Direkt zum Hauptbereich

Terra Alta – Die Erpressung von Javier Cercas - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Terra Alta – Die Erpressung 


von Javier Cercas


Katalonien steht seit eh und je unter der Fuchtel von einer Handvoll Familien, das war die ständige Rede meines Vaters. Die hatten vor Franco das Sagen, während Franco und nach Franco und werden noch das Sagen haben, wenn wir beide tot und begraben sind. Das Geld hat etwas Magisches, ist unsterblich, übernatürlich. Geld ist das Größte.


Ein spannender politischer Krimi (der 2. der Trilogie «Terra Alta») aus Katalonien, der eine gewissenlose ewige Elite bloßlegt, die mit Kumpanei und Korruption das Land, bzw. die Hauptstadt Barcelona regiert. Junge Burschen, die Eliteschulen und Eliteuniversitäten besuchen, denen nichts passieren kann, weil ihre Papas und deren durchtriebene Anwälte immer alles irgendwie zu regeln wissen ... 


Die Elite Kataloniens


... der Procés hätte Barcelona (2017) völlig umgekrempelt. Stimmt aber nicht. Der Procés hat fast nichts verändert. Weder in Barcelona noch in Katalonien oder sonstwo: Der Procés hat bloß Winzigkeiten, Nebenschauplätze verändert, damit im Grunde alles beim Alten bleibt. Eben darum ging es. Deshalb wurde die Bewegung ja von denen losgetreten, die hier schon immer das Heft in der Hand halten und die Leute als Kanonenfutter benutzen.


Javier Cercas hat bereits den «Prix du livre européen» und für seinen Roman «Terra Alta» (1) den Planeta-Preis (zweithöchstdotierter Literaturpreis der Welt und höchstdotierter Literaturpreis der spanischsprachigen Welt) erhalten: Melchor Marin, einst Comisario in der Abteilung Entführung und Erpressung in Barcelona, hat sich nach Terra Alta, einer abgelegenen Wein-Region in Katalonien, versetzen lassen, nachdem er einen Terroranschlag verhindert hatte. Er will sich nun auf ruhigem Posten mehr um seine Tochter kümmern. Nebenbei studiert er Bibliothekswissenschaften, plant, nach der Prüfung in einer Bibliothek zu arbeiten. Doch dann bittet ihn sein ehemaliger Chef und guter Freund, Inspector Blai, für ein paar Tage zurückzukehren zu den Mossos d'Esquadra – nur zur Aushilfe in einem sehr heiklen Fall. Die Bürgermeisterin von Barcelona, Virgina Oliver, wird mit einem Sex-Video erpresst. Melchor lässt sich überreden. Zunächst behauptet die Bürgermeisterin, sie könne sich nicht vorstellen, worum es sich hierbei handeln könne. Sie sei ihrem Mann treu gewesen und nach der Scheidung gäbe es auch nichts, was auf einem Videoband gelangt sein könne. Doch schnell bekommen die Ermittler heraus, dass dies gelogen war.


Was steckt wirklich dahinter?


‹... kennst du jemanden im Rathaus?›

‹Im Rathaus? Sag mal, für wen hältst du mich, Kleiner? Ich verkehre nur mit ehrenwerten Leuten, und man findet eher eine jungfräuliche Nutte als einen ehrenwerten Mann im Rathaus.


Es ist glasklar, um welches Video es sich handelt; der Tipp wird von einem Akteur gegeben. Denn vor der Heirat hatte die Bürgermeisterin als junge Studentin einen flotten Vierer: dabei der Exmann, sowie der heutige zweite Bürgermeister und ein heute bekannter Geschäftsmann. Versteckt für die Frau, heimlich filmend hinter der Kamera ein vierter Mann, ein weiterer Schul- und Studienkamerad der Elitejungs. Wenn dieses Video veröffentlicht würde, wäre dies ein riesiger Skandal – insbesondere für die Bürgermeisterin, ihre Karriere wäre beendet. Den Männern würde es kaum schaden, es sind ja Männer und Jugendsünden.


«Da schreibt jemand einen Roman über dich und du liest ihn nicht mal?» 


Denn Puigdemont war gläubig, ein Taliban, der kreuzernst nahm, was für uns bloß ein Spiel war, ein Manöver, eine Strategie, um gut aus der Krise zu kommen. Für ihn war es das nicht.


