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Rotkäppchen von Katharina Naimer - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Rotkäppchen 


von Katharina Naimer


Das Märchen der Brüder Grimm muss ich wohl nicht erklären. Katharina Naimer hat sich bei diesem Buch an die textreduzierte Version gehalten sie minimal verändert – es gibt ja eine Menge Interpretationen. Das Bilderbuch ist an Kinder ab 3 Jahren gerichtet. Hier hätte ich mir einen moderneren Umgang mit Sprache gewünscht. Im Hamburger Platt beginnt die Mär: «Es war einmal eine kleine süße Dirn.» Bei Grimm heißt es Mädchen. Die altertümliche Sprache bricht an manchen Stellen durch und ist für das Textverständnis der ganz Kleinen nicht hilfreich. Der Jäger schneidet am Ende den Bauch auf, Rotkäppchen und Oma kommen heraus, Wackersteine werden eingelegt. Der Wolf wacht auf, steht auf mit schwerem Bauch, fällt tot um. Mir ist es allerdings ein Rätsel, warum in einer modernen Version der Jäger ihm das Fell abziehen muss, um die Trophäe mit nach Hause zu nehmen. 




Katharina Naimer hat zunächst Bleistiftskizzen zu den Illustrationen angefertigt. Im weiteren Schritt färbt sie große Papierbahnen ein, die teils farbig sind. Kräftiges Gelb bereitet Felder und Wiesen vor. Auf braunem Papier entstehen Holzstrukturen. Verschiedene Grüntöne, mit groben Pinselstrichen bearbeitet, werden für Wiesen, Pflanzen und Bäume vorbereitet. Graues Papier, das mit borstigen Pinseln ausgearbeitet wird, benötigt sie für das Wolfsfell. Sind alle Papiere eingefärbt, geht es an die Collage. Aus vielen bunten Papierschnipseln setzen sich Hintergrund und Vordergrund zusammen. Stück für Stück entstehen so farbenprächtige Collagen, die sich sehen lassen können. Die Collagen bestechen in Farbpracht und Feinarbeit. Der Wolf erscheint als netter Geselle, im Größenverhältnis überdimensional groß zum Rotkäppchen. Das freundliche Wolfswesen, das sich einschmeichelt, bekommt leider kein Schurkengesicht, als er die Großmutter angeht und sich später dem Rotkäppchen als Großmutter präsentiert. Hier hätte ich mir ein bisschen mehr Boshaftigkeit gewünscht. In der Literatur zeigt der Antagonist irgendwann sein wahres Gesicht – hier bleibt er illustratorisch der nette Hund von nebenan. Freundlich, satt und zufrieden kommet er sich auf den letzten Bildern daher – bevor ihm der Garaus gemacht wird. Dem Leser tut er fast leid. Ein Rotkäppchen im klassischen Stil mit eindrucksvollen Grafiken. Ein Buch Bilderbuch für die Grimmsche Sammlung m Kinderzimmer.



Der böse Mann und das Mädchen – so wird die Geschichte von den meisten Psychologen interpretiert. Mir persönlich gefällt am besten die Urversion der Gebrüder Grimm und ich hoffe, dass endlich einmal ein Kinderbuchautor diese grafisch präsentiert. Denn da lässt sich das Rotkäppchen nicht vom Wolf überreden Blumen zu pflücken, sondern läuft flink und ohne Umweg zur Großmutter, berichtet ihr von der Begegnung. Die sperrt das Haus ab und öffnet dem Wolf nicht, als er an die Tür pocht. Nun steigt der Isegrim auf das Dach, um dem Mädchen aufzulauern. Die Großmutter kocht listig Würste, die sie vor die Tür schütten. Der Wolf kann dem Duft nicht widerstehen, und in seiner Gier ist er zu schnell, rutscht vom Dach, ertrinkt im Steintrog, der vor der Tür steht. Kein Jäger, kein Auffressen, aber eine ausgefuchste Oma! Erst 1812 im ersten Band der Kinder- und Hausmärchen von Grimm erscheint dann die neue Version nach dem Vorbild der sieben Geißlein – und die Würstchenversion findet man weiter hinten im Buch: Rotkäppchen trifft auf einen anderen Wolf, hat aus ihrem Fehler gelernt, rennt zur Großmutter ... Die gruseligste und brutalste Interpretation stammt aus Schweden – die ist wirklich schrecklich, hat nicht einmal ein gutes Ende. Wie auch immer, die alten Mythen und Märchen faszinieren jede Generation aufs Neue! 



Die Künstlerin und Illustratorin Katharina Naimer wurde 1979 in Niederbayern geboren. Sie studierte an der Akademie der Bildenden Künste in München. Bis 2017 leitete sie das Kinderatelier PABLiTO und arbeitete vor allem an Kunst- und Kreativprojekten mit Kindern, bevor sie sich wieder ganz ihrem eigenen künstlerischen Schaffen zuwandte. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen märchenhafte und phantastische Werke in ihren Lieblingsmaterialien Keramik, Papier und Pappe, darunter auch großformatige und bewegliche Skulpturen. Katharina Naimer lebt mit ihrer Familie auf einem ehemaligen Bauernhof im Bayerischen Wald, was sie in den Bildern des «Rotkäppchen» verarbeitet hat.


Katharina Naimer 
Rotkäppchen
Text nach Jacob und Wilhelm Grimm (Kinder- und Hausmärchen von 1812)
Bilderbuch, Kinderbuch, Märchen
Gebunden, 32 Seiten, 32,5 x 24,5 cm
Editon Bracklo, 2021
Altersempfehlung: ab 3 Jahren



Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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