Direkt zum Hauptbereich

Der Große Reset von Ika Sperling - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing






Der Große Reset 


von Ika Sperling



… wegen IRGENDWAS, was IRGENDJEMAND IRGENDWO im INTERNET gesagt hat!


Ein Weinanbaugebiet, irgendwo in der deutschen Provinz: Während eines Kurzbesuchs in ihrem Heimatdorf muss die Studentin Ika feststellen, dass ihr Vater immer weiter in die Tiefen des Internets abgetaucht ist und sich dabei in Verschwörungsideologien verloren hat. Im Alltag geben sich zwar alle Familienmitglieder große Mühe, Diskussionen zu Krieg, Impfen und Politik aus dem Weg zu gehen, doch die zunehmende Entfremdung des Vaters und der Familie scheint unaufhaltbar. Eine Katastrophe bahnt sich an.




Während ihre Mutter sich ein harmonisches Wochenende wünscht und ihre Schwester, die sich ständig über den Vater und seine neue Weltvorstellung aufregt, am liebsten nur ihre Ruhe sucht, versucht Ika herauszufinden, was eigentlich der Stand der Dinge ist: Hat ihr Vater etwa wirklich das Haus verkauft und will nach Spanien auswandern? Oder ist das nur sein Gerede, Geschwätz der Dorfbewohner, der Familie? Beim Lesen dieser Graphic Novel lief es mir eiskalt über den Rücken. Denn es ist eine wahre Geschichte, eine intime Erzählung aus der Familienkiste: Wie Papa zum Schwurbeler wurde und die Familie sprengte. In einem Interview sagt sie, dass, wenn man es ganz genau nimmt, die Veränderung des Vaters mit Verschwörungstheorien zu 9/11 begonnen hat, er später auf die AfD-Erzählungen über die «Flüchtlingswelle» reingefallen ist und sich immer mehr im Internet in seiner Bubble verstrickte, die mit Corona ihren Höhepunkt erreichten. Der Vater konnte den Comic nicht mehr sehen, da er 2023 verstarb. Die Autorin wollte diese Story schreiben, allerdings nicht aus der Perspektive des Vaters, sondern aus der eigenen, zeigen, was das mit ihr macht, mit ihrer Familie. Das ist ergreifend. 





Die Verschwörungstheorien werden nur angedeutet, kommen am Rande vor, denn darum geht es nicht. Die kennen wir alle. Der Vater selbst wird nicht als Figur dargestellt, sondern als Wassersack, der hin und wieder ein wenig leckt. Der hängt vor seinem PC oder im Sessel, redet von denen da oben und was demnächst alles Schreckliches passieren wird im Land. Die Mutter spielt alles herunter, versucht, ein normales Familienleben aufrecht zu erhalten. Die Schwester ist nur noch genervt. Gefühlvoll, aber auch mit trockenem Humor und schonungslosem Blick gelingt Ika Sperling, den gesellschaftlichen Konflikt aufzuzeigen, dabei innerfamiliäre Beziehungen und Emotionen freizulegen und dabei das Große im Kleinen widerzuspiegeln. Eine Ehe geht kaputt, eine Familie bricht auseinander. Weinfest auf dem Dorf – auch das ist gut getroffen. Und hier lernen wir die Unterstützer des Vaters kennen; denn allein ist er mit seiner Meinung nicht. Miteinander diskutieren ist ein, aber wenn die Positionen so verhärtet sind, kann man nicht mehr miteinander reden. Und doch gibt es kleine Gemeinsamkeiten, Sympathie, ein wenig Wärme im Miteinander. Die Illustrationen, Aquarell mit Zeichenstift, konzentrieren sich in der Hauptsache auf die Protagonisten, zwischendurch Gruppengeschehen, Landschaft, das Haus im Querschnitt, meist kleine Panels, bis hin zur Doppelseitigkeit. Ein klasse Comic, eine gesellschaftspolitische Graphic Novel, eine Familiengeschichte. Allage – von mir Empfehlung ab 14 Jahren.