In einem Unterstrang lernt der Leser den Filmenden kennen, der irgendwem ein Geständnis ablegt. Stück für Stück entblättert sich das Kleeblatt der jungen Studenten und das weitere Schicksal in ihrem Leben. Der Leser ist den Ermittlern ein Stück voraus. Die Suche nach dem Erpresser gestaltet sich schwierig, weil er seine Spuren fein verwischt und sich in elektronischer Währung bezahlen lassen will. Javier Cercas ist ein erbitterter Gegner der katalonischen Separatistenbewegung, für ihn kleine Gruppe alter einflussreicher Familien, die die Katalonier aufhetzen, Mächtige, die die Bürger bestehlen, um sich zu bereichern, um am Schalthebel der Macht zu sitzen; das alles unter dem Deckmantel: fürs Vaterland. In diesem Grundton versteht sich auch der vorliegende Krimi. Amüsant ist ein Einschub: Melchor wird immer wieder auf den erfolgreichen Krimi «Terra Alta» angesprochen, der von ihm handele. Ob es wahr wäre, was dort über sein Leben geschrieben steht, ob er wirklich als Jugendlicher im Knast gesessen habe, dort «Les Misérables» gelesen, das Buch ihn dazu gebracht habe, Polizist zu werden? Ob seine Mutter wirklich eine Nutte gewesen sei, die man ermordet habe? Melchor hat den Krimi nicht gelesen: «Da schreibt jemand einen Roman über dich und du liest ihn nicht mal?» Melchor ist dem Erpresser nun auf der Spur. Und ganz nebenbei entblättert er Stück für Stück die Unmoral und die Skrupellosigkeit von ein paar mächtigen Psychopathen. Das Ende bekommt noch einen Dreh, deckt einen Rachefeldzug auf und andere Dinge. Wer Spanien ein wenig kennt und sich mit Katalonien beschäftigt hat, hält den Roman keinesfalls für Hirngespinste, sondern für eine fein beobachtete Gesellschaftskritik.


Spannend mit ausgefeilten Charakteren


 Als die Demokratie kam, hat der katalanische Nationalismus die Kleptokratie einer bestimmten Klientel etabliert. Das heißt, die Regionalregierung bestahl die Bürger und teilte die Beute unter der Regierungspartei und ihren Familien auf, allen voran der Präsidentenfamilie.


Die Charaktere sind fein ausgearbeitet und jeder ist ein Typ für sich, selbst in den Nebenrollen. Cercas schreibt schnörkellos, distanziert, fast im Stil einer Reportage. «Mit den rechten Leuten wird man was», sagte der Vater eines Protagonisten. Such dir die als Freunde und sie helfen dir weiter. Mit den Linken hat man keine Chance, so der Tenor. Ein spannender Krimi, der ganz nebenbei ein politisches System demaskiert. Klasse!


Javier Cercas, geboren 1962 in Ibahernando in der spanischen Extremadura, lebt als Schriftsteller, Publizist und Universitätsdozent in Girona. Mit seinem Roman «Soldaten von Salamis» wurde er international bekannt. Heute ist sein Werk in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Für «Der falsche Überlebende», erhielt er u.a. den Prix du livre européen 2016 und den chinesischen Taofen-Preis 2015 für das beste ausländische Buch. Sein Roman «Terra Alta» wurde mit dem Premio Planeta 2019 ausgezeichnet.



Javier Cercas 
Die Erpressung – Terra Alta
Originaltitel: Independencia – Terra Alta
Aus dem Spanischen übersetzt von Susanne Lange
Krimi, Kriminalroman, Katalonien, Spanien, Madrid, Seperatisten
Hardcover mit Schutzumschlag, 432 Seiten
S. Fischer Verlag, 2022



Spanische Literatur

Interesse an Literatur aus Spanien? Hier findet ihr Bücher von spanischen Autor:innen mit Links zu den Rezensionen
Gastland Frankfurter Buchmesse 2022




Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor.

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

  Rezepte, die du lieben wirst Der Israeli Yotam Ottolenghi hat zusammen mit seinem dreiköpfigen Küchenteam das nächste Kochbuch entwickelt. Das Team widmet sich dem Comfort Food und liefert inspirierende Gerichte, die nach Zuhause und Geborgenheit schmecken. Aber auch nach Kindheitserinnerungen und Reiseeindrücken. Comfort Food bedeutet für jeden etwas anderes, auf jeden Fall etwas wie Geborgenheit und Wohlfühlgefühl: ein Gefühl von Nostalgie, aber auch Vertrautheit. So sind über 100 Rezepte entstanden, von der Bolognese (mit asiatischen Gewürzen) bis zu Eier-Gerichten, von der One-Pot-Pasta bis zum Apfelkuchen. Rezepte, die zugleich originell aber auch vertraut und bewährt sind. Und immer mit dem gewissen Ottolenghi-Twist. Weiter zur Rezension:    Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

Rezension - Die weiße Wölfin von Vanessa Walder und Simona M. Ceccarelli

  Das geheime Leben der Tiere (Wald, 1) Ein heftiger Sturm tost durch das Flusstal, als fünf Wolfswelpen geboren werden. Die Jüngste ist eine winzige Wölfin. Ausgerechnet sie hat enormen Mut und nimmt sich vor, die allergrößte Jägerin zu werden. Eine Leitwölfin obendrein! Sie erhält vom Rudel den Naman «Fünf». Ein Rabenschwarm begleitet stetig das Rudel, denn sie weisen den Weg zur Beute, eine Teamarbeit. Der Rabe Raak ist der beste Freund von Fünf. Eine spannende, realitätsbezogene Tiergeschichte zum Leben der Wölfe! Empfehlung für Leseanfänger ab 8 Jahren! Weiter zur Rezension:    Die weiße Wölfin von Vanessa Walder und Simona M. Ceccarelli

