Rezension
von Sabine Ibing
Am Montag werden sie uns lieben
von Najat El Hachmi
Du erzähltest mir, was du alles machtest: Vormittags die Ausbildung zur Friseurin, und nachmittags kellnertest du in einem Restaurant in der Stadt. Friseurin! Ich war nie in meinem Leben beim Friseur gewesen, meine Mutter sagte, da gingen nur Mädchen auf Abwegen hin, solche, die verändern wollten, was Gott ihnen gegeben hatte.
Naíma, ein junges Mädchen marokkanischer Herkunft wächst an der Peripherie von Barcelona auf. Inmitten der religiösen und kulturellen Zwänge ihres muslimisch geprägten Umfelds sehnt sie sich nach Freiheit. Ihre Freundin Sam gibt ihr Halt, denn deren Familie ist völlig anders: Es sind moderne Muslime, und ihnen ist es egal, was die anderen im Viertel reden. Sam stellt sich den Herausforderungen des Lebens mit Energie, Enthusiasmus und einer festen Entschlossenheit: Sie spart, will ein Geschäft eröffnen, auf eigenen Beinen stehen. Sie trägt enge Hosen, Blusen, die gerade bis unter den Nabel reichen, sie schminkt sich, zeigt ihren Hintern, trägt hochhackige Schuhe. Naíma muss sich in weiten Kleidern verdecken, trägt ein Kopftuch. «Wir von unserer raza, sagte mein Vater, sind echte Männer, wir halten die Sitten der wahren Muslime am Leben.» Der Roman ist ein Brief an Sam, in der die Geschichte der beiden Frauen erzählt wird und die Bedeutung, die diese Freundin für Naímas Leben hat.
Ein Studium als Befreiung
Manche Leute sahen in dem Preis den Beleg für eine gelungene Integration, andere klopften mir anerkennend auf die Schulter: Kaum zu glauben, dass eine wie ich so etwas hinkriegte. Du weißt ja, sie hielten uns nicht mal für imstande, ihre Sprache zu sprechen, wie sollten wir da auch noch in ihr schreiben können?
Najat El Hachmi eröffnet in ihrem Roman intensive Einblicke in die Erfahrungen von jungen Frauen aus Einwanderungsfamilien, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sozialen Schicht, ihrer Religion und ihrer Herkunft unterdrückt werden - und zeigt, wie sie für ihre Freiheit kämpfen. Naíma wächst in einem Armenviertel am Rand von Barcelona auf, und es wird lange dauern, bis sie das Viertel erstmalig verlässt. Sie ist fleißig in der Schule und es gelingt der Mutter, den Vater zu überzeugen, dass sie das Abitur machen darf. In der Schule nennt man sie Mora. Wenn man bedenkt, dass in Spanien die Befreiung von den Moros noch heute zu den wichtigen Festen von vielen Städten zählt (Las Fiestas de Moros y Cristianos – früher Moros conta Cristianos), bei denen am Ende die Christen die Moros aus der Stadt scheuchen, ist dies besonders makarber. Naíma will gute Noten erreichen, um studieren zu können, denn dann kann sie sich auf Stipendien bewerben, das Viertel verlassen – später erfährt sie, dass dies nur für Spanier gilt. Im Land geboren, aber den falschen Pass in der Hand ... Schreiben macht ihr Spaß, sie will Bücher schreiben, gewinnt sogar einen Kurzgeschichtenwettbewerb. Und manch ein Klassenkamerad, der sich beworben hatte, missgönnt ihr das: «Ihr Moros kriegt ja alles geschenkt. Aber glaub bloß nicht, dass du deshalb jetzt eine von hier bist.» Die Zerrissenheit zwischen dem Patriarchat des gesamten Viertels, die sexuelle Scham, in der sie erzogen wird und die Konfrontation mit dem der westlichen Lebensformen wird zur Herausforderung.
Dann eben die Ehe - nur raus
Ein Junge aus der Siedlung war auf sie zugetreten und hatte gesagt: ‹Du [Sam] kommst in die Hölle.›
‹Ach ja?›, hatte sie erwidert: ‹Da erwarte ich dich dann, mein Hübscher.›
Und er, wutentbrannt, drohte ihr damit, er werde es ihrem Bruder oder Vater sagen. Worauf sie ihn fragte, warum er das Gleiche nicht den anderen Frauen in der Bar androhte, warum er zu denen gar nichts sagte.
Weil sie nicht zu ‹den unsrigen› gehörten, keine Muslimas seien.
Die einzige Chance, ehrenvoll dem Viertel zu entfliehen, erscheint die Ehe. Sam hat einen modernen Muslim zu Freund, Said, und sie wollen heiraten. Und Naíma lernt den Freund von Said kennen, Jamal – auch einer, der sich nicht drum schert, was das Viertel sagt. Jamal versichert Naíma, dass sie studieren darf, er für sie sorgen wird. Aber zunächst sind dieser Ehe Steine in den Weg gelegt. Beide Frauen heiraten, um herauszukommen aus der Falle, um mehr zu sein, eine eigene Identität zu gewinnen. Doch sie müssen feststellen, dass Freiheitsgewinn und Mutterschaft nicht zu vereinbaren sind – insbesondere, wenn die Männer nicht Wort halten. Die beiden Frauen stehen wie ein Fels zusammen und springen von Klippe zu Klippe. Auch wenn sie mal ins Wasser fallen, schwimmen sie Land und klettern nach oben – Schulter an Schulter. Doch der Leser ahnt, dass ein Drama unvermeidlich ist.
«Das Einzige, was wir wollten, war, geliebt zu werden»
Die tiefere Wahrheit unserer Geschichte war schlichter, als wir uns es vorstellen. Sie hatte nichts mit Kulturschock zu tun, mit Integration, mit Zwischen-zwei-Welten-Sein, mit alldem, worüber wir uns so sehr den Kopf zerbrachen. Das Einzige, was wir wollten, war, geliebt zu werden. Einfach so, wie wir waren. Ohne uns zurechtstutzen oder anpassen oder unterordnen zu müssen. Weder verhüllt noch ausgehungert, weder von tausend Nadeln durchlöchert noch mit tausend Cremes zugekleistert noch in enge Kleider gezwängt. Wir mit unseren Körpern, die wir selbst sind, mit unseren Köpfen, unseren Gedanken, unseren Gefühlen und unseren Wunden, den vernarbten wie den offenen. Sonst nichts.
Der Roman ist so nahe geschrieben, dass man denkt, es handele sich um einen autobiografischen Text. Das ist es nicht – obwohl hier ganz sicher eigene Erlebnisse der Migrationserfahrungen einfließen, das eigene Umfeld glaubwürdig dargestellt ist. Es ist ein politischer, feministischer Text, der gleichzeitig in seiner Wucht auf die Magenkuhle drückt und parallel das Herz bluten lässt. Man möchte schreien und weinen zugleich. Drei Themen werden zugleich erörtert, die miteinander zusammenhängen: Die strenge muslimische Erziehung trifft auf die freie Lebensweise ringsherum, weckt das Bedürfnis der Frauen, selbstbestimmt zu leben. Gleichzeitig werden sie von der freien Welt als Moras diskriminiert. Alles zusammen, einschließlich der Welt der Mode, die ihnen suggeriert, wie man zu sein hat, schlägt körperlich auf ihre Psyche ein. Diäten mit Fressattacken wechseln, bis hin zur Verweigerung der Nahrung bei der einen, kosmetischen Behandlungen und sexuelle Ausschweifungen bei der anderen. Ein Leben voller Montagslisten, Liste, Listen, Listen - alles, was zu tun ist, um ein wenig Aufmerksamkeit und Liebe zu erhalten. Ein Coming-of-Age-Roman, den man unbedingt lesen sollte!
Najat El Hachmi ist eine katalanisch-marokkanische Autorin, die in Barcelona lebt. Ihr vielfach ausgezeichnetes Werk beschäftigt sich mit den Themen Identität, kulturelle Verwurzelung und der Bedeutung des Frauseins in der muslimischen Kultur. Sie arbeitet auch als Journalistin und Kolumnistin für wichtige spanische Zeitungen wie beispielsweise El País.
Am Montag werden sie uns lieben
Aus dem Katalanischen übersetzt von Michael Ebmeyer
Zeitgenössische Literatur, muslimischen Kultur, Katalanische Literatur, Spanische Literatur
Klappenbroschur, 272 Seiten
Orlanda Verlag, 2022
Zum Thema:
Eine Geschichte aus dem heutigen Kamerun, eine muslimisch geprägte Gesellschaft der Fulben – ein Patriarchat schlechthin. Drei Frauen, drei Geschichten, drei miteinander verbundene Schicksale. Ramla und Hindou sind Schwestern, werden am gleichen Tag verheiratet. Safira, die 20 Jahre lang die alleinige Ehefrau war, bekommt Ramla vor die Nase gesetzt. Hindou wird gezwungen, ihren Cousin zu heiraten, einen nichtsnutzigen Säufer. Pflichtlektüre für Schulen – so meine Meinung. Dieser autobiografisch geprägte Jugendroman, ein Coming-of-Age, ist beileibe nicht nur Lesestoff für Jugendliche. Ja, man liest das alles mit Schnappatmung. Denn der Stoff handelt nicht von längst vergangenen Zeiten – und nicht nur im Kamerun leben Frauen unter diesen Verhältnissen; es ist schlicht zeitgenössische Literatur. Ein Text, der unter die Haut geht und in die Magenkuhle haut. Unbedingt Lesen!
Weiter zur Rezension: Die ungeduldigen Frauen von Djaïli Amadou Amal
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