Rezension
von Sabine Ibing
Der verborgene Gast
von Michael Böhm
Ohne Namen, als ein Niemand Namenlos, bin ich der verborgene Gast bei Pia. Bei ihr suche ich Nähe und Wärme, die ich nur hier finden kann. Sonst überall ist mir kalt. In hellen Momenten weiß ich glasklar, dass ich an einem Scheideweg angelangt bin.
Er, der verborgene Gast und Pia sind eine Einheit. Sie gehören zusammen. Im Laufe der Geschichte resümiert er das Leben zu zweit in Rückblicken. Aber da sind noch andere Frauen ... Das ist in Ordnung, denn auch Pia liebt ihre Freiheit.
Wechselnde Perspektive zwischen Täter und Ermittler
Pia fühle ich mich inzwischen wieder so nahe, dass ich es wage, ihr nach einem harten Tag mit vergeblichem Ringen um gute Sätze vorzujammern, wie schwer ich mich immer wieder tue, die Sätze, die im Kopf so gut klingen, in gleicher Tonart auf das Papier zu bringen. Sie streicht mir über die Haare, sagt: ‹Schreibe deine innere Wahrheit, du kannst das, mein Lieber, und ich werde dich in meinen Armen mit dem Paradies auf Erden belohnen.›
Kriminalhauptkommissar Roth vom LKA ermittelt in einem Mordfall in Oberbayern, eine Wasserleiche. Eine weitere tote Frau im Schnee unter einem Kreuz an einer einsamen Stelle weist vom Tathergang Parallelen auf. Im Laufe der Ermittlungen stößt Roth auf Ähnlichkeiten zurückliegender Fälle. Könnte es Zusammenhänge geben? Abwechselnd blickt der Leser in die Ermittlung und in die Abgründe der Seele eines Mörders. Der Täter, Heimo Drache, ist ein bekannter Schriftsteller und Drehbuchautor, der sehr zurückgezogen lebt. Pia ist seine Muse, sein Rückzugsort, sein Halt. Doch nicht immer kann er seinen Dämon unterdrücken, Frauen das Genick zu brechen. Viel mehr sei nicht verraten.
Ein Lesevergnügen in Spannung, Sprache und Konstrukt
Ein Kriminalroman, dicht geschrieben auf 176 Seiten, der eine hohe Spannung erzeugt. Der Lesende kennt den Täter, denn der schreibt alles nieder in seinem Manuskript «Der verborgene Gast». «Gefühle, Gefühle, das Wort geht mir nicht aus dem Kopf», schreibt Heimo Drache auf – etwas, das ihm abhandengekommen ist, dass er nur spürt, wenn er bei Pia ist. Der Lesende ist dem Schreibenden auf der Spur, doch er entgleitet ihm immer wieder, denn der hat Erinnerungslücken. Gleichzeitig erleben wir, wie Kommissar Roth in Puzzlearbeit und Kombination Drache immer weiter auf die Spur kommt. Aus der Ermittlung wächst ein Gefühl von Zusammenhängen, daraus eine Ahnung, wer der Täter sein könnte – doch für beides benötigt er Beweise. Roth kann Drache nicht aufspüren, meint fast, einem Phantom nachzujagen. Psychologisch klug konstruiert mit Hochspannung. Zu jedem Mord, den der Kommissar hinzufügt, erinnert sich der Täter an sein Opfer. Einzelgeschichten, Perlen aneinandergeknüpft zu einer Kette von Opfern. Und am Ende wartet eine Überraschung, die der aufmerksame Krimifan bereits im letzten Drittel ahnt. Ich bin verwundert, dass dieser feine Noir-Krimi bisher so wenig Beachtung fand! Ein Lesevergnügen in Sprache und Konstrukt, meine Empfehlung!
Michael Böhm, der im Ruhestand in der Nähe von München lebt, schreibt seit seiner Jugendzeit. Der erste Teil seiner «Petermann» Trilogie mit dem Titel «Herrn Petermanns unbedingter Wunsch nach Ruhe» wurde 2014 für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert, im Jahr 2016 erhielt er die begehrte Auszeichnung für den zweiten Band «Herr Petermann und das Triptychon des Todes». Mit »Quo vadis, Herr Petermann?« schloss Michael Böhm die Reihe im selben Jahr ab.
Der verborgene Gast
Krimi, Kriminalroman, Noir, Noir-Krimi
Taschenbuch, 176 Seiten
Edition 211, Imprint des Bookspot Verlags, 2022
Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
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