Ika Sperling geboren 1996 in Mainz, hat an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg Illustration studiert. 2023 erhielt sie als erste Comic-Autorin ein Stipendium als Rottweiler Stadtschreiberin, und wurde außerdem mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet. Ika Sperling lebt und arbeitet in Hamburg und ist dort Teil des Organisationsteams des Comicfestivals.




Ika Sperling
Der Große Reset 
Comic, Graphic Novel, Verschwörungstheorie, Familiengeschichte
Hardcover, 176 Seiten, 17.5 x 23.2 cm
Reprodukt Verlag, 2024




Graphic Novel, Comic, Grafisches  

Für die Fans von Comis / Graphic Novels und sonstigem Gezeichneten, wie Satire. Hier auf dieser Seite zusammengefasst.  Alle Altersgruppen. Graphic Novel, Comic, Grafisches

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor.

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Eisbären von Marie Luise Kaschnitz illustriert von Karen Minden

Marie Luise Kaschnitz war in meiner Jugendzeit meine Lieblingsautorin und so war für mich dies von Karen Minden illustriere Buch ein Genuss, Bleistiftzeichnungen, die sich wunderschön mit der Kurzgeschichte verbinden. »Eisbären«, die Novelle ist Kaschnitz-Fans geläufig: Eine Frau hatte schon geschlafen, wacht auf vom Geräusch des Türschlosses. Endlich kommt ihr Mann nach Hause. Doch er macht kein Licht. Ein Einbrecher? Seine Stimme bittet sie, das Licht nicht auszulassen. Sie soll die Wahrheit erzählen – damals im Zoo – auf wen habe sie gewartet? Weiter zur Rezension:    Eisbären – Novelle von Marie Luise Kaschnitz, illustriert von Karen Minden

Rezension - Scandor von Ursula Poznanski

  Die Lüge lässt deine schlimmsten Albträume wahr werden. Es ist eine Challenge der besonderen Art, auf die Philipp und Tessa sich einlassen: Hundert Menschen treten an, um einen einzigartigen, unfehlbaren Lügendetektor zu testen, der am Körper installiert wird: Scandor. Wer lügt, fliegt aus dem Rennen und muss sich seinen tiefsten Ängsten stellen. Die Person hingegen, die am Ende übrigbleibt, erhält ein Preisgeld von fünf Millionen Euro. Philipp und Tessa brauchen beide das Preisgeld – die anderen natürlich auch; und so fordern sich die Teilnehmer gegenseitig heraus. Doch irgendetwas stimmt hier nicht! Jugendroman ab 14 Jahren. Weiter zur Rezension:    Scandor von Ursula Poznanski 

Rezension - Das Buchmaultier von Córdoba von Wilfrid Lupano und Léonard Chemineau

  Das Kalifat von Córdoba im Jahre 976: Unter den Herrschern al-Rahman III. und seinem Sohn al-Hakam II. erblühte das Reich im Zeichen von Frieden, Kultur und Wissenschaft auf den Zenit. Die Hauptstadt Córdoba gilt als unangefochtene Perle des Okzidents, als al-Hakam II. jung verstirbt. Der Wesir Amir nutzt die Gunst der Stunde, um die Macht im Kalifat an sich zu reißen. Unterstützt wird er von religiösen Fundamentalisten. Der Preis für ihre Unterstützung ist hoch: Die 400.000 Bücher der Bibliothek von Córdoba sollen dafür auf dem Scheiterhaufen enden. Am Vorabend der größten Bücherverbrennung der Welt sind der Eunuch Tarid, der Bibliothekar, und seine Kopistin Lubna, panisch damit beschäftigt, so viele Bücher wie möglich einzusammeln und zu retten. Nur wie? Ein Comic, der berührt, klasse geschrieben und gezeichnet, mit historischem Hintergrund zur Buchverbrennung. Graphic Novel Allage ab 14 Jahren als Jugendbuch. Empfehlung Weiter zur Rezension:    Das Buchmaultier von Córdoba von Wil

