Direkt zum Hauptbereich

Mein Helgoland von Isabel Bogdan - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Mein Helgoland 


von Isabel Bogdan


Isabel Bogdan reist zum Schreiben gern auf die Insel Helgoland. Den Blick wechseln, die Umgebung. Beim Übersetzen reicht ihr der Schreibtisch zu Hause. Übersetzungen sind nicht einfach – doch der Stoff ist da, die Struktur. Schafft man etwas Neues, so braucht man Inspiration – so was wie Helgoland. In diesem kleinen Band erzählt sie, wie ihr die Insel ans Herz gewachsen ist – es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Und sie schreibt über das Schreiben, den Findungsprozess. Helgoland und Schreiben wechseln sich ab, ergänzen sich. Sie berichtet von der kleinen Insel, dem Menschenschlag, Historisches, wie sie mit Ornithologen unterwegs ist, die ihr die Vogelwelt erschließen. Und gern zitiert sie den Helgoländer James Krüss. 


Ein bisschen Helgoland ...

Knieper (Kneifer) sind die Scheren des Taschenkrebses. Viel Fleisch ist da nicht drin, aber dafür sind die Scheren erstaunlich stabil; man bekommt sie auf einen verbeulten Metallteller serviert, dazu einen amtlichen Holzhammer ... macht Riesenspaß ... Man muss schon ordentlich draufhauen. Fest. Und laut. Und mehrfach. Damit die Scheren brechen und man an das Fleisch gelangt.


Mit ihrem Rezept gegen Seekrankheit beginnt das Buch, denn auf der Insel ist es ständig windig bis stürmisch und die Überfahrt kann sich sehr schaukelig gestalten. Ach, ich vergaß – was die Autorin beim Fotografieren fast von den Klippen pustet, ist für einen Helgoländer kein Wind, vielleicht ein Lüftchen. So besonders schön ist die Insel eigentlich nicht, sagt Isabel Bogdan. «Aber außer hässlich ist Helgoland auch noch zauberhaft.» Sie macht mit dem Leser einen Inselrundgang, beschreibt die Naturschutzgebiete, Wind um die Nase (es gibt ja keinen Wind), die Vogelwelt, das heimische Essen und sie schiebt interessantes Wissen mit ein über Tourismus, Offshore-Windparks, Historisches und Anekdoten. Kulinarisches steht auch auf dieser Karte, Knieper, ein Genuss oder ein Getränk namens «Helgoländer», das bei der Autorin nicht so gut wegkommt: grüner und klarer Schnaps und Grenadine in Schichten ins Glas gegossen, was farblich dem historischen Helgoländer Spruch entspricht, geschmacklich aber nicht viel hergibt: «Grön is dat Land, rot is de Kant, witt is de Sand, dat sünd de Farven vun’t hillige Land. (Grün ist das Land, rot ist die Kant, weiß ist der Sand, das sind die Farben von Helgoland.)


... und ganz viel zum Schreiben

Ich umrunde meine Geschichteninsel also zunächst. Erkunde ihre Basis. Im Unterland ist man ganz nah am Wasser. Man sieht unaufhörlich die Wellen anrollen, eine nach der andere, mal höher, schäumend, rauschend, sich überschlagend ... Die Sehnsucht ist sowieso immer da, vielleicht braucht man sie zum Schreiben, vielleicht ist alles Schreiben ein Schreiben gegen die Sehnsucht.


Aber es geht hier nicht nur um Helgoland. Sie beschreibt ihren Schreibprozess, das Hadern mit Sätzen und Wörtern, den Kampf um die Perspektive, das Einfinden in den Sprachrhythmus, den sie mit dem Wellengang vergleicht. Die Natur im Einklang mit dem Schreiben, das eine mit dem anderen im Vergleich. Es ist ihr persönlicher Prozess. Nebenbei berichtet die Autorin immer wieder von Schreibratgebern – die sich dann gegenseitig widersprechen, Gespräche mit andern Autor*innen – wie verschieden sie alle sind – und doch findet jeder seinen Weg. Viele Wege führen nach Rom, den richtigen gibt e nicht. Jeder muss die Schuhe finden, die zu seinem Pfad passen. 


Auf Helgoland ist ja selten Wind


Erst mal muss man etwas können, natürlich, denn wenn man das Handwerk nicht beherrscht, kann auch keine Kunst entstehen.


