Direkt zum Hauptbereich

Morden für Fortgeschrittene von Manfred Lukaschewski - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Morden für Fortgeschrittene 

von Manfred Lukaschewski


Versuсhen wir zunächst, etwas Ordnung іn diеses Chаos zu bringеn und ѕtellеn uns die Frage, ob man die Todeѕursachеn grob in beѕtimmte Klassеn еіntеilеn kann: Man kаnn! – Tod durch Schussverletzungen – Tod durch ѕtumрfe Gеwalt – Tоd durсh hаlbscharfе Gewаlt – Tod durсh ѕcharfе Gеwalt – Tоd durсh Strangulation – Tod durch Temperаtureіnwirkung – Tod im flüssigen Medium – Tod durch Gіft – Tоd durch Elektrizität …

»Morden für Anfänger« war für mich eine interessante Lektüre, die Polizeiarbeit von der realen Seite darstellte. Manch ein Krimileser oder gar Krimiautor glaubt bis heute, der sonntägliche Tatort oder eine SOKO aus den TV wären das Abbild der Realität. Teil 1 war amüsant geschrieben und gab einen groben Überblick der realen Arbeit. Aber eben nur einen Überblick. Der versierte Leser und Krimiautor bekam zwar ein gutes Buch in die Hand, aber an vielen Stellen sagte man sich: Hier hätte ich gern mehr gewusst. Auf den Wunsch vieler Leser hat Manfred Lukaschewski den zweiten Band hinterhergeschoben: Tiefgehenderes. Und dieser Band gefällt mir persönlich wesentlich besser! Der unterhaltsame Plauderton ist fast verschwunden, hier wird mit Fakten argumentiert, mit Fachjargon. Wer kann Opfer einer Straftat werden? Jeder – letztendlich kann ja auch jeder zum Täter werden. Und bei ¨Tötungsdelikten ist die Statistik sehr eindeutig: Zum größten Teil gibt es eine Beziehung zwischen Täter und Opfer, selten ist das Opfer zur falschen Zeit am falschen Ort. Die üblichen Verdächtigen heißen Habgier, Eifersucht, Wut, gekränkte Seele.

Entscheidend ist, dass bei einem Giftmordverdacht eine möglichst zeitnahe Obduktion (aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist die Zahl der Obduktionen, auch der dringend gebotenen, in Deutschland stark rückläufig; ein an sich unakzeptabler Zustand) mit umfassender Asservierung wichtiger Körpermaterialien stattfindet, an denen der Toхikologe mögliche Giftspuren nachweisen kann.

Der Autor erklärt zunächst die verschiedenen Tötungsarten, die klassifiziert werden. Was ist ersichtlich, was kann vermutet werden und warum? Welche Spuren deuten worauf hin und welche Spuren werden gesichert. Der ausgebildete Kriminalist (den es derzeit als Studium leider nicht mehr gibt) schaut mit Adleraugen auf die kleinste Möglichkeit, Spuren zu finden. Und wenn die Polizei ihre Arbeit gut gemacht hat, wird es einem Mörder heute schwerfallen, zu entwischen. Zu gut sind die technischen Möglichkeiten, Spuren nachzuweisen. Dazu muss es allerdings zunächst einen Anfangsverdacht geben. Zu wenig Personal, zu wenig Obduktionen, zu viel Druck auf die Bordkasse – zu wenig Institute. Jede einzelne Untersuchung muss per Formular in Auftrag gegeben werden, von der Staatsanwaltschaft abgesegnet sein – der Rechtsmediziner untersucht nicht wie wild drauf los, sendet Proben an Institute. Und die Ergebnisse kommen auch nicht, wie im TV, am nächsten Tag auf den Tisch geflattert.

Fein auseinanderdividiert erklärt der Kriminalist die Unterschiede zwischen stumpfer, halbscharfer und scharfer Gewalt, welche Dinge darauf hinweisen, dass ein Tötungsdelikt vorliegen kann. Blut spielt eine große Rolle, denn die Spuren geben wichtige Rückschlüsse. Die Menge von TV-Blut ist immer beachtlich, nicht sehr wirklichkeitsnah. Wie unterscheidet man einen Selbstmord von einem Tötungsdelikt z.B. bei Strangulation oder bei Tod im flüssigen Medium? Schmauchspuren, ist der Schuss aus der Nähe erfolgt oder war der Täter ein paar Meter entfernt? Viele kleine Puzzleteile ergeben das große Ganze.

Unter Daktуloѕkоpiе verѕteht mаn daѕ krіmіnаlіѕtіsche Verfahren, einen Menschen anhand der Papillаrlinienbіlder an sеinen Handіnnenfläсhen und Fußsohlen аlѕ eіne bestіmmte Perѕоn zu identіfіzіeren.

