Direkt zum Hauptbereich

Perfect Storm von Dirk Reinhardt - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Perfect Storm 


von Dirk Reinhardt


Die Rebellen finanzieren damit ihre Waffen und erhalten so den Bürgerkrieg aufrecht, der den Osten des Kongo seit Jahrzehnten erschüttert. Deshalb heißt ... das Erz auch ‹Blut-Coltan›. Denn tatsächlich klebt Blut daran, und zwar gleich auf zweifache Weise: erstens das Blut der Schürfer, die in den Minen ihr Leben lassen, und zweitens das Blut der Opfer, die der Bürgerkrieg seit Jahren fordert.


Bei einem Online-Fantasyspiel lernen sie sich kennen, freunden sich an und bilden eine Gilde, schaffen es gemeinsam, das Spiel-Ziel zu erreichen. Einer von ihnen stammt aus dem Kongo, und er erzählt, dass er den großen Teil seiner Familie im kongolesischen Bürgerkrieg verloren hat. Er berichtet von schrecklichen Menschenrechtsverletzungen in seinem Dorf, eine Region, in der Coltan abgebaut wird, ein Rohstoff, der in jedem Handy, in jedem Auto zu finden ist. Es gibt legales Coltan, das unter halbwegs guten Arbeitsbedingungen geschürft wird. Aber auch das ‹Blut-Coltan›, das von führenden Firmen billig gekauft wird, verschleiert als das sauber gewonnene ausgegeben wird. Die Jugendlichen beschließen, genau das herauszufinden, die US-Firmen an den öffentlichen Pranger zu stellen. Sie nennen sich nun LFF: Dylan aus San Francisco, Luisa aus Kolumbien, Felix aus Berlin, Boubacar aus dem Kongo, Kyoko aus Tokio und Matthew aus Australien; junge Hacker aus der ganzen Welt. Und sie haben Erfolg. Dabei finden sie heraus, dass Waffenfirmen, die in die Geschäfte verflochten sind, illegal Waffen an die Rebellen verkaufen, wagen es, auch diese Firma zu hacken, um die Sache auffliegen zu lassen. Doch ein Agent des amerikanischen Geheimdienstes der NSA ist ihnen auf der Spur: Jacob O’Connor, der selbst aus der Hackerszene stammt, erhält den Auftrag, sie zu identifizieren und zu finden. 


Afrika ist weit entfernt

Junge «Snowdens» unterwegs, Julian Assange und Wikileaks als Vorbild – denn die Ergebnisse ihrer Arbeit werden die Jugendlichen leaken, erregen weltweit Aufsehen. Beschämend für die Welt, nicht die Verbrecher werden gejagt und bestraft, sondern die Whistleblower! Ein Jugendroman, der an die Moral der Welt appelliert. Er stellt wie oft die Frage, wer nun wirklich die Guten, bzw. die Bösen der Welt sind. Diese Jugendlichen empören sich über die Ausbeutung von Menschen, über einen nie enden wollenden Krieg, der so sinnlos ist. Aber das ist nur der Eisberg der Geschichte. Je tiefer die Jugendlichen in die Firmenstrukturen vordringen, um mehr Verflechtungen tun sich auf. Hier bewegt sich der Roman in der Realität. Ein Thema, das viel zu selten in die Öffentlichkeit tritt. Coltan, aus dem Tantal gewonnen wird, ist ein wichtiger Grundstoff für Mobiltelefone und andere smarte Geräte. Im Kongo wird das Erz auf gewaltsame Weise durch die Rebellen des Ostkongos gewonnen, Zwangs- und Kinderarbeit steht an der Tagesordnung, es wird von Mord und Massenvergewaltigung berichtet. Die Rebellen finanzieren so ihren Krieg. Mobilfunk-Unternehmen verlangen heute von ihren Zulieferern Nachweise, dass am gelieferten Tantal kein Blut klebt – doch diese Nachweise sind nicht immer ganz sauber. So wie hier die Jugendlichen beispielhaft herausfinden. Eine Hand wäscht die andere. So gibt es Verflechtungen in die Waffenlobby. 


Whistleblower leben gefährlich

BlackLumumba: Zum Glück ist ein Gewehr ja auch gar nicht nötig. Es gibt eine viel bessere Waffe.

~~Silver~~Surfer~~: Und welche soll das sein, mein afrikanischer Bruder? Etwa deine geniale schwarze Birne?

BlackLumumba: Die auch, Surfer. Aber ich meine was ganz anderes. Eine Waffe, die ich inzwischen ziemlich gut beherrsche. Meinen Rechner.

m0$tw4nt3d: Die Waffe des kleinen Mannes.


Im zweiten Thema geht es um das Hacking. Geschickt stellt sich Dirk Reinhardt hierbei nicht auf eine Seite, sondern làsst beide Seiten zu Wort kommen. Auf der einen Seite erleben wir den NSA Mitarbeiter Jacob O´Connor, der stolz ist, in der Behörde angestellt zu sein und sein Bestes gibt die Hacker aufzuspüren, die amerikanische Firmen angreifen. Sie begehen eine Straftat – niemand weiß, wer sie sind. Es könnten Agenten aus anderen Ländern sein, die Firmengeheimnisse ausspähen wollen, oder solche, die Unheil anrichten wollen, indem sie Firmen lahmlegen. Diese jugendlichen Hacker wollen sich aber weder bereichern, noch Unheil anrichten, sondern üble Machenschaften aufdecken, die sie leaken: Whistleblowing. Hacking ist ein Straftatbestand, das Stehlen von Firmendaten ebenfalls. Aber wie sieht es aus, wenn man mit seiner «kleinen» Straftat wesentlich größere aufdeckt? Moral gegen Gesetz. Eine Menge Stoff zum Nachdenken.


