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Rezension - Revolution der Träume von Andreas Izquierdo

Rezension

von Sabine Ibing



Revolution der Träume 


von Andreas Izquierdo

Wege-der-Zeit-Reihe Band 2


Für einen Moment blickten sie in einen freien und vorurteilslosen Himmel: Arbeiter bekamen ihren Achtstundentag, Gewerkschaften vertraten ihre Rechte. Die Zensur wurde aufgehoben, die Gesindeordnung abgeschafft, Frauen durften endlich wählen. Politische Häftlinge wurden freigelassen, und Pressefreiheit war garantiert. Kaisertreue Beamte wurden verhaftet, Direktoren abgesetzt, und es wurde sogar darüber debattiert, wie man die Macht der großen Industrien brechen und den Besitz sozialisieren könnte.

Das Reich beherrschten nicht mehr alte Eliten, sondern Räte nach sowjetischem Vorbild: Arbeiter wählten ihresgleichen zu politischen Vertretern, Soldaten taten es ihnen gleich. Statt des Kaisers mit einem marionettenhaften Parlament bestimmten jetzt der Rat der Volksbeauftragten und der Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte.

Alles durfte gedacht, diskutiert, gefordert werden.

Es gab kein Denkverbot und keine Grenzen mehr.

So träumten sie.


Dieser historische Roman ist die Fortsetzung der Trilogie «Schatten der Welt». Man muss den Vorgängerband nicht unbedingt kennen – ist aber hilfreich, um zu verstehen, wie eng die drei Protagonisten verbunden sind und auch ihre Beziehung zum Hauptantagonisten, der auch hier wieder eine Rolle spielt, eine kleine, aber wichtige. Im letzten Band trennten sich die Wege der drei Freunde durch den Ersten Weltkrieg, sie kamen am Ende wieder zusammen. In diesem zweiten Band treffen Carl, Artur und Isi in Berlin zusammen, im November 1918, zur Absetzung des deutschen Kaisers und der Ausrufung der Republik. Isi ist engagiert bei den Revolutionären der Linken und Carl ist wie immer politisch weniger interessiert, denn sein Interesse gilt der Fotografie und dem neuen Medium des Filmens. Er hofft, bei einer Zeitung als Fotograf unterzukommen, träumt davon, bei einer der großen Filmunternehmen als Kameramann eingelernt zu werden. Und Artur ist wie immer in der Unterwelt zu Hause, als Schieber und Dieb, baut sich eine Zukunft im Vergnügungsbereich aus.


Das politische Chaos bricht aus

Am 9. November 1918 endet die deutsche Monarchie, als der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik ausruft. Die sogenannte Novemberrevolution hatte mit dem Aufstand von Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel begonnen, Heizer und Matrosen des I. und III. Geschwaders verweigerten der deutschen Marine den Befehl auszulaufen. Der Krieg war so gut wie verloren – und so beendete ihn die Marine. Allerdings wurden die Meuterer eingekerkert. Aus Solidarität streikten die Matrosen und Arbeiter in Kiel. Es gab standrechtliche Erschießungen und nun gärte es im ganzen Reich: Am 9. November erklärte Reichskanzler Max von Baden die Abdankung Wilhelms II. ohne dessen Einverständnis und gleich darauf verkündete Sozialdemokrat Philip Scheidemann vom Balkon des Reichstags die Republik; im Tiergarten rief der Kommunist Karl Liebknecht die «freie sozialistische Republik Deutschland» aus. Kaiser Wilhelm II. floh ins niederländische Exil. Am 11. November 1918 wurde Waffenstillstand und das Ende des Ersten Weltkriegs beschlossen. Es kam nun zu Kämpfen zwischen kommunistischen Gruppen und der GKSD (Garde-Kavallerie-Schützen-Division). Letztere schafften es während der Weihnachtskämpfe nicht, die meuternde Volksmarinedivision aus dem Berliner Stadtschloss und dem Marstall zu vertreiben, die ihre von der Regierung geplante Verkleinerung verhindern und die Auszahlung zurückgehaltenen Solds erzwingen wollte. Eine blutige Schlacht. Doch dann gelang es der GKSD, den sogenannten Spartakusaufstands (Januaraufstand) niederzuschlagen, der mit der Ermordung der Inhaftierten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg einherging; und damit war die deutsche Revolution beendet. 1919 wurde die Weimarer Republik ausgerufen. Der GKSD versuchte noch einmal 1920 mit dem Kapp-Lüttwitz-Putsch die Royalisten an die Macht zu bringen – doch das scheiterte. Der Roman bewegt sich in diesem historischen Umfeld. 


