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Das Haus am Rand der Welt von Henry Beston - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Haus am Rand der Welt 


von Henry Beston


Denn es ist falsch von der Monotonie des Ozeans zu sprechen … hören Sie ihr aufmerksam zu, und sie werden darin unterschiedliche Klänge entdecken: dumpfes Dröhnen und tiefes Grollen, helles Trommeln und Trampeln, zischendes Sieden und schrilles, pistolengleiches Knallen. Platschen, flüstern, unterlegt mit dem Mahlgeräusch von Steinen, die aufeinanderreiben und manchmal sogar von Stimmen, die wie aufgeschnappte Fetzen eines Gesprächs klingen, das vom Meer herüberweht.



Ein Mann, ein Jahr, ein Haus auf Cape Cod – der Klassiker des Nature Writing von 1926 ist erstmals auf Deutsch erhältlich. Henry Beston bezieht ein kleines Holzhaus am Meer, das er sich im Jahr zuvor hat bauen lassen, um dort seinen Urlaub zu verbringen. Geplant waren zwei Wochen, doch er bleibt ein ganzes Jahr. In diesem Jahr beschreibt er die Natur mit allen Sinnen: Farben, Gerüchen, Geräuschen, den Himmel, das Meer, Strand und Sand, Dünen, die sich jeden Tag verändern, den Rhythmus der Gezeiten, Wetterformationen.




Nature Writing ganz groß

Cape Cod, an der Ostküste der USA, am letzten und entlegensten Stück Festland hatte der Unidozent, Kriegsreporter und Kinderbuchautor 1926 sein Holzhaus, «Fo'castle», Vorschiff, auf einer Düne bauen lassen, das er im September bezog: zwei Zimmer, 30 Quadratmeter Fläche, bestückt mit zehn Fenstern, die ihm den Ausblick nach allen Seiten ermöglichte, für die Tage, an denen man sich nicht hinauszutrauen wagen würde. Aus seinem Kurzaufenthalt wurde ein ganzes Jahr – fast ein Eremitendasein, ein Leben auf der Entschleunigungsspur, in Zweisamkeit mit der Natur, Flora und Fauna, beobachtet, atmosphärisch dargestellt im Wechsel der Jahreszeiten. Und schon vor 90 Jahren nahm er das Thema Raubbau an der Natur auf, Umweltverschmutzung. Das Buch keinen Deut an Wichtigkeit verloren. Wer das Nature Writing liebt, der wird sich hier gefangen nehmen lassen!

Wenn nachts die Sterne leuchten, kommen die Tiere an den Strand. Im Norden jenseits der Dünen, verlassen Bisamratten das Kliff, um im angeschwemmten Holz und Tang herumzustöbern. … Im Herbst durchkämmen Stinktiere am frühen Abend den Strand, um ihre Speisekamer aufzufüllen. Das Stinktier ist ein Genießer, dem Völlerei abhold ist.

No book, no marriage

Besten schreibt so, dass man das Gefühl hat, man sitze mit ihm am Strand, beobachte Vögel, das Wachstum der Pflanzen, die Lichtverhältnisse in den Jahreszeiten, rieche die salzhaltige Luft, den Tang, den Geruch der Vögel, beobachte ihr Flugverhalten, vernehme ihre Kommunikation, spüre die Sonne und den Wind auf der Haut, streife sich Sandkörner von den Händen. Der Autor wollte seine Aufzeichnungen nicht veröffentlichen. Doch seine Verlobte war so von den Texten angetan, dass sie ihm drohte: Veröffentlichung, oder: «No book, no marriage.»

Halten Sie Ihre Hand schützend über die Erde wie vor eine Flamme.


Henry Beston, geboren 1888 in Quincy (Massachusetts), 1968 in Nobleboro (Maine) gestorben, war Autor zahlreicher Bücher. Er studierte in Harvard und unterrichte anschließend an der Universität Lyon, bevor er als Englischdozent nach Harvard zurückkehrte. Das Haus am Rand der Welt erschien 1928 und wurde umgehend zum Erfolg.


Henry Beston 
Das Haus am Rand der Welt
Originaltitel: The Outermost House –  A Year of Life on the Great Beach of
Cape Cod, 1926
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Rudolf Mast
Mit einem Nachwort von Cord Riechelmann
Erzählungen - Nature Writing
Leineneinband mit Lesebändchen im Schuber
224 Seiten
Mare Verlag, 2018

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