Gut strukturiert und spannend aufgebaut

Schriftstellerisch ist das Buch ebenso klug aufgebaut. Es besteht aus den Chats der Jugendlichen – die sich nicht mit Realnamen kennen, nicht genau wissen, wo der andere wohnt, nur die Länder kennen. Man weiß nicht, wie der andere aussieht. Stück für Stück enthüllen sie sich gegenseitig immer mehr aus ihrem privaten Leben. Der Deutsche ist ein mathematisches Superhirn, ein Asperger. Kyoko aus Japan wohnt in einer WG für psychisch Behinderte, Matthew aus Australien war mal ein ziemlich guter Surfer. Nach einem Unfall landete er im Rollstuhl, ist verbittert mit der Welt. Dazu gesellt sich ein Erzähler, der geheimnisvolle Cincinnatus; es gibt Protokolle und Dossiers, die Jacob O´Connor für die NSA erstellt und Zeitungsartikel. Die Geschichte ist spannend aufgebaut, beginnt kurz vor dem Ende, mit den Dossiers über die Protagonisten, geht dann wieder rückwärts. Die Kapitel stehen im Zeitwechsel, gut nachzuverfolgen, da sie datiert sind. Eine packende Geschichte, die eine Menge Stoff zum Diskutieren gibt, die oberflächlich zeigt, wie Hacker vorgehen. Hier verzettelt sich Dirk Reinhardt nicht in tiefe Einzelheiten, und das ist gut so. Es gibt einige Fachbegriffe, die erklärt werden, bzw. im Abspann befinder sich ein Schlagwortverzeichnis von A-Z. Die Berichte sind kurz gefasst und gut verständlich, die Chats in Jugendslang verfasst. Ein spannender Jugendthriller mit politischen Hintergründen und Diskussionspotential. Der Gerstenbergverlag gibt eine Altersempfehlung ab 14 Jahren, die für mich passt.


Dirk Reinhardt, Jahrgang 1963, studierte Geschichte und Germanistik. Nach seiner Promotion war er bis 1994 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Münster tätig, anschließend arbeitete er als freier Journalist. 2009 erschien sein erstes Kinderbuch, dem bald weitere folgten. 2016 wurde er mit dem Friedrich Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur ausgezeichnet.


Dirk Reinhardt 
Perfect Storm
Jugendroman, Jugendthriller, Hacking, Whistleblowing
Gebunden, 414 Seiten
Gerstenbergverlag, 2021
Altersempfehlung: ab 14 Jahren



Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Yrsa von Alexandra Bröhm

  Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1)  Yrsa ist eine junge Wikingerin , die sich nach dem Tod der alleinerziehenden Mutter seit vier Jahren allein um ihrem Bruder Sjalfi kümmert. Als sie eines Tages von der Jagd nach Hause kommt, ist Sjalfi verschwunden. Verzweifelt macht sie sich auf die Suche und den gefährlichen Weg nach Haithabu . Denn es heißt, es würden Kinder entführt und versklavt. Unterwegs lernt sie Krieger kennen. Ihr Traum war immer schon, eine Kämpferin zu werden. Der Krieger Avidh hat es ihr besonders angetan. Ich würde den Roman ins Genre Young Adult einordnen. Wer softe Literatur, einen Liebesroman zur Entspannung mag, liegt hier richtig.  Weiter zur Rezension:    Yrsa von Alexandra Bröhm

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht 

Rezension - Der Freund von Tiffany Tavernier

  Mit dem Haus im Grünen hat sich Thierry einen Traum erfüllt. Zusammen mit Élisabeth genießt er die Ruhe und Abgeschiedenheit des Wohnens nahe einem Wald. Die einzigen Nachbarn weit und breit, gleich nebenan, Guy und Chantal. Eins Tages im Morgengrauen stürmt die Polizei das Gelände. Die Nachbarn und gute Freunde, werden in Handschellen abgeführt. Was haben sie getan? Journalisten belagern das Gelände. Ein psychologischer Kriminalroman , der sich mit den Folgen der «Opfer» befasst, denn letztendlich sind die schockierten Freunde auch Opfer des Massenmörders. Weiter zur Rezension:    Der Freund von Tiffany Tavernier

Rezension - Rath von Volker Kutscher

  Gelesen von David Nathan Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 21 Std. und 49 Min. Gereon und Charlotte Rath warten im Herbst 1938 nur noch auf den richtigen Moment, Deutschland zu verlassen, um nach Amerika zu gehen. Sie treffen sich heimlich in Hannover , denn Charly lebt immer noch in Berlin und Gereon, der als verstorben gilt, wohnt inkognito in Rhöndorf am Rhein , weil er seinen im Sterben liegenden Vater nicht im Stich lassen will. Charly sucht ihren ehemaligen Pflegesohn Fritze, der ausgerissen ist und unter Mordverdacht steht. Als sich die Lage zuspitzt, muss Gereon sein Versteck verlassen und Charly zu Hilfe kommen, nach Berlin reisen. Der 10. und letzte Band der Gereon Rath-Reihe - wie immer hochspannend, historisch gut recherchiert. Noirliteratur , ein feiner literarischer Krimi ! Empfehlung!  Weiter zur Rezension:    Rath von Volker Kutscher