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Gras unter meinen Füßen von Kimberly Brubaker Bradley

  Das Jahr, als ich leben lernte  Die neunjährige Ada hat die Wohnung noch nie verlassen, denn ihre Mutter hat sie weggesperrt und behauptet, Ada sei zurückgeblieben. Dabei hat sie lediglich einen Klumpfuß. Ada darf nicht in die Schule gehen. Als ihr Bruder Jamie mit anderen Kindern 1939 während des Zweiten Weltkriegs aus London aufs Land evakuiert werden soll, um der Bombardierung zu entgehen, entscheidet Ada, dass sie gemeinsam gehen werden. Zusammen schleichen sie sich aus dem Haus zur Sammelstelle; der Weg ist eine Tortour für Ada. So beginnt ein großes Abenteuer für die Kinder wie auch für Susan Smith, die Frau, die gezwungen ist, die beiden bei sich aufzunehmen. Empfehlung für das hervorragende Jugendbuch ab 11 Jahren! Weiter zur Rezension:    Gras unter meinen Füßen von Kimberly Brubaker Bradley

Rezension - Sumpffieber von Vicente Blasco Ibáñez

  Schön, dass immer wieder alte Klassiker neu aufgelegt werden – denn diesen spanischen Roman sollte man kennenlernen. Wer das Gebiet um das valencianische Albufera kennt, ist gleich mittendrin in diesem Drama. Vicente Blasco Ibáñez beschreibt die Lagunenlandschaft Albufera, die heute ein Hauptanbaugebiet für Reis ist, sehr atmosphärisch. Allerdings befinden wir uns im späten 19. Jahrhundert. Im Mittelpunkt von steht die Familie Paloma, die in El Palmar lebt; Hauptfiguren sind der Spross Tonet und sein Großvater Paloma. Ein spannender, spanischer Bildungsroman, ein Drama. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Sumpffieber von Vicente Blasco Ibáñez

Rezension - Groll von Gianrico Carofiglio

Carofiglio entwickelt eine Geschichte von Schuld und einem tiefen, menschlichen Groll. Ein einflussreicher Mailänder Chirurg und Universitätsprofessor stirbt unerwartet an einem Herzinfarkt; der Arzt bescheinigt den natürlichen Tod, die Leiche wird eingeäschert. Doch die Tochter, Marina Leonardi, geht von einem Verbrechen aus, wendet sich an Penelope Spada, eine ehemalige Staatsanwältin, heute Detektivin ohne Lizenz. Widerwillig übernimmt sie den schier aussichtslosen Fall, der zur dramatischen Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit wird. Als Krimi würde ich diesen Roman nicht bezeichnen, aber es ist Kriminalliteratur. Ein literarischer Kriminalroman mit starken Charakteren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Groll von Gianrico Carofiglio

Rezension - Die Toten von Thunder Bay von Douglas Skelton

  Für diesen Krimi, der als erster Teil einer Serie geplant ist, entwirft Douglas Skelton die fiktive schottische Insel Stoirm, einen Ort mit turbulentem Wetter und dunklen Geheimnissen, und stellt die junge Journalistin Rebecca Connolly in den Mittelpunkt des Romans. Sie bekommt den Tipp, dass ein gewisser Roddie Drummond zur Beerdigung seiner Mutter auf die Insel zurückkehren wird. Er wurde vor 15 Jahren angeklagt, seine Freundin Mhairi Sinclair bestialisch ermordet zu haben. Doch mangels Beweisen wurde er freigesprochen. Es könnte auf der Insel ein wenig rundgehen ... Ein wildes Schottland mit zerklüfteten Felsen in der Brandung, Naturspektakel, bewohnt von einer eigenwilligen Sorte Mensch auf den Inseln, authentisch transportiert mit einer glaubhaften Geschichte, die all das zusammenbringt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  Die Toten von Thunder Bay von Douglas Skelton