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Der Sandmann nach E.T.A. Hoffmann von Anna Kindermann - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Sandmann nach E.T.A. Hoffmann 


von Anna Kindermann und Dorota Wünsch


«Zu Bette! Der Sandmann kommt, ich merk es schon.»


Nathanael liebt seinen Vater, denn am Abend versammelt er die Familie um den runden Tisch, fragt, ob sie eine Geschichte hören wolle. Gejubel schallt durch den Raum! Und dann legt der Papa los. Wann immer der kleine Nathanael müde ist, erzählt ihm die Mutter vom geheimnisvollen Sandmann – ein böser Mann, der unartigen Kindern nachts die Augen stiehlt und diese auf dem Mond versteckt. Aber es gibt Abende, an denen hat der Vater keine Zeit für die Kinder. Immer dann, wenn der schauerliche Coppelius kommt, der Nathanael an den Sandmann erinnert. 



«Coppelius war ein breitschultriger Mann mit einem unförmig dicken Kopf, erdgelbem Gesicht, buschigen Augenbrauen und grünlich funkelnden Katzenaugen. Besonders die großen, haarigen Fäuste jagten dem Jungen Angst ein.

‹Auf zum Werk!›, rief Coppelius mit heiserer Stimme. Sein schiefer Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen.»


Kommt Coppelius ins Haus, häufen sich Unglücksfälle. Und dann geschieht etwas Schreckliches ... Clara und Lothar, die Kinder eines Freundes der Eltern werden aufgenommen, weil sie Waisen geworden sind. Zu Clara entwickelt Nathanael eine tiefe Freundschaft, aus der Liebe wird. Nathanael muss die Familie für eine Zeit verlassen, beginnt sein Studium in einer fernen Stadt; den Sandmann hat er längst vergessen. Sein Professor unterstützt den fleißigen jungen Mann und er bekommt sogar ein eignes Zimmer. Eines Tages klopft es und ein Wetterglashändler betritt den Raum, der verdammt dem entsetzlichen Coppelius ähnelt.



Von seinem Zimmer aus blickt Nathanael in die Wohnung seines Professors, wo er jeden Tag die schöne Olimpia, seine Tochter, beobachtet. Der Student verfällt in eine irrsinnige Liebe. Der gruselige Klassiker von E. T. A. Hoffmann aus der Zeit der schwarzen Romantik, der Spätromantik, neu erzählt für Kinder von Anna Kindermann. Fremde Mächte, entsetzliche Maschinen, die wir heute als Roboter bezeichnen würden, werden erfunden. Alchemie und Mechanik – ein Roman, ein Märchen seiner Zeit. Eine Epoche, in der man literarisch das Phantastische bevorzugte, eine Blütezeit für die Wissenschaft, der Naturwissenschaften. Romantik versus Aufklärung – so könnte man die Geschichte zusammenfassen. Und speziell in der «schwarze Romantik», versus der «positiven Romantik», befassten sich die Autor*innen mit Leid und Verzweiflung, Lebenskrisen. Der teuflische Sandmann hier sammelt Augen, fordert die von Nathanael, als er erwischt wird, als er den Mann mit dem Vater belauscht: «Augen her, Augen her!» Der Vaters kann es zwar verhindern, zahlt aber einen Preis. Der Weg in den Wahnsinn beginnt wahrscheinlich an dieser Stelle – kristallisiert sich aber erst später heraus. 



Kindgerecht in moderner Sprache erzählt Anna Kindermann das schaurige Werk E. T. A. Hoffmanns in sehr verkürzter Form – die Originalsätze sind kursiv gesetzt. Dorota Wünsch liefert die Illustrationen dazu. Die Zeichnungen geben den Zeitgeist der Erzählung wieder, Setting, Kleider, Frisuren, Möbel, passen sich so gut in die Geschichte ein. Sie hat satte, warme Farben gewählt, großformatig. Sonnengelb, Moosgrün satte Rottöne bis Weinrot, Erdfarben lassen die Szenen leuchten, geben dem historischen Stoff Authentizität und Atmosphäre. Der Kindermann Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 8 Jahren. Text, Textlänge und Inhalt halte ich für diese Altersgruppe nicht für geeignet, schon gar nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Stoff. Ich empfehle das Buch ab 10 Jahren.


Anna Kindermann, geboren 1987 in Berlin, studierte und arbeitete u.a. in China und Frankreich, ehe sie 2015 die Bereiche Marketing und Foreign Rights im Kindermann Verlag leitete. Im Jahr 2020 übernahm sie die Geschäftsführung von ihrer Mutter Barbara Kindermann, der Verlagsgründerin sowie Autorin der Reihe “Weltliteratur für Kinder”. «Die zwölf Arbeiten des Herkules» aus der Reihe «Sagen für Kinder» war ihr Debüt als Autorin.Dorota Wünsch, geboren 1962 in Lodz (Polen), studierte an der Kunstakademie Lodz und an der Universität Mainz. Sie arbeitet als freischaffende Illustratorin für verschiedene Verlage und lebt in Saarbrücken.

Dorota Wünsch, geboren 1962 in Lodz (Polen), kam nach einem Studium an der Kunstakademie Lodz über ein Gaststipendium nach Deutschland und studierte Kunst an der Universität Mainz. Seit 2003 illustriert sie Bücher für verschiedene Verlage und erhielt mehrere Preise. Dorota Wünsch lebt in Saarbrücken und hat drei mittlerweile erwachsene Kinder.



Anna Kindermann, Dorota Wünsch
Der Sandmann nach E.T.A. Hoffmann
Serie: Weltliteratur für Kinder
Kinderbuch, Bilderbuch, Märchen, Klassiker, schwarze Romantik, Kinder- und Jugendliteratur
Fester Einband, Halbleinen, 36 Seiten, 22 x 30 cm
Kindermann Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 8 Jahren


Interview mit Anna Kindermann

Anna Kindermann hatte zunächst vier Jahre die Bereiche Rechte & Lizenzen, Marketing sowie Design des Kindermann Verlag geleitet, für die sie auch weiterhin zuständig ist. Als Geschäftsführerin trat sie nun die Nachfolge ihrer Mutter an: Die Verlagsgründerin Barbara Kindermann (64) hat zum Jahresende 2019 ihre Tätigkeit als Verlagsleiterin des Kinder- und Jugendbuchverlags beendet. Der Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinder an klassische Literatur, Maler, Musiker und Entdecker heranzuführen – Klassik für Kinder in Bilderbüchern aufbereitet.

Hier geht es zum Interview:   Interview mit Anna Kindermann





Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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