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Steinigung von Peter Papathanasiou - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Steinigung 


von Peter Papathanasiou


Der erste Satz: 

Jetzt wurde sie vorwärtsgeschoben.


Der Einkaufswagen rollt, mal wird er geschoben, über den Bordstein, die Straße hinunter, den abschüssigen Weg hinab, schlafende Kängurus schrecken auf – bis hin zu dem Baum. Jemand packt sie am Schopf, sie wird angebunden … In den frühen Morgenstunden findet eine alte Frau eine Leiche, gefesselt an den Baum, ein zerfleischtes Gesicht, doch sie erkennt die Lehrerin: Sie wurde gesteinigt. 


 In Cobb hält man eigentlich nur zum Tanken.


Detective Sergeant George Manolis von Major Crimes muss nach Cobb ins Outback reisen, der Ort seiner Kindheit. Hatten sie ihn deshalb hierhergeschickt, das Tötungsdelikt zu untersuchen? Er ist der Sohn griechischer Einwanderer. Als er noch ein Kind war, hatten seine Eltern das ehemalige Touristendorf verlassen, waren in die Großstadt gezogen. Er erinnert sich ein eine saubere, nette Stadt, in der seine Eltern eine Milchbar mit Imbiss betrieben hatten. Was er vorfindet, ist ein ausgedünntes Drecksloch mit verkommenen Häusern – Alkohol und Meth bestimmen das Leben der Einwohner. Wer irgendwie konnte, hat die Stadt seit langem verlassen. Die Grundschullehrerin Molly Abbott wurde auf bestialische Weise getötet; sie wurde gesteinigt. Welchen Hintergrund mag eine solche Tötungsart haben? Auf keinen Fall war es eine Affekttat. Die ansässigen Cops haben bereits die Asservate gesichert, hatten es aber nicht für nötig gehalten, den Tatort abzusperren. Tatortfotos auf Polaroid? Eine schlampige rechtsmedizinische Untersuchung, ordentliche Polizeiarbeit sieht anders aus. Sergeant Bill Fyfe, der Leiter der örtlichen Polizei scheint wenig Interesse an der Aufklärung des Falls zu haben, säuft bereits zum Frühstück und verpisst sich ständig. Constable Kate Kerr ist eher mit Trauer und der Pflege ihrer Mutter beschäftigt und Constable Andrew «Sparrow» Smith, homosexuell, ein Aboriginal wird von den Weißen verachtet; nicht besser geht es ihm beim eigenen Volk, bei dem er als Überläufer gilt, weil er Polizist ist. Manolis gegenüber zeigt er Misstrauen; so scheint der Detective fast auf sich allein gestellt zu sein. Im Ort ist längst klar, wer die beliebte Lehrerin getötet hat: Einer aus dem Brauenenhaus!


‹Im Braunenhaus gibt’s alles, was man sich nur vorstellen kann›, sagte Rex. ‹… Klimaanlagen, Flatscreen-Fernseher, ein Fitnessstudio, sie kriegen sogar kostenlos Medikamente. Und wir dürfen hier in unseren alten Wohnwagen schmoren, haben keinen Fernsehempfang, und wenn wir krank sind, können wir sehen, wo wir bleiben.


So nennt man hier die Flüchtlingsunterkunft – ein abgezäuntes Lager, das militärisch von ehemaligen Soldaten geführt wird: Strenge Ein- und Ausgangskontrolle, mit Körperdurchsuchung; nachts darf niemand heraus. Auch hier wird gegenüber Manolis dicht gemacht; nicht nur mit Zaun und Wachen. Manolis wohnt in einem schäbigen Touristenapartment, das ihm Rex und Vera zur Verfügung stellen, alte Freunde seiner Eltern. Zur Begrüßung wird Manolis in der ersten Nacht das Auto abgefackelt. Wie soll er so einen Mord aufklären? Fyfe ist nicht aufzufinden, hat keine Lust, sich mit dem «Großstadtfuzzi» abzugeben. Sparrows Hilfestellung hat zunächst seine Grenzen.


So was wie den unteren Pub hatte Manolis noch nie gesehen. Er glich einer öffentlichen Toilette, ganz aus Beton ohne Fenster. … Auch der Geruch im Inneren war entschieden Latrine, beißend säuerlich und so streng nach Ammoniak, dass sich Manolis am liebsten die Nase abgerissen hätte.


Zeugen sollte man am Vormittag verhören, aber nicht zu früher Stunde, am Nachmittag sind bereits nicht mehr zurechnungsfähig. «‹Polizeiautos und Ausnüchterungszellen kann es hier nie genug geben›, sagte Sparrow. ‹Oft wäre es auch leichter, wenn man die nüchtern einsperren würde.» Zwei Kneipen gibt es in Cobb, eine für die Whitefellas, eine für die Blackfellas, wie sich Weiße und Ureinwohner gegenseitig bezeichnen. Manolis tappt im Dunkeln; er muss sich mit benebelten Leuten herumschlagen und mit Menschen die so dicht machen wie ein Vakuumierer. Letztendlich gibt es niemanden, der die Lehrerin auf dem Kieker hatte, keine Liebschaften, verärgerte Eltern; selbst im Asylantenheim war die freundliche Frau beliebt, die dort Englischkurse gab.


Die Lage in Cobb hatte sich entspannt, vielleicht waren die Bewohner durch den Fortgang der Ermittlungen beruhigt oder durch den kontinuierlichen Alkoholkonsum oder die Hitze sediert. … Er hatte genug vom Schüren von Ängsten, rassistischen Vorurteilen und blutigen Rachegelüsten, mit denen die niedersten Instinkte gezielt angesprochen wurden. Anfangs war es nur ärgerlich gewesen, aber inzwischen zehrte es gewaltig an seinen Nerven.


