Rezension
Sabine Ibing
Der Tag, an dem Lotto-Werner verhaftet wurde
von Jutta Wilke
Der Anfang:
Es ist Nacht geworden über dem Büdchen. Das große Verkaufsfenster ist fest verschlossen, die leeren Getränkekästen sind nach innen verräumt und die Stühle und Tische sind aneinandergekettet bis zum nächsten Morgen. Die meisten Menschen in dieser Stadt schlafen schon lange, was schade ist, denn sonst könnten sie sehen, wie zwei dunkle Gestalten sich auf Zehenspitzen dem Büdchen nähern.
Zwei Männer, der eine lang und dünn, der andere eher klein und rundlich. Der Kies knirscht unter ihren Schuhen, als sie den Platz überqueren und zu den Schaukeln laufen.
Finja ist sauer! Ihr Papa hat überhaupt keine Zeit mehr für sie, denn er ist verliebt, und ihr bester Freund Emil hat nur noch Augen für seine neue Freundin Juma. Überhaupt scheinen alle im Viertel den Verstand verloren zu haben. Kreuz und quer wird sich verliebt – es ist Frühling. Lotto-Werner hat sich ein Herz gefasst und plant, Gerda Wischnewski vor dem Büdchen einen Heiratsantrag zu machen. Kuchen, Sekt, Rosen – die Bewohner um das Büdchen sind eingeweiht und stehen bereit. Werner fällt auf die Knie, hält eine bewegende Ansprache. Und als er den Ring aus der Jackentasche zieht, springen zwei Polizisten hinzu – Werner ist verhaftet! Zum Glück ist Finja eine echte Detektivin und nimmt sich vor, diesen Fall lösen. Denn Werner ist garantiert kein Dieb. Es scheint, als müsse sie allein arbeiten. Auf einen Freund wie Emil kann sie nämlich gut verzichten – und erst recht auf diese Juma mit den unfassbar blauen Augen und der coolen pinken Haarsträhne … Oder etwa nicht?
Zu Beginn des Kinderkrimis erfahren wir – dies ist gar kein Buch, sondern Finjas Detektivinnen Notizbuch: «öffnen und darin herumschnüffeln strengstens verboten!!» Jetzt packt mich die Neugier … Auf der nächsten Seite gibt es den Code, um eine Geheimschrift zu lesen, den man wohl zum Entschlüsseln von geheimen Nachrichten benötigt. Nun folgt ein Prolog. Ein Prolog in einem Notizbuch? Gut, es ist eben nicht das, was die erste Seite verspricht – aber Seiten aus dem Notizbuch sind in den Kinderroman eingeflochten als Profile der Protagonisten. Wenn diese Behaupttung vorgesetzt wird, dann muss man es auch so gestalten. Die erste Enttäuschung. Bevor es nun losgeht, erhalten wir die 7 wichtigsten Detektivregeln.
Geschildert wird eine durchmischte Nachbarschaft in einer Mietshaussiedlung, Menschen, denen nicht viel Geld zur Verfügung steht. Finjas Vater ist Müllwagenfahrer, Emils Mutter führt die Trinkhalle, das Büdchen. Hier wohnen viele ältere Leute und dem ein oder anderen ist das Gehirn durchlöchert wie ein Sieb, auf der Bank schläft nachts ein Obdachloser. Eine illustre nette Gemeinschaft. Bis es nun endlich daran geht, den Fall zu bearbeiten, müssen zunächst die wichtigsten Protagonisten und die ganzen Beziehungen und Verliebtsein vorgestellt werden. Das war mir für eine Detektivgeschichte zu zäh, zu wenig Spannung. Langeweilig wird es allerdings nicht zwischen den Turbulenzen – kommt aber darauf an, was man erwartet. Die Geschichte selbst ist aus dem Bereich der Fantasie gestrickt – gut es ist ein Kinderbuch, von daher drücke ich im Groben ein Auge zu. Die Polizisten kommen hier eher wie Gangster daher und ihr Handeln entspricht nicht der Polizeiarbeit. Ich persönlich mag es doch eher realitätsbezogen. Auf jeden Fall ist das Buch humorvoll, fein geschrieben, sorgt für nette Unterhaltung mit warmherzigen Charakteren. Der Krimiplot ist wie gesagt, etwas schräg und weit hergeholt. Das Ende klingt so, als wenn die Autorin am Ende die Fäden zusammenführen müsste und einen Knoten reingesetzt hat. Die Auflösung passte so gar nicht und war recht unlogisch. Gibt es übrigens heute noch Frauen um die Fünfzig, die mit Kittelschürzen herumlaufen? Gibt es die überhaupt? Was für mich auffällig und unwirklich war, dass keins der Kinder ein Handy besaß und Internet benutzte. Um herauszubekommen, wer Frau von Kirschheim ist, wo sie wohnt, wird überlegt, in welchen Straßen reiche Leute wohnen und die werden dann Haus für Haus und Klingelschild abgegangen. Der Zufall hilft, damit es schneller geht. Ganz am Ende schaut ein Erwachsener mal für die Kids ins Netz … Ich meine, das ist ein neues Buch, spielt in unserer Zeit, es ist nicht Pünktchen und Anton und auch nicht Hogwarts! Das hat mich persönlich gestört – für mich war das irreal, wie so manches an der Geschichte.
