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Cold Water von Adrian McKinty - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Cold Water 


von Adrian McKinty


Der Anfang:

Die Nacht schlängelt sich über den Horizont im Osten. Eine verborgene Sonne versinkt in einem fremden Meer. Der Nebel riecht nach Rost und Fäulnis wie ein altes Fahrrad.


Der katholische Polizist Sean Duffy verlässt seine evangelischen Nachbarn in Belfast samt Pulverfass Nordirland, zieht mit seiner Familie nach Schottland. Er wird nur noch in Teilzeit an gesonderten Aufgaben wenige Tage im Monat anwesend sein. Sylvester 1990, die Zukunft kann nur noch besser werden. Er hat die Nase voll von Irland, hat Angst um seine Familie. Steigt er in sein Auto ein, kontrolliert er vorher, ob auch keine Bombe am Unterboden angebracht ist. Dies ist sein letzter Fall im aktiven Dienst: Kat McAtamney wird vermisst, 15 Jahre alt, angehörig einer Traveller-Familie. Um die Wohnwagen-Leute macht man  nicht viel Gewäsch, insbesondere, wenn hier ein Teenager verschwunden ist – eben abgehauen, wie so oft. Sean Duffy gibt sich aber Mühe, wenn ein Mädchen verschwindet, schon aus Prinzip – es ergibt sich jedoch kein Anzeichen von einem Verbrechen. Doch dann wird das Auto von Kat im Fluss gefunden. Wie kam das Mädchen an ein eigenes Auto? War dies ein Unfall oder steckt doch ein Verbrechen dahinter? Ihre Leiche wird nicht gefunden, sie kann durch die Strömung herausgespült sein, bereits im Atlantik gelandet sein. Die Sache lässt Duffy keine Ruhe. Sein letzter Fall darf nicht ungelöst sein!


Großartigen Dialoge

Er meinte, die Tinkermädchen würden doch andauernd verschwinden, und keinen würde das einen Scheiß interessieren. Außer dass er, ähm, nicht Scheiß gesagt hat.›

‹Und was meint der Chief Inspector, was wir tun sollen?›

‹Nichts. Wir sollen den Papierkram zu dem Überfall zu den Akten legen und im Computer registrieren und uns dann höflich von der Bühne verabschieden und die Abteilung Sergeant Lawson überlassen.›

‹Weil sich niemand einen Scheiß für eine vermisste Tinkerin interessiert?›

‹So der Kern seiner Bemerkungen.


Im Originaltitel heißt dieses Buch: «The Detective Up Late» – warum man dann im Deutschen einen anderen englischen Titel wählt, ist mir ein Rätsel. Für mich ist es der erste Band dieser Serie – ich bin trotz sechs Vorgängern gut hineingekommen. Das Tinkermädchen scheint als Escortgirl gearbeitet zu haben. Und in ihrem Wagen findet Duffy ein Tagebuch mit Namen und Telefonnummern von drei Männern. Hat einer von ihnen etwas mit dem Verschwinden von Kat zu tun? Ohne Leiche kein Verbrechen. Der Icherzähler ist per du mit dem Leser, plaudert aus seinem Leben, aus seiner Sicht der Dinge. Der Thriller ist süffig geschrieben, mit großartigen Dialogen bestückt. Eine gute Milieustudie in Tinkerfamilien (so nennt man in GB die Nichtsesshafte, die in Wohnwagen umherziehen, eine soziokulturelle Gruppe irischen Ursprungs: Tinker, Gypsie, Itinerant oder Irish Traveller). Es gibt Vorurteile auf beiden Seiten und der Nachhall der IRA-Zeit liegt in der Geschichte noch pulvrig in der Luft. Ein spannender, atmosphärischer  und stilistisch guter Krimi mit einem Plot, der Stück für Stück die Fäden entwirrt – am Ende ein nicht zu erwartendes Ende liefert.


Zeit, weiterzuziehen. In etwas mehr als einem Jahr würde ich vierzig sein, doch in Nordirland sind vierzig wie andernorts fünfzig, und vierzig Jahre und nordirischer Polizist war wie sechzig. Und ich war außerdem katholischer Polizist, rechnen Sie sich das mal selbst aus.


Adrian McKinty, geboren 1968 in Belfast, zählt zu den wichtigsten nordirischen Krimiautoren. Nach einem Philosophiestudium an der Oxford University verschlug es ihn nach New York und Denver, wo er verschiedenste Jobs annahm, vom Barkeeper bis zum Rugbycoach. Nach einigen Jahren in Melbourne, Australien, lebt der preisgekrönte Autor und Journalist mit seiner Familie heute wieder in New York.


Adrian McKinty   
Cold Water 
Originaltitel: The Detective Up Late
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Thriller, Krimi, irische Literatur
Taschenbuch, 376 Seiten
Suhrkamp Verlag, 2020




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

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