Gute Mischung aus Erzählung und Historie

Diese geschichtlichen Eckdaten webt Andreas Izquierdo wunderbar in eine spannende Geschichte ein, rückblickend aus der Perspektive von Carl. Und natürlich ist Aristokrat Boysen, der Antagonist, bei der GKSD und immer im «Gefecht» mit Artur. Auf der einen Seite herrschten die schillernden Zwanziger in Berlins, man feierte, was das Zeug hielt in Clubs. Prunkvolle UFA-Premieren (Universum-Film Aktiengesellschaft) fanden statt, und auf der anderen Seite, der Mehrheit, hungerten und froren Menschen, lebten am Existenzminimum, starben an Schwindsucht in ihren feuchten, kalten Wohnungen. Der verträumte Carl lernt in der Hauptstadt eine Menge Leute kennen, arbeitet an Filmen mit; bekanntr Schauspieler, Regisseure, Filmgeschichte, auch das gehört zu diesem Roman dazu. Artur ist im Waffenschiebergeschäft, macht einen Club auf und ist wie immer mitten an diversen zwielichtigen Geschäften beteiligt, legt sich mit einem Ringverein an. Isi mischt mit, unverfroren und doch mit Herz, nie auf Gewinn bedacht, sondern sorgt sich um die Armen. Es gibt ein Auf und Ab für die drei Freunde, ein Leben bestimmt durch Freundschaft, Liebe, Verrat und Rache. Die chaotischen Zustände der jungen Republik sind gut beschrieben. Die unzumutbaren Reparationsforderungen der Siegermächte durch den knebelnden Versailler Vertrag bringt die Republik ins Wanken, es herrscht Armut, die Menschen sind desillusioniert. Zum Ende des Romans brodelt es im Land. Ein perfekter Nährboden für extremistische Gruppierungen kristallisiert sich heraus ... Ich freue mich auf den dritten Band, der sicher hier ansetzen wird. Mir hat der zweite Band besser gefallen, da er tief die deutsche Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg aufblättert und so ein Verständnis für die folgenden Ereignisse der Historie zeigt und noch einmal das politische Chaos der Machtkämpfe nach dem Ersten Weltkrieg beschreibt. Anderen Lesern wird es vielleicht genau andersherum gehen. Ich fand, es war eine gute Mischung aus Erzählung und Historie zur Entstehung der Weimarer Republik.


Andreas Izquierdo ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Er veröffentlichte den mit dem Sir-Walter-Scott-Preis ausgezeichneten historischen Roman «König von Albanien» (2007) und zahlreiche weitere Romane, u. a. «Der Club der Traumtänzer» (2014) und «Fräulein Hedy träumt vom Fliegen» (2018). Zuletzt erschien «Schatten der Welt» (2020). Andreas Izquierdo lebt in Köln.


Andreas Izquierdo
Revolution der Träume
Historischer Roman, Zwischenkriegsjahre, Novemberrevolution, Spartakusaufstand
Taschenbuch, 512 Seiten
DuMont Verlag, 2021




Schatten der Welt von Andreas Izquierdo 

Thorn in Westpreußen, 1910, alles beginnt wie eine Lausbubengeschichte: Drei Jugendliche, die hoffen, dass der Ernst des Lebens noch auf sich warten lässt. Eine kleine Gaunerei lässt sie mit den Ängsten der Menschen spielen und mit dem Kometen «Halley» eine stattliche Summe verdienen. Carl, intelligent, klein und zart, zaudernd, immer die Ordnung betrachtend und sein Freund Artur, ein großer, muskulöser Klotz, draufgängerisch, der nicht über die Konsequenzen nachdenkt, wenn er etwas anpackt, treffen auf die unverschämte Isi, die mit allen Wassern gewaschen ist. Eine intensive Freundschaft entsteht. Und mit dem Geld aus dem Geschäft ihres Lebens bauen sie sich eine Zukunft auf, die durch den Ersten Weltkrieg zerstört wird.

Weiter zur Rezension:   Schatten der Welt von Andreas Izquierdo 


Historische Romane und Sachbücher

Im Prinzip bin ich an aller historischer Literatur interessiert. Manche Leute behaupten ja, historisch seien Bücher erst ab Mittelalter.  Historisch - das Wort besagt es ja: alles ab gestern - aber nur was von historischem Wert ist. Was findet ihr bei mir nicht? Schmonzetten in mittelalterlichen Gewändern. Das mag ganz nett sein, hat für mich jedoch keine historische Relevanz.  Hier gibt es Romane und Sachbücher mit echtem historischen Hintergrund.
Historische Romane

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