Rezension - Eisbären von Marie Luise Kaschnitz illustriert von Karen Minden

Marie Luise Kaschnitz war in meiner Jugendzeit meine Lieblingsautorin und so war für mich dies von Karen Minden illustriere Buch ein Genuss, Bleistiftzeichnungen, die sich wunderschön mit der Kurzgeschichte verbinden. »Eisbären«, die Novelle ist Kaschnitz-Fans geläufig: Eine Frau hatte schon geschlafen, wacht auf vom Geräusch des Türschlosses. Endlich kommt ihr Mann nach Hause. Doch er macht kein Licht. Ein Einbrecher? Seine Stimme bittet sie, das Licht nicht auszulassen. Sie soll die Wahrheit erzählen – damals im Zoo – auf wen habe sie gewartet? Weiter zur Rezension:    Eisbären – Novelle von Marie Luise Kaschnitz, illustriert von Karen Minden

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Simply Jamie von Jamie Oliver

  Jeden Tag was Gutes In fünf Kapiteln werden tägliche schnelle Gerichte, ebenso Wochenend-Wunder, bewährte Ofenrezepte bis hin zu leckeren Nachspeisen von Jamie Oliver vorgestellt. Simply Jamie ist dazu da, die Lust am Kochen zu wecken. Das Buch steckt voller köstlicher, unkomplizierter Ideen, die schnell angerichtet sind. Und der Clou: Es gibt Grundzutaten wie Soßen oder ein pochiertes Huhn usw., aus denen sich wiederum eine Menge verschiedene Varianten herstellen lassen. Weiter zur Rezension:     Simply Jamie von Jamie Oliver

Rezension - Caspar Plautz - Rezepte mit Kartoffeln von Kay Uwe Hoppe, Dominik Kli – und Theo Lindinger

  Der Marktstand Caspar Plautz auf dem Viktualienmarkt in München ist wegen seiner Kartoffelvielfalt beliebt. Dazu gehört ein kleiner, aber feiner Imbiss, der mittags im Mittelpunkt seiner Gerichte die Kartoffel würdigt. Die Kartoffel erobert im Caspar Plautz die Welt. Der Erdapfel ist wendig, anpassungsfähig, geschmacklich variabel. Das ist ein wirklich exzellentes Kochbuch, das zeigt, wie die moderne Küche sich Ideen aus aller Herren Länder greift, sie neu kombiniert – wunderbar harmoniert. Von traditionell zu Weltküche – vegetarisch zu Fisch und Fleisch – hier findet jeder seine Lieblingskartoffelgerichte. Weiter zur Rezension:    Caspar Plautz - Rezepte mit Kartoffeln von Kay Uwe Hoppe, Dominik Kli – und Theo Lindinger Theo Lindinger

Rezension - Indians! von Tibure Oger

  Der dunkle Schatten des weißen Mannes  1922, irgendwo in Amerika. White Wolf, ein ehemaliger Häuptling der Chippewa, sitzt als Zirkusattraktion vor Publikum und erzählt aus seinen Erinnerungen. Es sind Geschichten aus einem langen Leben, das bald sein Ende finden wird. Geschichten aus 400 Jahren Kolonialismus, von einseitigen Kriegen und zweischneidigen Verträgen, von Heldenmut und von Habgier. Geschichten vom wackeren Kampf der First Nations gegen den Mord an ihrem Volk und von ihrer scheinbar unausweichlichen Niederlage. Tiburce Oger hat für «Indians!» sechzehn herausragende Künstlerinnen und Künstler der Neunten Kunst versammelt, um eine Chronik der Eroberung des Westens zwischen 1540 und 1889 zu erschaffen: Die bittere Kehrseite des amerikanischen Traums, die Auslöschung von Kulturen der indigenen Völker. Sehr guter Comic, der in kleinen Graphic Novels aus der Sicht der Ureinwohner die Geschichte ins rechte Licht rückt. Weiter zur Rezension:    Indians! von Tibure Oger

Rezension - Der Friedhofswärter von Ron Rash

  Kein dickes Buch, trotzdem ein hochatmosphärischer, epischer Roman über Liebe, Freundschaft und Verrat. Blowing Rock, North Carolina, zu Beginn der 1950er Jahre: Der junge Blackburn Gant, seit seiner Kindheit von einer Polioerkrankung mit Gesichtslähmung und einer Gehbehinderung gezeichnet, wird aufgrund dessen gemieden und gemobbt. Er arbeitet als Friedhofswärter der kleinen Stadt in den Appalachen, wohnt zurückgezogen im Diensthaus am Friedhof. Sein einziger Freund ist seit Kindertagen Jacob, der als Soldat nach Korea geschickt wird. Blackburn soll auf Jacobs schwangere Frau Acht geben. Wechselnde Perspektiven, drei Archetypen; Geld, Macht, die hinterhältigen Eltern als Antagonist; Hass, Intrigen, Verrat gegen die Liebe. Wer wird das Spiel gewinnen? Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Friedhofswärter von Ron Rash