ein Kopftuch; auf alten Fotos von früher ist sie stets mit offenem Haar zu sehen.
‹Warum dürfen Frauen, die ihre Regel haben, den Koran nicht berühren?› ‹Weil das haram ist. Die Regel ist unrein, …›
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man als Teenager in der Bravo und im Internet erklärt bekommt, dass die Periode etwas ganz Natürliches und gar nichts Abstoßendes ist, aber in der Erziehung zu Hause doch ein riesengroßes Tamtam darum gemacht wird.
Das Buch ist leider im Sachbuchcharakter geschrieben
Letztendlich war ich enttäuscht von der Erzählung, denn dies ist Jammern auf hohem Niveau. Ich kenne aus der Praxis wesentlich heftigere Geschichten, ebenfalls aus der Literatur, von jungen Frauen, die extrem steinige Wege gingen, sich zu befreien. Das Buch ist leider im Sachbuchcharakter geschrieben, wie eine Reportage über das eigene Leben, eine Biographie – auch wenn es mit der ein oder anderen Anekdote angereichert wird. Mir fehlte die Emotionalität und die erzählerische Kraft, eine mitreißende Geschichte daraus zu machen. Ganz anders wie in den Romanen «
Am Montag werden sie uns lieben» von Najat El Hachmi oder «
Die ungeduldigen Frauen» von Djaïli Amadou Amal, berührte mich die trockene, intellektuelle Auseinandersetzung von Nada Chekh nicht. Alles, was sie beschreibt, beobachten wir täglich, und darüber ist hundertmal geschrieben worden.
Klar, man kann es gar nicht oft genug erwähnen: Treten wir uns gegenseitig mit mehr Respekt gegenüber, respektieren wir andere Kulturen, Religionen usw. Allerdings müssen auch Menschen innerhalb der eigenen Community respektieren, dass nicht jeder sich an geschriebene, bzw. mehrheitlich ungeschriebene Regeln halten will. Eltern müssen ihren Kindern die Möglichkeit geben, sich selbst zu entfalten, Frauenrechte müssen anerkannt werden. Und es gibt Gesetze, die bestimmte Dinge in Europa erlauben, bzw. verbieten, die von anderen Kulturen abgelehnt werden. Eine Gesellschaft hat viele Gesichter. Frauen müssen aufstehen, das Patriarchat abschütteln, die Misogynie. Das ist schnell dahingeplappert, denn die Realität ist weit entfernt. Und wie hier in diesem Buch beschrieben, sind es oft die erziehenden Frauen, die ihre Töchter zu etwas zwingen, was sie nicht wollen. Die Frauen müssen den Weg gehen, gemeinsam – aber dazu muss ein Wille vorhanden sein. Solange die innere Freiheit nicht funktioniert, werden starke Töchter und auch Söhne den Weg von Nada Chekh einschlagen: Sich bewusst vom Acker machen, ihre Community verlassen. Interessant auf der einen Seite als Sachbuch, aber eben nichts Neues, als Erzählung zu reportagenmäßig aufgemacht, verliert das Buch seine Kraft. Reizvoll für jemanden, der sich noch nie mit diesem Thema befasst hat. Und etwas, das mir noch nie vorgekommen ist: Das Buch zerlegte sich ab Seite 7, weil es grottenschlecht gebunden ist; übrig geblieben ist ein Haufen losere Seiten.
Nada Chekh ist kritisch, laut und ehrlich. Interkulturelle Konflikte, die tief in den persönlichen Lebensalltag und die engsten Beziehungen eindringen, hat sie hautnah erlebt. Ihre Erfahrungen prägen, was sie heute tut: Als Journalistin, die ihre Anfänge unter dem Namen Nada El-Azar bei „biber“ machte, schreibt sie darüber, was die multiethnische Community in Österreich bewegt, rüttelt an den Missständen in unserer Gesellschaft, fordert Debatten heraus und spricht über Langzeittabus, aber auch Potenziale, die ein Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen bereit halten kann.
Nada Chekh
Eine Blume ohne Wurzeln
Wie ich Selbstbestimmung zwischen Doppelleben und Doppelmoral fand
Biographie, Erzählung, Reportage, Misogynie, Migration, religiöse Erziehung
Taschenbuch, 224 Seiten
Haymon Verlag, 2023
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