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Nothing Left for Us von Alice Oseman - Rezension

Rezension 

von Sabine Ibing



Nothing Left for Us 


von Alice Oseman 


Hallo. Hoffentlich hört mir jemand zu …


Frances ist nicht so, wie ihre Schulfreundinnen. Sie hat kein Interesse daran auszugehen oder abzuhängen – ihre Leidenschaft ist das Zeichnen. Und sie hat ein Ziel: in Cambridge Englische Literatur zu studieren. Um es auf die Eliteuni zu schaffen, lernt sie Tag und Nacht. Ihr Lieblings-YouTube-Podcast ist Universe City, dass von einem Jungen namens Radio Silence betrieben wird, der verzweifelte Hilferufe aus der Zukunft setzt. Niemand weiß, wer er ist. Als der Podcast viral geht, erhält sie eine Nachricht von Universe City; ob sie Lust habe, für die Sendung zu illustrieren.


Ich kann nicht begreifen, wie schnell sich die Leute anderweitig orientieren. Sie vergessen einen innerhalb von wenigen Tagen, stellen neue Fotos auf Facebook und lesen nicht mehr, was man ihnen schreibt. Sie machen woanders weiter und schieben einen zur Seite, wenn man zu viele Fehler begeht.


Gegenüber von Frances wohnt Aled, der die gleiche Schule besucht, eine Stufe höher. Auch er ist eine sehr guter Schüler, der nach Cambridge will. Was denn sonst, wenn man gute Noten hat? Nur wer die Bestnoten vorzeigt, erhält die Möglichkeit, ein Bewerbungsgespräch zu erhalten. Jeder will dorthin, der Elite zugehörig sein. Doch auch von den Besten bekommen nur wenige Schüler eine Chance. Frances ist Schulsprecherin, eine Aufgabe, die vom Direktorium als Anerkennung an gute und lupenreine Schüler:innen vergeben wird. Aled ist ein Nerd, der lernt, nicht ausgeht, genau wie Frances. Sie lieben beide knallbunte Secondhand-Kleidung, die nicht der Mode entspricht – die sie nur zu Hause tragen, sie haben einen ähnlichen Musikgeschmack und eine Menge Gemeinsamkeiten. Zufällig laufen sich die beiden über den Weg und freunden sich an. Als die 17-jährige Hauptprotagonistin herausbekommt, dass der schüchterne, brillante Kopf Aled hinter ihrem Lieblingspotcast steckt, wird die Freundschaft noch enger. Sie sind ein Team, verbringen die Sommerferien miteinander, machen nun den Podcast gemeinsam. 


... Warum wollen Sie Englische Literatur studieren?

FRANCES: [grauenhafte Pause] Ja, also [noch eine grauenhafte Pause – wieso zum Teufel fiel mir nichts ein?] Also ich – ich fand Englische Literatur immer schon großartig. [dritte grauenhafte Pause. Komm schon. Es gibt noch mehr Gründe. Alles ist gut. Nimm dir Zeit.] Englische Literatur war immer mein Lieblingsfach. [Stimmt gar nicht.] Seit ich klein war, wollte ich Literatur studieren. [Wenn sie dir glauben sollen, darfst du nicht länger wie ein Roboter klingen.]


Ein gutes Jahr zuvor war Frances mit der Zwillingsschwester von Aled befreundet – sie war sogar in sie verliebt. Doch das Mädchen verschwand eines Tages spurlos. Niemand weiß, wo sie ist. Frances meint, es sei ihre Schuld gewesen, weil sie sie geküsst hatte; denn am nächsten Tag ist sie abgehauen ... Aled achtet darauf, dass Frances seiner Mutter nicht über den Weg läuft; doch das ist nicht immer zu vermeiden. Stück für Stück kommt Francis darauf, dass diese Frau unangenehm schräg ist. Und was ist eigentlich mit Daniel los, Aleds bestem Freund? Warum haben sich die beiden gestritten?


Ein Coming of Age-Roman, der mit Podcast-, Mail- und Chatnachrichten durchsetzt ist, eine einfühlsame Geschichte, die sich mit der Zukunft des Lebens beschäftigt, mit Erfolgsdruck, dem was man meint, was wichtig ist und dem, was man im Inneren spürt; mit Selbstzweifel, Zukunftsängsten. Muss man die Highschool abschließen, muss man das tun, was Eltern und die Gesellschaft erwarten? Oder sollte man seinem Bauchgefühl folgen und den Weg gehen, der den Interessen folgt, der die Erfüllung sein könnte? Aber es geht um viel mehr: Sei du selbst! Diversität der Figuren, LGBTQIA (lesbian, gay, bisexual, transgender, queer, intersex, asexual/agender) – auch das ist ein Thema. Die Mutter von Aled ist extrem übergriffig – betreibt Gaslighting mit ihren Kindern, ein weiters Thema, das sich gut einfügt. Ein vielschichtiger, empathischer Jugendroman, der mir gut gefallen hat. 


Allerdings soll dieser Roman wohl in der nahen Zukunft spielen – was mich etwas stutzig macht. Diese Zukunft ist heute fast antiquiert. Jugendliche, die Facebook benutzen und mailen, man benutzt Handys, PC’s, fährt mit alten, klapprigen Autos, spielt Candy Crush, schaut YouTube, trägt Sneekers, man muss verheimlichen, dass man sich für das andere Geschlecht interessiert ...  Dieser Welt, die eigentlich die Zukunft darstellen soll, ist für Jugendliche in vielen Punkten heute bereits überholt, bzw. hört sich an, als wären wir in der jetzigen Zeit, auch technisch, umwelttechnisch. Nur weil man ungewöhnliche Namen, Bands, Musikrichtungen einsetzt, ist man nicht seiner Zeit voraus. In diesem Sinn fehlten mir ebenso ein paar coole Wörter einer futuristischen Jugendsprache und überhaupt Zukünftiges. Es las sich wie ein Roman, den ein Erwachsener der heutigen Zeit verfasst hat, aus unserer Zeit heraus – die Geschichte passt auch in unsere Gesellschaft; dabei hätte es die Autorin belassen sollen. Ich bin auch etwas ratlos, warum aus dem Originaltitel «Radio Silence» der englische Titel «Nothing left for us», in der deutschen Version entstanden ist. Das muss man nicht verstehen. Der Loewe Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 14 Jahren, das passt für mich.


Alice Oseman veröffentlichte den ersten Roman mit 19 Jahren. Inzwischen sind drei weitere Jugendromane erschienen sowie die erfolgreiche Webcomicserie Heartstopper. Alice starrt am liebsten stundenlang auf einen Computerbildschirm, stellt dabei die menschliche Existenz in Frage und tut alles Mögliche, um einen ordentlichen Bürojob zu vermeiden.



Alice Oseman        
Nothing Left for Us 
Originaltitel: Originaltitel Radio Silence 
Aus dem Englischen übersetzt von Anne Brauner 
Jugendbuch, Jugendroman, LGBTQIA, Gaslighting, Englische Literatur
Klappenbroschur, 448 Seiten
Loewe Verlag, 2022
Altersempfehlung: ab 14 Jahren



Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
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