Direkt zum Hauptbereich

Unsere entscheidenden Jahre von Martin Häusler - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Unsere entscheidenden Jahre 


von Martin Häusler

Welche Grenzen überschritten sind, wo wir noch gestalten können, wer uns daran hindert


Je länger wir warten, desto radikaler werden die Lösungen sein müssen!



Dieses Buch löst große Emotion aus, ein Wechselbad aus Wut und Tränen. Gut, vieles davon war mir bekannt, aber nicht alles. Komprimiert löst das Lesen Wut auf Konzerne aus und Wut auf die dummen, bequemen Menschen. Wir wissen seit vielen Jahrzehnten sehr genau, warum unser Planet zugrunde geht. Wir kennen alle wissenschaftlichen Zusammenhänge und Wirkmechanismen. Wir wissen auch längst, wie man es besser machen könnte. Und doch geht es kaum voran. Parteien, die sich dafür einsetzen, den Klimawandel zumindest zu verlangsamen (verhindern können wir es nicht mehr), werden von großen Teilen der Bevölkerung abgewatscht. Sie wollen sich nicht einschränken und auch nicht die Rechnung für ihre jahrelange Verschwendung und Verschmutzung bezahlen. Sie sagen, sie wollen sich nicht bevormunden lassen. Und damit die Politiker ihre Pöstchen nicht verlieren, rudern die Umweltparteien zurück. Und das macht wütend! Warum? Das kann man in diesem Buch nachlesen.



Seit der ersten Klimakonferenz kennen die Kohlendioxid-Emissionen nur einen Weg – den nach oben. Das Gleiche gilt fürs Artensterben, für die Entwicklung der Müllmengen, des Einsatzes von Pestiziden, der Entwaldung, Bodenversiegelung und Luftverschmutzung. Aber wir wissen auch, wer die Schuldigen dieses bislang ungebremsten Ökozids sind und wie sie die nötige Transformation behindern und aufschieben. UN-Generalsekretär António Guterres hat sie öffentlich benannt: Es sind wenige Großkonzerne! Ihr entfesselter Wachstumshunger hat dazu geführt, dass planetare Belastungsgrenzen überschritten sind, Kipppunkte erreicht werden und unsere Gesundheit gefährdet ist. Neun Millionen Menschen sterben jedes Jahr durch Zerstörung und Vergiftung der Umwelt. Und genau darum geht es in diesem Buch. In fünf Sphären: Klima, Luft, Wasser, Boden und Biodiversität erklärt Martin Häusler faktenreich, was schief läuft und er beschreibt, wer die Haupttäter sind. Als Beispiel Coca Cola, die in San Cristolal de las Casas in Mexiko seit 1994 täglich Millionen Liter Grundwasser abpumpen und in Coca Cola umwandeln. Was ist daran verwerflich? Die Stadt mit 216.000 Einwohnern hat ein großes Wasserproblem. Das wenige Leitungswasser für die Einwohner ist stark gechlort, nicht trinkbar und in heißen Monaten müssen Tankwagen mit Trinkwasser die Stadt beliefern, während Coca Cola munter weiter vertragsgemäß das Grundwasser abzapft. Meine «Lieblingsfirma» Nestlé kommt auch darin vor, die noch schlimmer im Bereich Wasser agiert. Das Recht auf Zugang zu sauberem Wasser ist glücklicherweise am 28. Juli 2010 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen als Menschenrecht anerkannt worden. Bolivien und 33 andere Staaten hatten die Resolution eingebracht. Leider ist es rechtlich nicht bindend und auch nicht einklagbar. Und Menschenrechte haben die Multis der Welt noch nie interessiert.



Was würde denn tief greifend, sofort und - gemessen an den vermiedenen Tonnen CO2 – am meisten nutzen? … Im Energiesektor wäre es die Umstellung auf Solar- und Windkraft sowie die Methanreduzierung bei Öl, Kohle, Gas. Im Agrarsektor wäre am meisten getan, indem man die Umwandlung von natürlichen Ökosystemen verringert, die Landwirtschaft zur Kohlenstoffspeicherung beitragen würde sowie Ökosysteme wiederhergestellt und wieder aufgeforstet würden. Im Infrastruktursektor dominiert die Effizienzsteigerung bei Gebäuden. Im Industriesektor die Umstellung auf andere Kraftstoffe.



Schon mal was von Familie du Pont gehört? Nein? Sie besitzen ein Vermögen von ca. 16 Milliarden Doller und gehören zu den 17 reichsten Familien der USA. Kriegsgewinnler – der Anfang lag in einer Firma, die 1802 Schießpulver herstellte. Kriege gab es genug in Amerika und gigantische Gewinne zogen sie aus dem Ersten Weltkrieg; keine geschätzte Familie – aber sie erhielten den Auftrag die Atombomben zu bauen. Munition und Chemie, ein Chemiekonzern, der mit Kühlmitteln experimentierte und durch Zufall Teflon, PFOA, erfand. Ein Wundermittel zur Beschichtung – nur leider toxisch – die Familie wurde noch reicher. Mitarbeiter, die sich vergifteten, Menschen, deren Trinkwasser vergiftet wurden, weil Dupont ihr Gift in den Ohio pumpte, obwohl sie um die Gefahr wussten – und gewissenlos ihre Produkte weiter verkauften, denn die Beimengung von PFOA wurde erst 2019 weltweit verboten. Warum ist eigentlich unser Straßenstaub giftig? Der Reifenabrieb von Autos und Fahrradreifen ist toxisch, da wir den feinen Abrieb samt seiner Chemikalien einatmen. Man könnte giftfreie Autoreifen herstellen – macht aber kein Reifenhersteller. Realistische Rettung kann für unsere Welt nur noch erlangt werden, indem wir noch in diesem Jahrzehnt radikale Lösungen vorantreiben, Erkenntnisprozesse auslösen und gesellschaftlichen, politischen und juristischen Druck ausüben auf diejenigen, die ihre alten Geschäftsmodelle durchziehen wollen, wenn wir die Ausbeutung unserer Erde beenden und ein Stück zurückdrehen. Ein brutales Buch, dass offen darüber redet, wo es klemmt und was zu tun ist. Es gibt Interviews mit Umweltpolitikern, Ökologen und Juristen, die die Schuldigen konkret benennen und zur Rechenschaft ziehen wollen. Obendrein ist das Layout herrlich gemacht durch Vignetten mit Großbuchstaben und einer Menge an Illustrationen. Die erschreckende Erkenntnis, die hier gezogen wird: Leider versagt die Vernunft der Menschen – die Habgier siegt, und der einzige Weg scheint der der Juristen zu sein, die Übeltäter zu verklagen. Einige Erfolge konnten diesbezüglich im Regenwald bereits gefeiert werden. Das Buch ist Allage, richtet sich in der Aufmachung an junge Leser. Für mich sollte es Pflichtlektüre in Schulen sein. Eignet sich auch gut als Unterrichtsmaterial; drum von mir empfohlen von 14 bis zu den Urgroßeltern! Unbedingt lesen! 



Und Hey, ihr Klimakleber und Kunstbeschmutzer, klebt euch dahin, wo die Ursachen sitzen! Klebt euch vor die Einfahrten der Produzenten und Wiederverkäufer, damit kein Lieferwagen rein und raus kann, stellt euch vor den Supermarkt und demonstriert gegen Konzerne, ruft zum Boykott auf, redet mit den Menschen! Dann erreicht ihr die Menschen, denen ihr überzeugen wollt. Sich auf die Straße zu kleben und normale Menschen zu behindern, ist billig und macht die wütend, die ihr erreichen wollt. In diesem Buch findet ihr genug Adressaten, die richtigen zu boykottieren!


Martin Häusler, geboren 1974, studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Geografie und Soziologie. Seine journalistische Karriere begann er bei der Rheinischen Post, er arbeitete mehrere Jahre frei für den WDR-Hörfunk in Köln. Seit 2000 lebt er in Hamburg, wo er für Gruner+Jahr und Axel Springer tätig war – u.a. als Reporter und Ressortleiter. Mit dem Schritt in die Selbstständigkeit im Jahr 2009 widmete sich Häusler verstärkt Themenfeldern, die sich mit den ökologischen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit sowie deren Lösungen auseinandersetzen.



Martin Häusler
Unsere entscheidenden Jahre
Welche Grenzen überschritten sind, wo wir noch gestalten können, wer uns daran hindert
Umwelt, Umweltzerstörung, Klimawandel, Ökologie, Umweltsünden, Unterrichtsmaterial
Durchgehend 4-farbig mit zahlreichen Grafiken und Illustrationen
Klappenbroschur 224 Seiten, 16 x 24 cm
Europaverlag, 2024


Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
Sachbücher





Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Die Lotsin von Mathijs Deen

  Was geschah auf dem Forschungsschiff? Kaum hat vor Helgoland eine Übung des niederländischen, deutschen und dänischen Grenzschutzes begonnen, geht bei der Küstenwache ein Notruf ein. Eine Klimaforscherin , die mit einem US-Forschungsschiff auf dem Weg von Grönland nach Kiel war, wird vermisst. Xander Rimbach , Ermittler der Bundespolizei See , geht an Bord. Zunächst weist alles auf einen Suizid hin. Rimbach drückt aber das Bauchgefühl, dass hier ordentlich gemauert wird. Irgendetwas stimmt nicht auf diesem Schiff. Ein literarischer Krimi, Kriminalliteratur vom Feinsten. Weiter zur Rezension:    Die Lotsin von Mathijs Deen

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck