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The Blacker the Berry von Wallace Thurman - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



The Blacker the Berry 

von Wallace Thurman


Der erste Satz:

Schwerer als jemals zuvor spürte Emma Lou die Bürde ihrer tiefschwarz glänzenden Haut, spürte wieder den Fluch dieser Farbvariante, die sie so deutlich von den Menschen ihrer Umgebung unterschied.

Ein Harlem Renaissance-Klassiker - erstmals auf Deutsch: Idaho, Ende der 1920er-Jahre Emma Lou ist schwarz, schwarz wie Ebenholz, entstammt aber einer Familie, in der man stolz auf die Hellhäutigkeit ist. «Die Großeltern mütterlicherseits waren beide hellhäutige Nachkommen von weißen Plantagenbesitzern, die diese mit ihren Sklavinnen in außerehelichen Verhältnissen gezeugt hatten.» Wie konnte so was nur passieren, woher diese Farbe? Wenn sie doch nur ein Junge wäre, würde das Drama sich in Grenzen halten, wiederholt ihre Mutter gebetsmühlenhaft. Die schwarzen Kinder spielen nicht gern mit ihr, denn sie ist pechschwarz. Nach einem sehr guten Schulabschluss geht es ans College in L.A. Dort wird alles besser werden. Nur ein Traum. Keine Einladungen zu Partys, keine Freunde. Man spricht nicht mit ihr, nur über sie: «Niemand kann die ansehen, ohne dass er grinsen muss.» Darky nennen die Blaublütigen sie, Hottentotten. Blaublütig nennen sich die Hellhäutigen, weil sie eben so hell sind, dass man unter der Haut ihre blauen Adern sehen kann. Rassenhass innerhalb der Rasse. Bereits zur Sklavenzeit verschonte man die Hellhäutigen, die ja das Blut der Herren in sich trugen; sie wurden eher für die Hausarbeit eingesetzt, mussten nicht auf dem Feld schuften. 


Ihr war ein wunderbares erstes Studienjahr in Los Angeles versprochen worden, und was sie stattdessen bekommen hatte, war die Erkenntnis, dass die Menschen in der Großstadt sich mitnichten von den Kleinstädtern unterschieden. Onkel Joe hatte unrecht gehabt, ihre Mutter und Großmutter hatten Recht behalten – für ein tiefschwarzes Mädchen gab es auf dieser Welt keinen Platz.


Emma Lou ist hin- und hergerissen zwischen ihren eigenen Vorurteilen, Träumen und Erwartungen. Nach dem Studium zieht sie nach New York, nach Harlem, denn sie glaubt, in diesem Schwarzenviertel wird sie Respekt erlangen. Sie wird enttäuscht. Bereits bei der Wohnungssuche wird es nicht einfach, ein Mädchen, das die Tür öffnet ruft: «Mama, monkey chaser will das Zimmer sehen!» In den Arbeitsvermittlungsbüros fragt man sie nicht nach ihrer Ausbildung. Studienabschluss, eine Arbeit im Büro, Buchhaltung? Lächerlich. Mit der Hautfarbe gibt es vieleicht etwas in der Verpackung, in der Küche, Reinigungshilfe oder Ähnliches. Auch ihre Suche nach der großen Liebe erweist sich weiterhin als schwierig.


Es ist doch so, dass die Menschen immer das Bedürfnis haben, über etwas oder jemandem zu stehen, aber wenn es nur ein Haustier oder eine Maschine ist, bringt das viel weniger Genugtuung, als wenn es sich um einzelne oder eine ganze Gruppe von Mitmenschen handelt, denen man sich überlegen fühlen kann. Gehört man nun selbst zu einer herumgeschubsten, angeblich minderwertigen Gruppe, wird das Bedürfnis nach Überlegenheit sogar noch stärker. Bei den Hellhäutigen kommt eben noch hinzu, dass sie sich den Weißen viel näher als den Schwarzen fühlen ... zuallererst sind wir Menschen und nur zufällig schwarz oder weiß.


