Rezension
von Sabine Ibing
Durch die dunkelste Nacht
von Hervé Le Corre
Der Mörder ist nicht in der Kartei. Vielleicht schläft er gerade seelenruhig neben seiner Frau oder wälzt sich irgendwo in einem Hauseingang im Schlafsack herum.
Noir pur – ein Krimi für starke Nerven, der in drei Perspektiven geteilt ist, die sich begegnen werden. Jourdan, ein desillusionierter Polizeikommandant, kann den ganzen Dreck, der ihm täglich auf Bordeaux Straßen begegnet, nicht mehr sehen. Die alleinerziehende Louise, die sich nach dem Unfalltod ihrer Eltern und Jahren in der Drogenszene mühsam ein neues Leben mit ihrem kleinen Sohn aufgebaut hat, wird immer wieder von ihrem Ex bedroht, der ihr auflauert, sie verprügelt. Ein Killer - von zerstörerischer Wut getrieben - ermordet in den Straßen von Bordeaux Frauen. Jede der drei Protagonist:innen durchlebt ihre eigene, ihre dunkelste Nacht …
Jourdan hatte mitbekommen, wie die Kollegen von der zivilen Einsatzgruppe sich für einen Einsatz auf den Demos fertig machten, Witze rissen und Radau veranstalteten wie ein paar Kleinkriminelle,die gegen eine verfeindete Bande in den Kampf ziehen. Er hatte gehofft, dass sie auf Prügeleien hofften, dass sie ein paar dieser gelben Schweine die Fresse polieren würden. … Jourdan war angewidert. Sie entsprachen dem Bild des Staates, der sie beschäftigte: gefährlich und dumm, wie Kampfhunde ließ man sie auf die Straße los.
Jeder von den dreien hat seine eigene Geschichte, und es dauert ein wenig, bis Hervé Le Corre Schnittmengen zieht. Jourdan hat die Nase voll von Gewalt, als er zu einem Mord gerufen wird: Ein Mann hatte Frau und Kinder getötet. Bald darauf sucht einen Killer, der anscheinend mehrere Frauen ermordet hat und begegnet im Laufe seiner Ermittlung Louise. Auf verschiedenen Ebenen wir hier Gewalt gegen Frauen angesprochen, Misogynie als gesellschaftliches Problem. Ein harter Krimi, Noir, Hardboiled, doch ein literarisch ausgefeilter Kriminalroman.
Die Leere und die Finsternis waren hier, um sie herum, in ihr. Sie kämpfte damit wie jemand, der im eisigen Wasser ertrank.
Die Sprache begeistert, die Tiefe der Figuren. Es geht aber nicht nur um Gewalt gegen Frauen, die systematisch auch in der Polizei ausgeübt wird, indem man wegschaut, alles herunterredet, die Frauen nicht ernst nimmt, wie mit Kolleginnen umgegangen wird, wie Prostituierte wie Dreck behandelt werden. Gewalt innerhalb der Polizei ist das Thema, Polizisten, ein Haufen von gewaltbereiten Machos, hormongesteuert, misogyn, rassistisch. Wir erleben Louise, die sich für ihren Sohn ein besseres Leben wünscht, die als Haushaltshilfe bei Senioren jobbt, von einem Haushalt zum nächsten hetzt, so manches aushalten muss. Und wir sind im Kopf von einem Killer. Durch die drei Perspektiven ist Hervé Le Corre immer dicht dran an seinen Protagonist:innen, dringt in ihre Gedanken ein. Harter Noir, sicher nichts für jedes Gemüt, aber klasse geschrieben. Jeder dieser Figuren hat Gewalterfahrung, die etwas aus ihnen macht. Das ist realistisch beschrieben, ohne voyeuristisch daherzukommen. Meine Empfehlung für diesen Gesellschaftsroman.
Die Toten der letzten Tage. Er weiß nicht, warum er derartig besessen davon ist, gerade er, der geglaubt hatte, sich damit abgefunden, sich ein dickes Fell zugelegt zu haben, den Kampf ohne große Verletzungen auszutragen, manchmal zwar benommen von dem Höllenlärm, der dabei entstand, der ihn aber nicht weiter störte und vielleicht jedes Mal ein bisschen mehr abstumpfen ließ.
Hervé Le Corre, geboren 1955 in Bordeaux, ist ein französischer Kriminalromanautor. Hervé Le Corre, geboren 1955 in Bordeaux, ist eine der großen Stimmen des zeitgenössischen französischen Kriminalromans. Er hat zahlreiche Preise für Kriminalliteratur gewonnen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Für Durch die dunkelste Nacht wurde er mit dem Prix des Lecteurs Quais du Polar / 20 Minutes 2022 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Prix France Bleu du Polar 2021.
Durch die dunkelste Nacht
Originaltitel: Traverser la nuit
Aus dem Französischen von Anne Thomas
Kriminalroman, Krimi, Polizeikrimi, Gesellschaftsroman, Bordeaux, Kriminalliteratur, Französische Literatur
Broschiert, 339 Seiten
Suhrkamp, 2024
Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
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