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Prisoners von George Pelecanos - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Prisoners von George Pelecanos


Der erste Satz: Wenn Antonius an die Fehler dachte, die sie bei dem Raubüberfall gemacht hatten, standen die Kapuzenpullis ganz weit oben auf der Liste.

Michael Hudson sitzt in U-Haft, angeklagt wegen bewaffneten Raubüberfalls - er war der Fahrer. In leicht prekären Verhältnissen aufgewachsen, war er auf die schiefe Bahn geraten – nicht so seine älteren Geschwister. Im Knast entdeckt es das Lesen für sich, liest u.a. John Steinbeck, Elmore Leonard, James Lee Burke, Wallace Stroby. In den Büchern kann er dem Gefängnisalltag entfliehen, findet Halt und überdenkt sein Leben. Eines Tages steckt ihm ein Gefangener eine Nachricht zu: Phil Ornazian lässt ausrichten, es würde alles gut werden – und dann wird Michael völlig unerwartet entlassen. Der Zeuge, der ihn identifizieren kann, zieht seine Aussage zurück. Michael wohnt bei seiner Mutter, bekommt einen Job, nimmt sich vor, sein Leben umzukrempeln.

Wenn er ein Buch las, war die Tür seiner Zelle offen. Er konnte einfach hinausgehen. Er konnte über dem strahlend blauen Himmel über die Hügel streifen. Die frische Luft um sich einatmen. Die Schatten über die Bäume huschen sehen. Wenn er las, war er nicht eingesperrt. Er war frei.

Vier Perspektiven und vier Geschichten

Phil Ornazian ist Privatdetektiv in Washington D.C, arbeitet oft für die Polizei. Und weil die Aufträge nicht auf der Straße liegen, er seiner Familie ein gutes Leben bieten will, rippt er mit seinem Kumpel hin und wieder die Zuhälterszene ab: Sie rauben sie aus, kleine schnelle Raubüberfälle. Diese Typen gehen nicht zur Polizei – denn dann müssten sie erklären, auf welche Weise sie das geraubte Geld erworben haben. Auch bei seinen privaten Aufträgen geht Ornazian nicht immer ganz legal vor, alles im Namen für die Gerechtigkeit.

Der erste Satz des Buchs›, sagte Anna, ‹verortet die Handlung einige Meilen südlich von Soledad. Ich glaube, das hat der Autor absichtlich gemacht. Soledad ist das spanische Wort für Einsamkeit oder Isolation. Hat jemand eine Idee, welchen Bezug es da zum Inhalt geben könnte?

Anna arbeitet als Bibliothekarin im Gefängnis. Sie ist bemüht, für jeden Gefangenen den richtigen Lesestoff zu finden, führt einen Lesekreis. Sie ist verheiratet, reflektiert ihre Ehe. Ward ist der Kumpel von Ornazian, ein Polizist in Rente. Auch er kann Zuhälter nicht leiden. Er braucht das Geld aus den Raubüberfällen nicht um überleben. Für ihn ist es ein Spiel, auf die andere Seite zu schlüpfen, eine Aufgabe zu haben.

Ein leiser Thriller, der es auf allen Ebenen in sich hat

Im Original heißt der Titel: «The Man Who Came Uptown». Ein Titel, der für mich den Roman besser beschreibt. «Prisoners» weckt falsche Vorstellungen, bevor man das Buch in die Hand nimmt. Vier Sichtweisen von vier Protagonisten, wobei Michael der Hauptakteur ist, Ornazian fast gleichwertig zu sehen ist. Michael ist die Verbindung zu allen Handelnden. Ein spannender Noir, der sich mit der Gefangenheit im Leben beschäftigt – Gefangen oder Gefangene wäre als Titel für die deutsche Ausgabe konvergenter gewesen. Jeder dieser Charaktere möchte sein Leben ändern, ist auf dem Weg, aber eine Kette zurrt ihn fest. Doch in diesem Noir geht es um mehr, um Rassismus, die ethnischen Ketten, Vorurteile, Hass, Ausgrenzung. Auf der anderen Seite geht es um Gesetz und Moral, um Recht und Unrecht. So typisch für einen Noir, bei dem der Protagonist Grenzen überschreiten, den Leser mitnimmt, weil es gegen Typen geht, die noch verabscheuungswürdiger sind. Doch wo ist die Grenze, bei der der Leser empört hochfährt? Ornazian und Ward sind Abschaum – aber bis der Leser zu dieser Erkenntnis kommt, baucht es eine Weile. George Pelecanos spielt mit dem Leser, mit seiner Moralvorstellung. Völlig ruhig und entspannt beschreibt der Autor seine Schauplätze, distanziert und präzise brutale Szenen. Die Sprache ist klar auf den Punkt gebracht. Reflektieren die Protagonisten ihr Leben, wird die Sprache weicher, aber ebenso schnörkellos pointiert. Wundervoll beschreibt der Autor die Veränderung, die das Lesen in Michael auslöst, seine Liebe, die zur Literatur wächst – ebenso die Auswahl von Anna, die sich Gedanken um ihre Leser macht. Beim Lesen der Autoren ging mir das Herz auf, Erinnerungen an den alten Literaturschatz und die Erwähnung von modernen Autoren wie James Lee Burke, Wallace Stroby, die ich auch sehr gerne lese. Ein leiser Thriller, der es auf allen Ebenen in sich hat.


George Pelecanos ist 1957 in Washington, D. C. geboren, als Sohn griechischer Einwanderer. Er ist Kriminalschriftsteller, Journalist und Drehbuchautor. Bekannt wurde er nicht zuletzt durch seine Arbeit für die HBO-Serien The Wire und The Deuce.


George Pelecanos 
Prisoners
Original: The Man Who Came Uptown, 2018
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Karen Witthuhn
Roman, Thriller
Verlag Ars Vivendi, 2019, 232 Seiten, Klappenbroschur


Weitere Rezension zu George Pelecanos:  
Hard Revolution von George Pelecanos

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