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Play von Tobias Elsäßer - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Play 


von Tobias Elsäßer


Im Nachhinein gefällt mir der Jugendroman an sich - aber nicht durchgehend. Dummerweise hat das Marketing dermaßen versagt, dass manchem Leser vielleicht die Lust vergeht. Ich hatte ein technisches Buch erwartet, Netzpolitik. Doch die angekündigte App spielt kaum eine Rolle. Was habe ich bekommen? Eine relativ ruhige Story, nach einem turbulenten Anfang ein Kammerspiel von zwei jungen Menschen, die um sich herumtigern, weil jeder dem anderen etwas verbirgt. Keine Liebesgeschichte! Jonas hat gerade sein Abi in der Tasche, macht sich auf eine Reise irgendwie nach Norden, um sich selbst zu finden, trifft auf Sun, die ihn mit in eine abgelegene Hütte in einem Wald nimmt, eine Luxushütte, die der Familie gehört. Das Auto springt nicht mehr an – der Pannendienst lässt auf sich warten, sie haben genügend Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen – ganz ohne Netz mitten in der Natur.

Dein Leben gehört dir, nicht einer App! Tobias Elsäßer über Freiheit, Freundschaft, Liebe und Selbstbestimmung in Zeiten von Social Media. Was würdest du tun, wenn es eine App gäbe, die deine Zukunft vorausberechnen kann? Du fütterst sie mit deinen Daten, gewährst Zugang zu deinen Social-Media-Kanälen – und erfährst, wie dein Leben verlaufen wird. Jonas weigert sich, das Ergebnis zu akzeptieren.

So der Klappentext. Jonas lädt sich die ominöse App herunter, die ganz normal im Netz nicht zu finden ist – und die verspricht ihm: Du machst es wie dein Vater; erst künstlerisch ambitioniert, dann ein Erfolgsstudium mit einem langweiligen bürgerlichen Leben. Der Vater, der die Familie früh verließ, neu heiratete, ist ein erfolgreicher Strafverteidiger, der einst Schauspieler werden wollte. Die Mutter, bei der Jonas lebt, eine mehr oder weniger erfolglose freie Künstlerin, die immer am Hungertuch nagt, ist meist mit sich selbst beschäftigt. Jonas will sich dagegenstellen, beschließt, die App zu überlisten, unberechenbar zu sein – als Tramper durch die Gegend fahren, ziellos, sich mit vielen verschiedenen Menschen zu vernetzen – denn die App berechnet die Zukunft aus den Netzdaten, die sie zur Verfügung hat. Das Ganze war mir bereits zu banal, blauäugig, gängig, nicht einen Roman wert an dieser Stelle. Ich dachte, das kann es nicht sein! Da kommt bestimmt irgendein Knaller, Action – warum sonst der Klappentext. Noch schlimmer empfand ich den Anfang: Jonas, 18 Jahre alt(?) trifft bei der Abifeier auf eine seiner Lehrerinnen, über 30 Jahre alt. Er mochte sie immer besonders gern. Sie war wohl immer in ihn verliebt: Kuss – eine Beziehung kann beginnen. Na gut – komische Menschen gibt es. Aber dass diese Frau Jonas die ganze Zeit hinterherschreibt über WhatsApp, ohne dass er antwortet, das war mir zu unrealistisch. Sie kann ja nicht wissen, dass er selten, lediglich ein schwaches Netz hat. Die App tritt in den Hintergrund und die Erwartung des Lesers wird enttäuscht, der die ganze Zeit wartet, dass hier irgendetwas Großes lauert. Insofern genießt man das Kammerspiel auch weniger. Ohne den reißerischen Klappentext wäre man sicher ganz anders beim Lesen an diesen Stoff herangegangen. 

Du suchst nach Wahrheiten, was prinzipiell ja nicht schlecht ist. Nur glaube ich, dass du sie vor allem offline finden wirst und nicht zwischen Nullen und Einsen.

Völlig losgeeist von der Welt, mitten im Wald ohne Netz und TV müssen die beiden Protagonisten sich auf sich selbst besinnen. Jonas erlebt durch Sun die Natur, die Gespräche der beiden kreisen um das, was wirklich zählt, ihre Ängste, das Verarbeiten von Familiengeschichten, der Weg in die Zukunft. Das Ende der Geschichte scheint mir ein wenig zusammengestampft und konnte mich nicht überzeugen. Die «Maschine», die APP, ist am Anfang da und wird am Ende gelöscht. Wer oder was steckt dahinter? Es wird nie geklärt. Die Message ist klar: Such deinen Weg und lass dir nicht aus dem Netz erklären, wo er langläuft, lebe deine Träume, der Weg ist offen, wenn er aus dem Herzen kommt. Fazit: Da der Klappentext in Kombination mit Titel und Cover auf ein technisches Abenteuerbuch hinweist, wird sicher der Leser enttäuscht sein, der nicht bekommt, was er will. Es gibt einige schöne Stellen in diesem Buch, besonders im Mittelteil, philosophisch, dramaturgisch gelungen. Insgesamt bleibt die Geschichte doch oberflächlich, ebenso die Charaktere, die mir ein wenig klischeehaft daherkommen: Mutter brotlose Künstlerin, der Vater erfolgreicher Anwalt, die reichen Partygirls mit Internat die an privater UNI studieren, natürlich BWL, die verliebte Lehrerin … Das chaotische Ende überzeugt mich nicht. Ein Comming of Age, ein Roadmovie, das man lesen kann, wenn man sich darauf einlässt. Die Altersempfehlung vom Hanser Verlag liegt bei 14 - 17 Jahren. Neben Jonas, der mit Abi erst 18 Jahre sein soll (Klasse übersprungen?) sind alle anderen handelnden Personen weit über 20 Jahre. Beziehung mit der Lehrerin, eine wilde Drogenparty, das Leben nach dem Abitur – sind das Themen, die Vierzehnjährige interessieren? Ich würde das Buch ab 16 Jahren – Allage einstufen.


Tobias Elsäßer, 1973 in Stuttgart geboren, ist Autor, Musiker und Songwriter. Zunächst als Sänger in der Musikbranche tätig, veröffentlichte er 2004 den autobiografisch gefärbten Debütroman „Die Boygroup“. Heute schreibt und komponiert er und leitet Schreibwerkstätten und Songwriter-Workshops. Seine Kinder- und Jugendromane wurden vielfach ausgezeichnet. Für Play (Hanser 2020) erhielt er ein Stipendium des Deutschen Literaturfonds. Er lebt in Stuttgart.


Tobias Elsäßer 
Play
Jugendroman, coming of age, roadmovie
Broschiert, 272 Seiten
Hanser Verlag, 2020


Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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