Eine abgehängte Gegend ohne Zukunft, der Verfall ländlicher Gemeinden, in den man einen Schuldigen für sein Desaster finden muss. Respektlose Whitefellas, die sich sternhagelvoll von Meth und Alkohol für was Besseres halten – Einwanderer, die sich selbst als junge Menschen – als Flüchtlinge – hier niedergelassen haben. Sie spucken jetzt auf die Flüchtlinge, die bleiben sollen, wo sie herkommen – die Braunen. Misogynie, Rassismus und Sexismus, Korruption bei der Polizei und eine menschenverachtende Asylpolitik; Bestechlichkeit im Lager Misshandlung, und sexuelle Ausbeutung von Flüchtlinsfrauen rollt sich hier auf. Hier trifft Manolis, der Sohn eines Flüchtlings, der in den 50-gern hier aufgenommen wurde auf die heutigen Flüchtlinge: Muslime.


Die meisten meiner Leute sind bei diesem Umzug gestorben. Mann, wir sind Flüchtlinge in unserem eigenen Land. Genau wie die Blackfellas in Amerika, die aus dem Süden fliehen mussten, damit sie nicht aufgehängt wurden.


Zum Entsetzen von Manolis entpuppen sich die alten Freunde seiner Eltern als religiöse Fanatiker und mustergültige Rassisten – wie fast alle Weißen am Ort. Viele der Statements, die hier preisgegeben werden, kann man 1:1 mit den Hasskommentaren in Europa über Flüchtlinge gleichsetzen: Schmarotzer, die den Staat ausnützen und alles geschenkt bekommen – was natürlich völliger Blödsinn ist. Gleiche Bekundungen weltweit. Dieses abgehängte Kaff erinnert mich extrem an ähnliche Orte in den USA, die von Armut und Arbeitslosigkeit geprägt sind, Trump-Hochburgen, in denen Meth gebraut wird. In Cobb knallt nachts ein kleines Feuerwerk der Drogenhändler, um die Ankunft von Ware zu kund zu tun; die Polizei sieht hilflos zu oder zieht sich selbst eine Flasche Whiskey rein. Ureinwohner gegen Einwanderer und beide gemeinsam gegen neue Einwanderer. Peter Papathanasiou greift auch ein anderes Thema auf. In den 1950er Jahren wurden in dem fiktiven Ort Cobb die Aboriginal von ihrem Land vertrieben, auf Lastwagen geladen und in unwirtschaftliche Außenbezirke verfrachtet, wo sie sich selbst überlassen wurden und zu Hauff krepierten. Das war gängige Realität. 1949 erhielten zwar alle Aboriginals offiziell die australische Staatsbürgerschaft, doch es dauert bis in die 1960er-Jahre, bis die «White Australia»-Politik der Regierung den Aboriginals gleiche Bürgerrechte zugestand: Sie dürfen wählen, Immobilien besitzen, Weiße heiraten und haben Anspruch auf staatliche Rente. Aber noch bis in die 1980er Jahre wurden am Wochenende Aborigines gejagt – quasi als Sonntagsvergnügen. Die Frauen der Ureinwohner zu vergewaltigen war ein Kavaliersdelikt. Die Einwanderer haben den Ureinwohnern ihr Land gestohlen, Massaker angerichtet, man hat massenweise Kinder aus den Familien genommen, um sie zwangsweise zu umzuerziehen; man hat die Menschen wie Tiere behandelt. Dass sie nichts wert sind, ist bis heute in vielen Köpfen der Australier manifestiert. Die Missachtung der Aboriginals gegenüber den Weißen, verkörpert in diesem Krimi Sparrow. Aber wenn es um das Baunenhaus geht, halten Blackfellas und Whitefellas zusammen. Australien steht wegen seiner rigiden Flüchtlingspolitik schon lange in der Kritik. Seit 1992 bringt das Land die illegalen Einwanderer nicht mehr in Lager ins abgelegene Outback, sondern sammelt sie – off shore – auf Nauru und Manus (Papua-Neuguinea).


Cobb, ein Ort, in dem man nicht mal zum Tanken anhalten mag! Eine abgehängte Gegend voller Probleme. Peter Papathanasiou beschreibt in diesem Country-Noir eindringlich das Outback mit seinen Schwierigkeiten, in denen Kängurus zur Landplage geworden sind. So wie man Cobb verlässt, hüpfen sie kreuz und quer, nicht unbedingt possierlich, eher nervend bis hin zu bedrohlichen Situationen. Ein spannender Noir-Krimi aus Australien, ein Kriminalroman, Hardboiled, der eine feine Handschrift besitzt. Charaktere werden langsam aufgeblättert, Protagonisten nähern sich an und Manolis findet unfreiwillig einiges über seine Familie heraus. Rassismus in reinster Form aus verschiedenen Perspektiven. Gern mehr davon.


Peter Papathanasiou wurde in Nordgriechenland geboren und als Baby von einer australischen Familie adoptiert. Seine Texte wurden international veröffentlicht. Er hat einen MA in Creative Writing von der City University, London, und einen PhD in Biomedical Sciences von der Australian National University. Sein erstes Buch «A Memoir Son of Mine «wurde 2019 veröffentlicht, ein zweites mit dem Ermittler George Manolis «The Invisible» erschien 2022.



Peter Papathanasiou
Steinigung
Original: The Stoning. Transit Lounge, 2021
Aus dem australischen Englischen von Sven Koch
Krimi, Kriminalroman, Noir-Krimi, Outback-Noir, Country Noir, Hardboiled, Australische Literatur
Mit einem Nachwort von Lore Kleinert
Taschenbuch, 368 Seiten, 
Polar, 2023





Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

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