Ich dachte immer, Toni Morisson wäre die erste Farbige gewesen, die sich des Themas Rassismus innerhalb der afroamerikanischen Gesellschaft angenommen hatte, ein Thema, dass sie auf Grund eigener Lebenserfahrung in ihren Romanen immer wieder aufgenommen hat. Aber bereits Wallace Thurman beschreibt in diesem 1929 erschienenen, autobiografisch inspirierten Debütroman diese rassistischen Strukturen und zeigt die verschiedenen Facetten von Ausgrenzung und Mehrfachdiskriminierung. Man möchte beim Lesen Emma Lou in den Arm nehmen. Sie ist «dark meat», dem man besser aus dem Weg geht, so wie man auch nur eine Nuance hellhäutiger ist. Es gibt am Ende des Buchs ein Glossar mit Selbstbezeichnungen und Erklärungen der verschiedentönigen Hautfarben und eine mit Schimpfworten. Dort gibt es die Erklärung für Pinks, die auch in diesem Roman vorkommen, verächtlich für hellhäutige Schwarze, die als Weiße leben wollen. Egal, was Emma Lou tut, wie sehr sie sich anstrengt, sie bekommt keine Anerkennung, findet nicht ihren Platz in der Gesellschaft auf Grund ihrer Hautfarbe. Das Glück in Harlem? Anfangs war es für sie undenkbar, mit diesen ungebildeten Dienstleuten auszugehen, Portiers, Chauffeure, Schuhputzer – sie, die auf dem College war. Aber es bleibt ihr nichts anderes übrig. Ironischerweise verschmäht sie ihrerseits tiefschwarze Männer, die sie für minderwertig hält, und lässt sich mit einem hellhäutigen ein, ein arbeitsscheuer Typ – der sie nimmt, weil sie ihn aushält; aus keinem anderen Grund. In der Öffentlichkeit mag er nämlich nicht gern mit ihr gesehen zu werden. 


Die fünf Abschnitte dieses Romans enden je mit einer Entscheidung oder einer Offenbarung der Protagonistin. Emma Lou ist fleißig, gibt nie auf, kann nicht fassen, was man ihr antut. Und sie braucht lange, um zu verstehen, was um sie herum passiert und dass sie sich selbst im Weg steht, wenn sie an ihren Träumen festhält. Verachtung für Frauen, Verachtung der Ethnien gegenseitig, innerhalb der Ethnie, hier wird nichts ausgelassen. Wallace Thurman schreibt in einer distanzierten Erzählhaltung – und das ist gut so, denn sonst wäre das Drama kaum zu ertragen. Er beschreibt Zustände, klagt nie an. Nebenbei entsteht ein komplexes Porträts von Harlem dieser Zeitepoche, einem lebendigen Stadtteil in New York. Auch nach fast 100 Jahren hat der Roman noch den Schliff, spannend, berührend und aktuell zu sein. Im Nachwort erfahren wir von Karl Bruckmaier, Wallace Thurman wurde nur 32 Jahre alt. Selbst von dunklerer Hautfarbe litt er sehr stark unter der Diskriminierung, starb an «Alkoholismus, Depressionen, Tuberkulose und dem ganzen Rest». Der Titel spielt auf eine afroamerikanische Volksweisheit an: «The blacker the berry, the sweeter the juice.» – ziemlich ironisch gewählt.


Wallace Thurman, geboren 1902 in Salt Lake City, studierte an der University of Southern California und ging nach dem Abschluss 1925 nach Harlem. 1926 wurde er Herausgeber der Zeitschrift The Messenger und gründete wenig später u.a. mit Langston Hughes und Zora Neale Hurston das literarische Magazin Fire!!, das zur wesentlichen Plattform der Harlem Renaissance wurde. Sein Theaterstück Harlem: A Melodrama of Negro Life in Harlem wurde 1929 am Broadway uraufgeführt. Er starb im Alter von nur 32 Jahren an Tuberkulose.


Wallace Thurman
The Blacker the Berry 
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Heddi Feilhauer
Mit einem Nachwort von Karl Bruckmaier
Klassiker, zeitgenössische Literatur, Rassismus, amerikanische Literatur, Drama
Gebunden, Halbleinen, 220 Seiten
ebersbach & simon Verlag, 2021 



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