Ulf K. setzt im Comicstil schwarz-weiß Illustrationen dazu, auch Finja handschriftliche Steckbriefe sind witzig gestaltet. Die Geheimschrift muss leider nicht entschlüsselt werden mit dem Code der ersten Seite, die Auflösung ist unter den Zetteln vermerkt. Ein Kinderbuch für mich mit einem lachenden und tränenden Auge: Herrliche Charaktere, turbulente, nette Geschichte. Ein ein Kinderkrimi, der eher ans Herz geht als ans Mitraten. Als Detektiv- und Kriminalgeschichten für Kinder ist der Plot bei mir völlig durchgerasselt. Kein schlechtes Buch, auf keinen Fall – nur bekommt man, was man erwartet? Der Coppenrath Verlag empfielt ein Lesealter ab 10 Jahren. Das passt für mich.
Jutta Wilke wurde 1963 in Hanau geboren und wuchs mit einer Schwester in Ronneburg auf, wo sie die Grundschule besuchte. Danach wechselte sie auf die Gesamtschule Langenselbold und anschließend auf die Hohe Landesschule in Hanau. 1982 machte sie ihr Abitur und studierte Jura an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Zwölf Jahre arbeitete sie als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, bevor sie 2004 ihre Tätigkeit als freie Autorin aufnahm. Heute lebt Jutta Wilke mit fünf Kindern und ihrem Lebensgefährten in Hanau und betreibt neben der Autorentätigkeit mit ihrem Partner ein Projekt zur Förderung der Salonkultur in Hanau. Außerdem leitet sie das Forum „Schreibwelt“ für deutschsprachige Kinder- und Jugendbuchautoren. Sie gibt Kurse im kreativen Schreiben für Kinder und Jugendliche und ist aktiv bei der Leseförderung bei Kindern. Wilke ist außerdem Mitglied der Autorenvereinigung „Das Syndikat“ und bei den „Mörderischen Schwestern“. Sie ist Mitglied vieler weiterer Vereinigungen. Ihr Debüt gab Wilke mit „Holundermond“ im Jahr 2011. Für „Wie ein Flügelschlag“ erhielt die Autorin ein Arbeitsstipendium des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. 2013 wurde „Wie ein Flügelschlag“ von der Autorenvereinigung „Das Syndikat“ für den Hansjörg-Martin-Preis nominiert. Ihr Roman „Schwarz wie Schnee“ Sauerländer wurde 2013 für den Landshuter Jugendbuchpreis sowie für die Segeberger Feder nominiert. Wilkes Roman „Die inneren Werte von Tanjas BH“, erschienen unter ihrem Pseudonym Alex Haas, wurde vom Magazin Focus Spezial unter die 100 besten Bücher des Jahres 2013 gewählt. Im Dezember 2013 erhielt Wilke für ihre Arbeit an dem Romanprojekt „Roofer“ ein Arbeitsstipendium des Landes Hessen.
Ulf K., geboren 1969 in Oberhausen, zeichnet Comics, illustriert Kinderbücher und arbeitet für Zeitschriften und die Werbung. 2004 wurde er als bester deutschsprachiger Comiczeichner mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Ulf K. lebt mit seiner Familie in Düsseldorf.
Der Tag, an dem Lotto-Werner verhaftet wurde
Kinderkrimi, Detektiv- & Kriminalgeschichten für Kinder, Kinderbuch, Kinderroman
Hardcover, 288 Seiten
Coppenrath, 2023
Lesealter: Ab 10 Jahren
Interview mit der Kinder- und Jugendbuchautorin Jutta Wilke
© Jutta Wilke |
Kinder- und Jugendliteratur
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