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Der Schneeflockensammler von Robert Schneider und Linda Wolfsgruber - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Der Schneeflockensammler 

von Robert Schneider und Linda Wolfsgruber


Der Anfang:

Im großen Land Amerika lebte ein kleiner Junge, der hieß Wilson Bentley. Seine Eltern waren Farmer und wohnten fernab der Stadt in einem weiß gestrichenen Haus mit drei mächtigen Schornsteinen. Hinter dem Haus lag ein kleiner See, an dessen Ufer alte Ulmen standen. Vor dem Haus breitete sich ein riesiger Garten mit Obstbäumen aus, darin weideten die Kühe und Howdy, der alte Hengst. Der Garten grenzte an die Hauptstraße, die so schnurgerade in den Horizont hinauslief, als führte sie direkt ans Ende der Welt.


Eine wunderschön poetisch geschriebene Geschichte über einen verträumten Jungen, der viel Zeit mit Nachdenken verbringt und fasziniert ist von den kleinen Dingen der Welt während der Jahreszeiten: den Eigenheiten der Blätter, der Steine und der Schneekristalle, die ihn besonders begeistern. Immer wieder entrückt Wilson Bently bei der Arbeit, beschäftigt sich mit den Details der Natur. Schau dir das Ulmenblatt an, es hat die gleiche Form wie der Baum, in der Mitte der Stamm, die Verästelung der Blattadern, wie ein kleiner Baum. 


Wilson senkte den Kopf. Er stocherte mit dem Löffel im Haferbrei. Dabei fiel ihm auf, dass der Brei die Form der sanft ansteigenden Hügel hinter dem Haus annahm. Wie interessant ...

‹Hörst du mir überhaupt zu, Sohn?›, fragte der Vater ungehalten.

‹Ich brauche noch etwas Zeit, Dad›, erwiderte Wilson.

 Manchmal glaube ich, dass du noch gar nicht auf dieser Welt bist», sagte Mr. Bentley resigniert.


Später werden Eiskristalle in ihren Formen seine Passion, der kurze Moment, bis sie zerschmelzen. Der Junge ist eben anders, sagt die Mutter, nimmt den Jungen so, wie er ist. Die Eltern unterstützen Wilson, besorgen ihm ein Mikroskop, einen Fotoapparat. Als Erwachsener hält Wilson vor den Dorfbewohnern einen Vortrag über seine Erkenntnisse – erntet nur Unverständnis. Doch sein Vater staunt, stellt fest, dass er die Welt noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet hat, das Ganze zu sehen, bis ins Detail. Wilson Bentley gab es wirklich, er fotografierte er mehr als 5.000 Schneekristalle. Sein 1931 veröffentlichtes Buch Snow Crystals enthält mehr als 2.400 seiner Fotos. Die Fotoplatten vermachte er dem Buffalo Museum of Science. Er brachte den Beweis: «No two snowflakes are alike.»




Robert Schneider hat diese Geschichte in einem leisen Tonfall gestaltet, luftig wie eine Schneeflocke. Bisher kannt ich lediglich seine hervorragenden Romane. Details betrachten, Rückschlüsse ziehen, beobachten. Einer, der eben anders ist als die anderen, ihn anzunehmen – ein Buch, das bereichert. Linda Wolfsgruber taucht die Erzählung in winterliches Blau-Weiß ein. Sie benutzt dabei eine Mischung aus Aquarellhintergründen, die mit Spritztechnik und Zeichenstift, sowie mittels Collagen zu Bildern geformt werden. Bild und Text harmonieren wunderbar in diesem winterlichen Buch, das inhaltlich wärmt. Die Altersempfehlung des Jungbrunnenverlags, ab 5 Jahren, geht für mich in Ordnung.



Robert Schneider, geboren 1961, wuchs in einem Bergbauerndorf in Götzis (Vorarlberg) auf, wo er noch heute als freier Schriftsteller lebt. Er studierte Komposition, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Wien, brach sein Studium ab, um Schriftsteller zu werden. Seinen Debütroman «Schlafes Bruder» veröffentlichte er 1992, nachdem das Manuskript zuvor von 24 Verlagen abgelehnt worden war. Das Buch wurde in 36 Sprachen übersetzt, verfilmt und fand Eingang in die Schullektüre.

Wolfsgruber, Linda wurde 1961 in Bruneck in Südtirol geboren. Von 1975 bis 1978 besuchte sie die Kunstschule in St. Ulrich in Gröden, Italien und machte anschließend eine Ausbildung zur Schriftsetzerin und Grafikerin. Von 1981 bis 1983 absolvierte sie die «Scuola del Libro» in Urbino, Italien. Seit 1984 arbeitet sie als freischaffende Illustratorin und Grafikerin in Florenz, Bruneck und Wien und leitet Zeichen- und Illustrationsworkshops, u.a. an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. 2016 erhielt sie den Österreichischen Kunstpreis. Linda Wolfsgruber lebt in Wien.


Robert Schneider, Linda Wolfsgruber 
Der Schneeflockensammler
Kinderbuch, Bilderbuch, Biografie
Gebunden, 32 Seiten, Format: 25,5 x 22,2 cm
Jungbrunnenverlag, 2020
Altersempfehlung: ab 5 Jahren


Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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