Direkt zum Hauptbereich

Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen von Isaac Blum - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen 


von Isaac Blum


Das Judentum hat einfach für alles Gesetze, angefangen, wie du deine Tiere schlachtest, über wie man Fernsehen schaut, ohne den Schabbos (so heißt unser Schabbat, unser Ruhetag, auf Jiddisch) zu brechen, bis hin zu wann und wie lange du an Fastentagen (wovon es viele gibt) nichts essen darfst. Aber der Trick ist, dass du diese Gesetze nur befolgen musst, wenn du davon weißt.


Hoodie Rosen lebt in einer streng jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft in der US-amerikanischen Kleinstadt Tregaron. Sie waren vor nicht langer Zeit in diesen Ort gezogen, um ein Hochhaus zu bauen, damit eine Reihe weiterer Familien zuziehen können, und sich hier eine große Gemeinde niederlassen kann. Doch die Bürgermeisterin hatte ihnen keine Baugenehmigung erteilt. Der Alltag von Hoodie ist unspektakulär: Seinen Lehrern Paroli bieten, das Chipssortiment des koscheren Supermarkts durchtesten, Wurfgeschossen seiner Schwestern ausweichen. Doch dann lernt er Anna-Marie kennen und sie entfernen gemeinsam Hakenkreuze von einem jüdischen Grab. Die beiden sind stolz. Doch für Hoodies Familie und die Gemeinde hat er Verrat geübt. Die Schmierereien hätten dran bleiben müssen als Beweis für den Hass der anderen. Das Schlimmste: Er hat sich mit einer Schickse (nichtjüdisches Mädchen) abgegeben, noch dazu die Tochter der Bürgermeisterin. Noch viel schlimmer für Hoodie selbst, er hat sich verliebt, hält trotz Verbot weiter Kontakt mit Anna-Marie. Plötzlich wird Hoodies heimelige Welt sehr ungemütlich. Wo will er stehen? 


Hoodie muss er Regeln brechen


Ich verstand, was er sagte: «Meine Freundschaft mit Anna-Marie, dem Feind, würde mich von der Tora abbringen, und ich könnte Antisemitismus nicht mit einer Nichtjüdin bekämpfen. Aber genau das hatte ich getan, als wir die Farbe entfernt hatten.


Eine feinfühlig, humorige Geschichte über Geborgenheit und Eingeengtsein, über religiösen Fanatismus, Doppelmoral und unverhoffte Freundschaft. «Du hast dir meine Familie vielleicht im Geiste vorgestellt. Wenn du dich an stark übertriebenen orthodoxen Stereotypen orientierst, dann liegst du goldrichtig.» Isaac Blum gibt uns Einblick in das streng orthodoxe Judentum, eine Gruppe innerhalb der Religion, die sehr isoliert leben. Hoodie ist den ganzen Tag über in der Schule; am Vormittag wird die Tora gelehrt und und am Nachmittag Weltliches. Mathe ist nicht sein Ding – aber das ist nicht so schlimm, eher dass er auch Probleme mit der Gemara (die zweite Schicht des Talmud) hat. Religion steht im Vordergrund. Hoodie besitzt sogar ein Handy, was man ungern sieht. Darum ist es so ein altes Ding, mit dem man lediglich telefonieren kann, SMS senden. Computer und Internet sind verboten. Seine große Schwester ist gut im Tricksen; sie hat einen Laptop mit Internetanschluss – weil das fürs Studium schlicht Pflicht ist, sagt sie. Anna-Marie tritt in eine für sie unbekannte Welt ein und ebenso Hoodie in ihre. Sehr lustig ist die Szene, in der Anna-Maries Mutter Hoodie ein Sandwich machen will mit Schinken und Brot – ganz koscher. Ihre Tochter ihr erklärt, allein weil sie es angefasst hat, sie sich in einem nichtjüdischen Haus befinden, ist es nicht koscher. «Es ist unrein, nur weil ich es anfasse?» Hoodie darf ihr auch nicht mal die Hand zur Begrüßung reichen; denn Frauen sind unrein; und Nichtjuden sowieso. Das Haus Anna-Marie, ihre lockere Art sich zu kleiden fasziniert Hoodie. Ihr Hobby ist Tanzen, doch um das zu sehen, muss er Regeln brechen. Neugierig auf Instagram, Facebook usw. benutzt Hoodie heimlich den Laptop seiner Schwester.


Eine kluge Geschichte mit herrlichen Charaktere


Genau wie Moritz sprach Rabbi Friedmann über ‹meine Situation?, als wäre ich an einer Krankheit, einem ansteckenden Infekt erkrankt, den sich meine Klassenkameraden einfangen könnten, wenn sie mit mir im selben Raum waren. Kam ich mit dem Rest der Bevölkerung in Kontakt, könnten wir uns womöglich eine Epidemie einhandeln. Wir alle würden nur noch in Shorts und Tanktops über das Schulgelände wandeln und mit Schicksas in Bikinis im Arm unzüchtige Popmusik von unseren neuen Smartphones abspielen.


Die Ausgrenzung aus der eigenen Gemeinde macht Hoodie klar, wie vielen Zwängen diese Religionsgemeinschaft ausgesetzt ist. Die Gemeinschaft gibt ihm Geborgenheit und Sicherheit; aber sie kann dir auch ins Kreuz treten. Ist es richtig, sich derart abzuschotten? «Du musst die unser orthodoxes System wie von Mauern umgeben vorstellen. … Aber hast du die Mauern erst einmal verlassen, dann hängst du draußen fest und kannst nie wieder hinein.» Ist es richtig, alle Andersdenkenden rundum als Feinde zu bezeichnen?, fragt sich Hoodie, der sich für Versöhnung einsetzt. Themen rund um Antisemitismus, Gewalt, Identität, Ideologie, religiösen Fanatismus mit typisch jiddischem Humor untermalt. Ein Jugendroman, ein coming-of-age, das zum Lachen bringt, traurig macht, erschrecken lässt, zum Nachdenken anregt, völlig kitschfrei ist - einfach eine kluge Geschichte mit herrlichen Charakteren. Der Beltz Verlag gibt für diesen Jugendroman eine Altersempfehlung ab 14 Jahren. Da gehe ich mit, Empfehlung!


Auf der Wasserstein-Hochzeit ein Jahr zuvor hatte auch ich getanzt, war dort ganz genauso mit Freunden und der Familie herumgewirbelt. Damals hatte ich mich zugehörig gefühlt, als würde ich genau in diese Gemeinschaft hineinpassen. Aber jetzt fühlte ich mich wie ein Außenstehender, unsicher, wohin ich passte, ob ich überhaupt irgendwohin passte. 

‹Passen› war genau das richtige Wort. Denn die ganze Sache war wie eine Jacke, die mir nicht mehr richtig passte. Aber es war gleichzeitig, auch die einzige Jacke, die ich hatte. Darunter war ich nackt. Ich wollte sie nicht wirklich tragen, aber ich konnte sie auch nicht ausziehen, denn was sollte ich stattdessen überstreifen?


Isaac Blum hat Kreatives Schreiben studiert und an verschiedenen Universitäten sowie jüdisch-orthodoxen und öffentlichen Schulen Englisch unterrichtet. “Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen» ist sein Debütroman. Mit seiner Frau lebt er in Philadelphia, wo er gern Sport schaut und Romane liest, die ihn zum Lachen bringen und ihm gleichzeitig etwas über die Welt erzählen.



Isaac Blum
Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen
Originaltitel ‏ : ‎ The Life and Crimes of Hoodie Rosen
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gundula Schiffer
Jugendroman, Jugendbuch, Kinder- und Jugendliteratur, Religion, orthodoxe Juden
Broschiert, 224 Seiten
Beltz & Gelberg Verlag, 2023
Altersempfehlung: ab 14 Jahren





Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

  Ein atmosphärisch dichter und spannender Schweden-Krimi von Hans Rosenfeldt, bekannter Krimiautor und Drehbuchautor (skandinavische TV-Serie «Die Brücke», britische Fernsehserie «Marcella» über Netflix) erwartet uns mit dem Auftakt einer neuen Serie. Die Erwartungen waren hoch. Rosenfeldt hat geliefert. Die Kleinstadt Haparanda, nahe der finnischen Grenze, wird zufällig zum Schauplatz eines Drogendeals. Wer hat die Drogen und das Geld, wer wird sie am Ende bekommen? Der einzige der durchblickt, ist der Leser – Dank Mehrperspektivität. Denn alle Protagonisten tappen im Dunkeln – wissen nichts voneinander. Ein komplexer und spannungsreicher Thriller! Weiter zur Rezension:    Wolfssommer von Hans Rosenfeldt

Rezension - Die Grille in der Geige von Anna Haifisch

  Eines Sommers findet eine wandernde Grille im Wald eine alte Geige . «Wie praktisch!», ruft sie und zieht in das geräumige Instrument ein. Sie töpfert und zieht Nudeln und des Nachts zupft sie die Saiten, erfreut alle Insekten und Mäuse in der Umgebung mit ihrer Musik. Doch als ein bitterkalter Winter das Land überzieht, stürmen die Insekten das Heim der Grille , zerhacken es und zünden es an … Ein humorvolles Bilderbuch ab 4 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Grille in der Geige von Anna Haifisch 

Rezension - Kalte Füße von Francesca Melandri

  Im Winter 1942/43 flohen italienische Soldaten in Schuhen mit Pappsohlen vor der Roten Armee, Zehntausende erfroren. Der «Rückzug aus Russland» hat sich als Trauma im kollektiven Gedächtnis Italiens eingebrannt - auch in der Familie von Francesca Melandri, einer der wichtigsten Autorinnen Italiens. Ihr Vater hat ihn überlebt. Doch erst als Anfang 2022 Bilder und Orte des Kriegs in der Ukraine omnipräsent sind, wird ihr klar: Der Vater ist vor allem in der Ukraine gewesen. Sie tritt mit ihrem verstorbenen Vater in ein Zwiegespräch, wobei sie den Krieg damals mit dem Heutigen in der Ukraine vergleicht. Und es ist eine Abrechnung mit der italienischen Linken. Empfehlung, unbedingt lesen! Weiter zur Rezension:    Kalte Füße von Francesca Melandri 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Rezension - Aggie und der Geist von Matthew Forsythe

  Aggie freut sich darauf, endlich in ihr eigenes Haus einzuziehen – bis sie feststellt, dass dort bereits ein Geist wohnt. Das Zusammenleben läuft mehr schlecht als recht; nirgendwo hat sie ihre Ruhe. Also stellt Aggie Regeln auf. Doch der Geist hält sich leider nicht gerne an Regeln, bricht sie alle. Aggie fordert ihn völlig entnervt zu einem Wettkampf in Tic-Tac-Toe heraus – wer gewinnt, bekommt das Haus. Ein herrliches Bilderbuch an 4 Jahren, das mit viel Humor geschrieben ist und eine Menge Diskussionen zum Zusammenleben bietet. Weiter zur Rezension:    Aggie und der Geist von Matthew Forsythe