Wie tauglich sind Fingerabdrücke und wo werden sie hinterlassen? DNA-Analyse, wie und wo hinterlässt der Täter DNA. Todeszeitermittlung, eine Berechnung mit vielen Variablen. Die Befragung nach dem Alibi, ein wichtiges Werkzeug des Ermittlers: Warst du am Tatort oder anderswo (lat: alibi). Juristisch gesehen kann erst von einem Tötungsdelikt ausgegangen werden, soweit eine Leiche vorhanden ist. So kommt manch schlauer Täter auf die Idee, eben jene verschwinden zu lassen. Nur wie? Bleibt nicht immer irgendwie ein zu identifizierender Rest? Manfred Lukaschewski erklärt eine Menge Dinge zur Polizeiarbeit, wie sie wirklich abläuft, wenn ein Tötungsdelikt vermutet wird. Wissenswertes für Krimifans und Krimischreiber. Anschaulich, verständlich stellt der Autor dar, welche Anzahl von verschiedenen Aspekten berücksichtigt werden müssen, in Kombination gegeneinander gestellt werden müssen. Präzise und genau greift ein Rad in das andere. Eine Mordermittlung ist Detailarbeit – selten ist ein Fall in ein paar Stunden gelöst.


Dipl.-Physiker und Dipl.-Kriminalist Dr. Manfred Lukaschewski, Jahrgang 1951, hat nach dem Studium der Physik (Astrophysik) in Rostock seine Berufstätigkeit bei der Kriminalpolizei Berlin mit dem Schwerpunkt Ballistik begonnen. Ein Zweitstudium ‚Kriminalistik‘ von 1979 bis 1983 an der Humboldt-Universität mit dem Abschluss Diplom-Kriminalist, mit anschließender Promotion zum Dr. jur. 1984 Übernahm er die Leitung einer Morduntersuchungskommission. 2018 ist der erste Teil zu diesem Sachbuch »Morden für Anfänger – Ratgeber für Krimischreiber und Krimileser« erschienen.


Dr. Manfred Lukaschewski 
Morden für Fortgeschrittene
Sachbuch, gebundene Ausgabe: 186 Seiten
Verlag: Fehnland-Verlag, 2019


Rezension zu Teil 1: 

»Morden für Anfänger – Ratgeber für Krimischreiber und Krimileser«






Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Rezension - So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

  Am Fuße der Elk Mountains in Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in fünfter Generation in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater, dem Onkel und ihrem Bruder Seth. In der Stadt begegnet sie Wilson Moon, und beide fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Dramatische Ereignisse zwingen Victoria, selbst das Leben in die Hand zu nehmen. Ein wenig schwülstig, doch gut lesbar, atmosphärisch, ein Familienroman, ein Coming-of-age – gute Unterhaltung … eine Hollywood-Geschichte. Die Pilcher-Fraktion wird begeistert sein!  Weiter zur Rezension:    So weit der Fluss uns trägt von Shelley Read

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore

Rezension - Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis

  (Detektivbüro LasseMaja, Bd. 37)  Es gibt hochfliegende Pläne im Ort Valleby: Ein Astronaut macht mit seiner Raumkapsel in der Kleinstadt Station und will als Nächstes den Planeten Neptun ansteuern. Und laut tönt er, er suche Astronaut:innen, die ihn begleiten. Bewerber will er einem Astronauten-Test unterziehen, danach bestimmt er, wer mitfliegen darf! Natürlich benötigt er auch Spenden für sein Projekt. Die Detektiv:innen Lasse und Maja hören genau zu. Und bei dem, was der Mann so erzählt, kommt schnell der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul ist und der Typ ein Betrüger ist. Das teilen sie dem Dorfpolizisten mit – doch der hat gerade keine Zeit für sie. Ein Dieb geht um … Spannender, witziger Kinderkrimi ab 8 Jahren, Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   Detektivbüro LasseMaja – Das Weltraumgeheimnis von Martin Widmark und Helena Willis 

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna

  Ein alter Mann lebt in einem Haus am Waldrand, mit Blick auf die Stadt. Eines Tages kommt ein hungriger Hund zum Haus, der sich nicht herantraut. Der Mann stellt Futter hin und geht zurück ins Haus. Jeden Tag kommt der Hund am Morgen und am Abend, und weil er so knochendürr ist, nennt der Mann ihn Osso, schließt den Streuner ins Herz. Eine wunderschön erzählt und illustrierte Geschichte über die Beziehung Mensch und Hund. Allage, ab 10 Jahren – Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Osso – Geschichte einer Freundschaft von Michele Serra und Alessandro Sanna