Direkt zum Hauptbereich

Wellness von Nathan Hill - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing





Wellness 


von Nathan Hill

Gesprochen von Uve Teschner
Ungekürztes Hörbuch Spieldauer: 21 Std. und 9 Min.


Als Jack and Elizabeth 1993 ein Paar werden, spricht alles gegen sie. Doch der junge Fotokünstler und Kunstdozent mit ländlichen Wurzeln und die Psychologiestudentin aus gutem Hause heiraten - und erleben in der vibrierenden Kunstszene Chicagos aufregende erste Jahre. Tobi wird geboren, ein Kind mit Anlaufschwierigkeiten, man zieht in die Vorstadt. Was ist klüger: Jetzt eine Apfeltasche zu essen, oder fünfzehn Minuten abzuwarten und dann zwei Apfeltaschen zu bekommen? Der achtjährige Toby stopft sich sofort die Apfeltasche in den Mund. Wir kennen den Marshmallow-Test, um die Intelligenz bei Kindern zu bewerten … Am Ende des Romans zeigt uns Toby, was er dabei wirklich im Sinn hatte, wie sehr man all diese Untersuchungen in Frage stellen muss. Nicht alles läuft glatt in dieser Ehe. Inmitten von Achtsamkeitsseminaren, polyamourösen Bekanntschaften, schrillen Immobilienträumen und Entfremdung droht ihre Ehe zu scheitern. 


 Viele wichtige gesellschaftliche Themen 


Geschichten haben nur Kraft, solange man an sie glaubt, und als Elizabeth in der Küche saß …, fragte sie sich, ob ihre gemeinsame Geschichte nicht ebenfalls bloß ein hübsch herausgeputztes Placebo war, eine Geschichte, die sie beide glaubten, weil sie sich dabei wie etwas Besonderes fühlten.

Elizabeth arbeitet als Leiterin des Wellness-Instituts, das Placebo erforscht, dabei feststellt, dass der Glaube an die Wirkung den Menschen zu unglaublichen Veränderungen bringen kann. Sie will eine gute Mutter sein und liest alle psychologischen Untersuchungen und richtet sich bei der Erziehung von Toby nach der neuesten Forschung. Dieser satirische Roman hat viele kleine Einzelgeschichten, Randgeschichten um andere Personen, er geht zurück in die Familiengeschichten und sammelt viele wichtige gesellschaftliche Themen zusammen, ohne jemals langweilig zu werden. Trotz allem Humors sind die Figuren aufrichtig und authentisch, ein Stück von ihnen steckt in uns allen. Sehr gut hat mir gefallen der Part um Jacks Vater, der plötzlich in Verschwörungsmythen steckt, sich im Netz durch die Algorithmen verstrickt und in einer Bubble sitzt, sich immer tiefer hineinreitet, so dass Vater und Sohn, die gerade wieder ein Stück zueinandergefunden haben, sich schnell wieder entfremden. Die gesellschaftliche Spaltung der USA wird deutlich – es scheint, als leben die Menschen auf zwei verschiedenen Planeten. Ebenso die herrlichen Placebo-Experimente, die Erfindung des Liebestranks. 


Ein grandioser Roman!


Jedes Stück fester Boden ist nichts als dünne Luft – das hat man ihnen (im Kunststudium) beigebracht. Die Realität ist etwas künstlich Gefertigtes. Wahrheit existiert nicht. Und zwanzig Jahre später nimmt er genau die entgegengesetzte Position ein.

Ein fantastischer Gesellschaftsroman, ein Bildungsroman mit fein austarierten Figuren. Jack, das Landei, einer der sich immer entschuldigt für nichts und wieder nichts. Zum Ende werden wir den Grund verstehen, ein Ereignis aus seiner Kindheit. Elizabeth ist der gestandene Gegenpol, sie stammt aus einer betuchten Familie, bei der die Generationen durch manche Tricks und Gaunereien zu noch mehr Geld gelangten. Was hält Paare zusammen?, so die Grundgeschichte. Doch es gibt so viele kleine Randgeschichten, die erwähnenswert wären, die beeindrucken, Lacher hervorrufen, die nachdenklich machen, ein Stöhnen auslösen, die ein grusliges Schaudern verursachen, gesellschaftskritische Themen. Bei der Vielfalt wundert man sich am Ende, wie der rote Faden das alles so gut und so spannend zusammenhält. Ein grandioser Roman!



Nathan Hill, geboren 1976 in Cedar Rapids, Iowa, lebt in Chicago und St. Paul, Minnesota, wo er an der University of St Thomas Englische Literatur unterrichtet. Seine Erzählungen erschienen in zahlreichen Magazinen und Zeitungen, sie waren nominiert für den Pushcart und den Barthelme Preis. "Geister" ist sein erster Roman und wird derzeit in über zwanzig Sprachen übersetzt.




Nathan Hill
Wellness
Gesprochen von Uve Teschner
Ungekürztes Hörbuch Spieldauer: 21 Std. und 9 Min.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Dirk van Gunsteren und Stephan Kleiner Gesellschaftsroman, Bildungsroman, Zeitgenössische Literatur, Amerikanische Literatur
OSTERWOLDaudio, 2024
Piper Verlag, 2024, Hardcover 736 Seiten



Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane






Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna

  Ein alter Mann lebt in einem Haus am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Eines Tages kommt ein hungriger Hund zum Haus, der sich nicht herantraut. Der Mann stellt Futter hin und geht zurück ins Haus. Jeden Tag kommt der Hund am Morgen und am Abend, und weil er so knochendürr ist, nennt der Mann ihn Osso, schließt den Streuner ins Herz. Eine wunderschön erzählt und illustrierte Geschichte über die Beziehung Mensch und Hund. Allage, ab 10 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna