Rezension
von Sabine Ibing
Sally Jones und die Schmugglerkönigin
von Jakob Wegelius
Der Anfang:
Sie haben mich gebeten, alles aufzuschreiben, was ich über den Mann weiß, der Shetland Jack genannt wurde. Und das werde ich tun. Ich werde Ihnen über sein hartes Leben erzählen. Und ich werde die grausige Wahrheit über seinen gewaltsamen Tod berichten.
Aber die Geschichte von Shetland Jack war mit seinem Tod nicht beendet. Und jetzt ist seine Geschichte zu einem Teil meiner eigenen geworden. Auch darüber muss ich schreiben, selbst wenn es mir schwerfällt. Vieles von dem, was mir im vergangenen Jahr passiert ist, würde ich am liebsten einfach vergessen.
Der neue Band, «Sally Jones» beginnt in den 1920er Jahre in Lissabon und führt die anthropoide Gorilladame von dort in die Unterwelt Glasgows nach Schottland. Sally Jones ist eine feine Beobachterin, eine prima Maschinistin und kennt sich mit Handwerksarbeiten aus. Als Gorilla kann sie mit Menschen nicht verbal kommunizieren, doch ihre Zeichensprache ist ausgeprägt und sie kann sich schriftlich mitteilen. Sally Jones und ihr Freund Chief Kapitän Koskela hatten ein altes Dampfschiff gekauft, auf dem sie im Hafen von Lissabon wohnen, einen schottischen Clyde Puffer, und sie wollen es wieder seefähig machen. Unter anderem benötigen sie eine neue Dampfmaschine. Kein billiges Vergnügen. Und deshalb nehmen sie jeden Job an, den sie bekommen können. Sie arbeiten im Hafen beim Ein- und Ausladen der Schiffe oder sind als Handwerker unterwegs. Befreundet sind sie mit der Sängerin Ana Molina und dem Instrumentenbauer Luigi Fidardo.
Als der Chief einen guten Job auf einem Schiff erhält und Sally allein lassen muss, bekommt auch sie überraschend ein Angebot über einen merkwürdigen Mann vermittelt, auf einer Wanderkirmis auszuhelfen. Und sie hat nun das Gefühl, wenn sie spät heimkommt, jemand sei auf dem Schiff gewesen, habe es durchsucht. Und dann entdeckt sie genau diesen Mann auf dem Schiff, hält sich fern, bis er verschwunden ist. Als der Chief zurück ist, erzählt sie ihm davon. Was kann hier verborgen sein? Als Luigi Fidardo das Steuerrad ausbessert, findet er ein Geheimfach, indem eine wertvolle Perlenkette versteckt ist, die den Namen Rose trägt. Die Freunde forschen nach dem Hersteller der Kette und nach dem Besitzer und und kommen der tragischen Geschichte von Shetland Jack und seiner Tochter Rose auf die Spur. Der Chief und Sally wollen Rose die Kette zurückgeben. Bloß, wo mag Rose wohnen?
Die Spur zum Juwelier führt die Freunde nach Glasgow. Doch hier werden sie einen Hinterhalt gelockt und von der Schmugglerkönigin Moira Gray und ihrer Bande gefangen genommen, die meint, die Kette gehöre ihr. Obendrauf sperrt sie Sally ein, droht sie zu töten, wenn der Chief nicht einen Auftrag für sie erledigt. An sich ist das eine spannende Geschichte: Die Kette, brutaler Ganoven-Bandenkrieg in Glasgow, Raubzüge. Nur merkwürdigerweise hat mich die Story nicht richtig packen können. Ich habe das Buch immer wieder beiseitegelegt, bis ich durch war. Woran lag es? Die Handlung zieht sich, das war ein Punkt. Sally ist ein empathischer Charakter, der nur das Gute in jedem Menschen sieht, sie ist freundlich und mitfühlend. Darum wird sie ständig ausgetrickst, über das Ohr gehauen. Ein Gorilla ist stark und mächtig, provozierend, dominant – Sally ist das Gegenteil. Im Prinzip ist sie eher ein Opfertyp. Sie wehrt sich nicht, lässt sich festnehmen, in Ketten legen, einsperren, versucht, nicht zu entkommen, und sie hat ein Herz für jeden, sogar für einen der Gangster, eben weil er der Außenseiter ist, nicht die hellste Kerze auf der Torte, ausgelacht wird. Sally beobachtet, zieht Schlüsse, ist intelligent. Aber sie zaudert, hat Angst – kein agierender Charakter. Ich mag Antihelden normalerweise, weil sie irgendwann aus sich herausgehen. Doch Sally bleibt passiv. Solche Charaktere liegen mir nicht, sie nehmen die Spannung. Es war wohl das, was mich nicht warmwerden ließ. Und die Geschichte ist mir zu vorhersehbar. Ein guter Kinderroman, ohne Zweifel, wenn man ein Herz für Sally findet. Der Gerstenbergverlag gibt eine Altersempfehlung ab 11 Jahren, das passt. Wunderschön sind die Porträts der Handelnden, die Jakob Wegelius gezeichnet hat. Federzeichnungen, die in die Zeit um 1900 fühlen lassen. Am Ende in einem Glossar werden die Fachbegriffe von A-Z erklärt.
Jakob Wegelius, 1966 in Göteborg geboren, studierte in Stockholm Literatur, Philosophie, Kunst und Grafikdesign. Der renommierte Autor und Illustrator wurde bereits zweimal mit dem Augustpreis für das beste schwedische Kinderbuch des Jahres ausgezeichnet. Zweimal erhielt er auch den Luchs, 2017 schließlich den Deutschen Jugendliteraturpreis für Sally Jones. Mord ohne Leiche.
Sally Jones und die Schmugglerkönigin
Originaltitel: Den falska rosen
Aus dem Schwedischen übersetzt von Gabriele Haefs
Abenteuergeschichte, Kinderbuch, Kinderroman, Kinder- und Jugendliteratur, Schwedische Literatur
Hardcover, 528 Seiten
Gerstenbergverlag, 2022
Kinder- und Jugendbücher - 11 bis13 Jahre
Kinder- und Jugendliteratur
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