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Das Haus in dem Gudelia stirbt von Thomas Knüwer - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Das Haus in dem Gudelia stirbt 


von Thomas Knüwer



Wieder treibt etwas vorbei. Müll und Unrat. Was ist das? Ungewöhnlich hell und klein. Ragt kaum aus dem Wasser. Feingliedrig und dünn. Ich stutze. Sind das … Finger? Ich stehe auf, das Glas kippt um. Jesus Maria, das sind Hände! Fahle Haut im Taschenlampenlicht. Direkt dahinter noch zwei! Ich packe die Taschenlampe, lenke den Schein übers Wasser. Vier Hände hinter zwei Rücken. Zwei Körper. (…) Die Arme wirken unnatürlich verrenkt, die Hände liegen eng zusammen wie im Gebet. Schwarze Streifen schneiden in die Haut. Ich kneife die Augen zusammen, stütze mich auf die nasse Fensterbank. Kabelbinder! Jetzt erkenne ich es. Dünne schwarze Linien an den Handgelenken. Sie wurden gefesselt! Beide! Ich bekreuzige mich.

Eine Sturmflut sucht das kleine Dorf Unterlingen heim, Wassermassen drängen die Anwohner aus ihren Häusern – nur eine bleibt: Gudelia. Das Dorf ist evakuiert, sie hatte sich in ihrer Wohnung in der ersten Etage versteckt, auf Klingeln und Lautsprecher nicht reagiert. Sie kann in der Nacht nicht schlafen, zu laut ist das Wasser. Schweineleichen aus dem Mastbetrieb treiben im Mondlicht vorbei. Doch was ist das? Gudelia schaut genau hin; zwei Köper treiben vorbei, trudeln, werden vom Wasser gedreht, die Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt. Gudelia ist völlig allein im Dorf. Denn sie hat etwas zu verbergen. … Sie will ihr Haus nicht verlassen, um keinen Preis, denn es könnte herauskommen, was sie hier seit 1984 verbirgt. Damals, als ihr 15-jähriger Sohn Nico tot im Straßengraben aufgefunden wurde, den Schädel zertrümmert; eine Familie zerstört. Ein Vater, der das alles nicht verkraften konnte, der zu saufen anfing. Eine starke Mutter, die herausfinden wollte, wer dafür verantwortlich war. Eine zertrümmerte Ehe.


Atmosphärisch die Überschwemmung beschrieben


Früher habe ich mir ein Haus am See gewünscht, jetzt habe ich eine Wohnung in den Fluten.

Das Eingangsszenario ist spannend, heftig. Kein Krimi, aber ein Kriminalroman, der sich mit Schuld und Sühne auseinandersetzt. Die zwei gefesselten Leichen im Wasser, waren überflüssig, lassen den Leser zunächst denken, es ginge um diese Geschichte. Immerhin wird dies Verbrechen kurz am Ende in ein paar Sätzen aufgeklärt. Die Ich-Erzählerin Gudelia nimmt uns mit in das Jetzt der Überschwemmung. Eindringlich beschreibt Thomas Knüwer das Ausmaß der Zerstörung, die Gerüche, den Schlick, der in den unteren Wohnbereichen steht – wie das Schwein, das mit aufgequollenem Bauch in der Wohnung unter Gundelia im Wohnzimmer liegt; hereingeschwemmt durch die zerborstenen Scheiben. Sie findet ein kleines Ferkel – was ihr ziemlich egal ist; das aber Gundelia hinterherläuft, in ihrer Wohnung gelangt - der einzige Sympathieträger im Buch neben dem Feuerwehrmann. Und leider löst sich das Ferkel irgendwo in Luft aus, der Autor hat es vergessen. In der Mitte hängt die Geschichte, lebt von Wiederholungen, manches ist etwas ausgewalzt. 


Interessant - aber mit Schwächen


Schuld schwimmt oben.

Die Leichen am Anfang sind lediglich ein Aufhänger, damit der Lesende auch weiterliest. Hier geht es um Gundelia, um den Tod ihres Sohnes, eine Geschichte, die in Rückblicken in dosierten Häppchen geliefert wird. Dummerweise habe ich nach einem Viertel gewusst, was das Problem in dem Haus ist. Altbekannter Krimistoff wird geliefert. Die Flut in ihrem zerstörerischen Ausmaß ist atmosphärisch und beeindruckend mit allen Sinnen geschildert – Daumen ganz hoch. Die Gesamtgeschichte hat mich teilweise gelangweilt, weil sie so oft erzählt wurde und offenlag wie ein Maisfeld – der Tod des Kindes, das Zerbrechen der Ehe; und selbst das Geheimnis. Ich liebe Geschichten, die nicht im Mainstream geschrieben sind nach gängigem Konzept – doch letztendlich war es dann genau das – seit Edgar Ellen Poe, Hitchcock usw. Leider wurden wichtige Stränge abgeschnitten: Ferkel verschwunden, Nico nicht mehr als eine Leiche. Thomas Knüwer hat eine Menge Personal aufgefahren und hat gute Figuren geschaffen, die glaubhaft agieren. Es geht hier um Nico, von dem wir nicht mehr erfahren, als dass er ermordet wurde. Schade, weil der Protagonist für mich wichtig war. Alle anderen Personen um das Geschehen erhalten ein Profil. Insgesamt ein interessanter Kriminalroman – schon weil er nicht dem ewigen gleichen Konzept unterliegt. Aber mir fehlten Dinge von Gewicht, einige Szenen waren zu weit ausgewalzt, zu wiederholt für mich. Ich war enttäuscht, weil alles das passiert, was man von Anfang an ahnt, mit einer geringfügigen Abweichung. Da fehlte mir schlicht die Finesse. Fazit: Gutes Mittelmaß.


Thomas Knüwer wurde 1983 im Münsterland geboren. Der studierte Grafik-Designer arbeitet in der Werbe- und Kommunikationsbranche und leitet eine Digitalagentur in Hamburg. Seine Kampagnen wurden vielfach national und internationale ausgezeichnet. Thomas Knüwers schriftstellerische Laufbahn begann im Selfpublishing, »Das Haus in dem Gudelia stirbt« ist sein Verlagsdebüt.



Thomas Knüwer
Das Haus in dem Gudelia stirbt
Kriminalroman, Kriminalliteratur, Hochwasser
Broschiert, 290 Seiten 
Pendragon, 2024









Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

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