Direkt zum Hauptbereich

Der Holländer von Mathijs Deen - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Der Holländer 


von Mathijs Deen 



‹Und haben Sie Ihren Freund nicht gesucht?›, fragt Hans.

‹Oder versucht, ihn zu retten›, ergänzt Jürgen.

Peter schweigt und schaut die beiden abwechselnd an. ‹Sie sind wohl noch nie im Watt unterwegs gewesen›, sagt er schließlich. ‹Sie haben offensichtlich keine Ahnung.›


Opperwachtmeester Geeske Dobbenga befindet sich auf der letzten Fahrt mit dem Patrouillenboot - eine Abschiedsfeier, denn sie wird in den Ruhestand gehen und mit ihr das Schiff. Doch im Wattenmeer stößt das Team auf einen Toten. Sie retten den Körper, bevor die Flut ihn ins Meer hinausträgt, bringen ihn nach Delfzijl. Wer ist für die Leiche nun zuständig? Der Tote war Deutscher, und sein Fundort liegt in umstrittenem Grenzgebiet einer Sandbank – beide Länder behaupten, das Stück Schlick gehöre ihnen. Die Bundespolizei See in Cuxhaven sendet den Ermittler Liewe Cupido in die Niederlande, um schon mal vorsichtig zu ermitteln – natürlich ohne direkten Auftrag – denn die Sache sei ja klar, der Tote gehöre ihnen. Liewe Cupido ist auf der niederländischen Insel Texel aufgewachsen, hat einen niederländischen Vater, drum nennen ihn die Kollegen den Holländer.


Der große Tag


‹... diesen deutschen Staatsbürger an uns übergeben, zusammen mit allen Unterlagen und dem Beweismaterial, das sie auf De Hond vorgefunden haben.›

‹Kollege ...›

‹Wir können in einer Stunde in Delfzijl sein, den Toten übernehmen und Sie in aller Kolligialität von diesem Fall erlösen.›

‹De Hond ist niederländisches Gebiet.›

‹Ach du liebe Güte, van der Wal, tun Sie sich selbst und uns den Gefallen›


Und bald ist klar, der Extremwattwanderer ist nicht ertrunken, sondern erstickt. Drei Freunde betreiben das intensive Wandern durch die Gezeiten, Wanderungen durch das Wattenmeer, die nur zu bestimmten Zeiten möglich sind, einer guten Vorbereitung und Ausrüstung bedürfen. Sie wandern zu Fuß vom Festland zu den Inseln. Nur noch Borkum fehlt auf ihrer Liste. Der Tag, auf den sie so lange gewartet haben, ist gekommen. Allerdings sagt einer vom Team ab. Er befindet sich in England, seine Frau ist krank, er will sie nicht alleine lassen. Die beiden anderen begeben sich auf die gefährliche Wanderung. Doch in einer heiklen Situation in einem Priel zieht der Vordermann in der Dunkelheit plötzlich ein leeres Seil ein. Was ist geschehen?


Atmosphärische literarische Kriminalliteratur

Interessant ist die Beschreibung des Extremwattwanderns – ich persönlich hatte davon noch nie gehört. Allein im Watt – ähnlich dem Wüstenwandern, man muss die Orientierung behalten, Halluzinationen treten auf, manchmal steht man tief im Wasser, eine Art Hochzelt wird aufgebaut, um bestimmte Flutungen zu überbrücken. Eine faszinierende Welt von Hoch- und Niedrigwasser und Schlickebenen bei Nipptide tut sich in diesem literarischen Krimi auf. Nebenbei geht es auch um den Ems-Dollart-Vertrag von 1960, um dem schwelenden Streit zwischen Deutschland und den Niederlanden, wo die Grenzen im Watt verlaufen. Der Streit der Schlickbeißer – wem gehört der Sand? Die Charaktere sind ohne Tiefgang gezeichnet, aber genügend für die Vorstellungskraft des Lesers, glaubwürdig, maulfaule Wattwurmtreter. Denn um die geht es in diesem Roman weniger, sie sind nur der Zweck. Atmosphärische literarische Kriminalliteratur – wat geht ab im Watt? Der Holländer kommt der Sache auf die Spur – keine einfache Nuss, die er zu knacken hat. Nicht nur ein Krimi für Nordseeliebhaben. 


Mathijs Deen, geboren 1962 in Hengelo, ist ein niederländischer Schriftsteller und Radioproduzent. Er studierte Niederländisch in Groningen und arbeitete danach bei Radio Noord. Zu den von ihm veröffentlichten Büchern zählen Romane, Kolumnensammlungen und ein Band mit Kurzgeschichten. Unter den Menschen erschien erstmals 1997 und wurde 2016 in einer überarbeiteten Fassung als Wiederentdeckung gefeiert, in deren Zug auch die Filmrechte verkauft wurden.


Mathijs Deen 
Der Holländer
Originaltitel: De Hollander
Aus dem Niederländischen übersetzt von Andreas Ecke
Krimi, literarischer Krimi, Kriminalliteratur, Niederländische Literatur, Wattenmeer
Gebunden mit Schutzumschlag, 272 Seiten
Mare Verlag, 2022




Der Schiffskoch von Mathijs Deen


Ein bemanntes Feuerschiff, auf engsten Raum zusammengedrängt, doch jeder ist hier für sich allein, jeder hat seine Gründe, hier gelandet zu sein. Zu den Mahlzeiten kommt man zusammen, genießt die Geselligkeit, doch dann zieht es die Einzelgänger in ihre persönlichen Rückzugsorte. Ein Böckchen, das alles durcheinanderwirbelt, ein Unwetter, das alles verschluckt, ein Koch im langen Delirium der Malariaanfälle. Eine nette Novelle, humorig, aber gleichzeitig mit Tiefgang. Eine feine Lektüre für Meeresfreunde, Schiffsliebe, gegen Meersucht.

Weiter zur Rezension:  Der Schiffskoch von Mathijs Deen




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo

  1983 , der Polizist Noah Scott ist besessen davon, den Serienmörder Bible John zu erwischen. Er steht im Verdacht, Frauen, die aus Diskotheken verschwanden, nie wieder auftauchten, ermordet zu haben. Seit Jahren ist Noah an dem Fall dran, und er glaubt, den Täter identifiziert zu haben. Er folgt John Clyde und es gelingt ihm, auf seinem persönlichen Friedhof die Handschellen anzulegen – doch dann krampft sich etwas in seiner Brust zusammen und es wird schwarz vor seinen Augen … Ein spanischer literarischer Thriller vom Feinsten! Weiter zur Rezension:    Wenn das Wasser steigt von Dolores Redondo