Eine wundervolle Erzählung – es wird als Sachbuch offeriert – aber das ist es nicht. Ein Eintauchen in eine Insel, den Schreibprozess in Gang bringen, sich leiten lassen von Eindrücken – hadern. Und immer wieder Zitate von James Krüss, dem Helgoländer. Insel und Arbeit fließen gemeinsam auf dem Blatt zusammen. Sehnsucht. Elegant lässt Isabel Bogdan ihr Hadern und Zaudern mit Sätzen und Worten im Vergleich mit Inseleindrücken fließen. Was bieten Schreibratgeber an, welcher Autor rät was, zu welchem Schluss kommen Kollegen. Jeder zu einem anderen. Was dem einen hilft, nützt dem anderen rein gar nichts. Streng strukturiert, Kapitel für Kapitel oder einfach fließen lassen. Der eine so der andere etwas in der Mitte und noch ein anderer hat ein ganz neues Werkzeug. Prima, sagt Isabel Bogdan, wenn man sein eigenes Rezept gefunden hat – feststellt, das es beim nächsten Buch nicht funktioniert, auch nicht beim übernächsten, ebenso nicht die Erfahrungen vom Buch davor. Am Anfang steht man jedes Mal vor dem Nichts. Die Veränderung von Landschaft und Wetter hilft, den Kopf frei zu bekommen. Bitte einmal durchblasen, Wind um die Nase und um die Ohren. Obwohl, auf Helgoland ist ja selten Wind. Ein wundervolles Buch, das jede*r Autor*in lieb gewinnen wird. Eigentlich geht es ja nicht um Helgoland, ja auch, ein bisschen. Helgoland steht für Veränderung im Schreibprozess, für einen freien Kopf, einen ungetrübten Blick, Inspiration, Sehnsucht, Nature Writing. Helgoland könnte auch Malta, St. Florian, Menorca oder Berlin heißen – raus aus dem Alltag! Einfach lesen! Empfehlung für alle Schreibende – als Geschenk Schreibende ideal.


Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Heute lebt sie in Hamburg und übersetzt u.a. Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. Seit zwölf Jahren fährt sie immer wieder nach Helgoland. 2016 erschien ihr Debütroman Der Pfau, 2019 folgte der Roman Laufen. Sie wurde u.a. mit dem Hamburger Förderpreis für Literatur und dem für literarische Übersetzung ausgezeichnet.


Isabel Bogdan 
Mein Helgoland
Sachbuch, Erzählung, über das Schreiben, Helgoland, Nature Writing
Hardcover, 112 Seiten
Mare Verlag, 2021



Über das Schreiben   

Auf dieser Seite findet ihr Bücher, die sich mit dem Schreiben, der Literatur und Themen für die schreibende Zunft beschäftigen.
Über das Schreiben

Das besondere Buch zum Verschenken

Leseverrückte freuen sich fast über jedes Buch. Aber manchmal möchte man nicht einfach ein Buch schenken, sondern jemanden eine besondere Freude machen: Der Mutter, der/dem Liebsten, dem Biertrinker, dem Reiseverrückten, dem Kunstkenner, dem Koch und / oder Genießer der guten Küche. Manchmal soll es mehr als schlicht ein Buch sein ... einfach mal reinschauen! 
Das besonder Buch zum Verschenken

Sachbücher

Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.
Sachbücher

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

  Kurzgeschichten herausgegeben von Felix Jácob Felix Jácob liebt Weihnachten und fürchtet es zugleich. Im Kreis seiner großen Familie wird an den Feiertagen zelebriert, beschenkt – und lautstark gestritten. Als passionierter Leser, studierter Philologe und langjähriger Büchermacher in europäischen Verlagen sammelt er seit Jahren die schönsten und bösesten Geschichten zum Fest. Wer spricht davon, Weihnachten zu feiern? Überstehen ist alles! Garstige, schräge Weihnachtsgeschichten für Lesende, die schwarzen Humor lieben. Weiter zur Rezension:     O du schreckliche: Ein garstiger Weihnachtskanon

Rezension - Der Rückwärtsdieb - Mehr als nur ein Trick! von Ulrich Fasshauer von Ulla Mersmeyer

  Der Vater des 11-jährigen Nachwuchs-Zauberkünstler Lenny ist Antiquar. Die wertvollsten Bücher hält er im Tresor verschlossen. Das eine will er nun verkaufen, es ist ziemlich viel wert. Es sei ein uraltes, wertvolles Zauberbuch. Lenny glaubt, es können ihm weiterhelfen, berühmt zu werden; und so stibitzt er den Band, nur ausgeliehen! Was soll denn schon passieren? Doch dann wird Lenny selbst bestohlen! Wer könnte es auf das alte Buch abgesehen haben? Spannend, turbulent, witzige Dialoge. Lesespaß ab 10 Jahren.  Weiter zur Rezension:    Der Rückwärtsdieb - Mehr als nur ein Trick! von Ulrich Fasshauer von Ulla Mersmeyer

Rezension - Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

  Rezepte, die du lieben wirst Der Israeli Yotam Ottolenghi hat zusammen mit seinem dreiköpfigen Küchenteam das nächste Kochbuch entwickelt. Das Team widmet sich dem Comfort Food und liefert inspirierende Gerichte, die nach Zuhause und Geborgenheit schmecken. Aber auch nach Kindheitserinnerungen und Reiseeindrücken. Comfort Food bedeutet für jeden etwas anderes, auf jeden Fall etwas wie Geborgenheit und Wohlfühlgefühl: ein Gefühl von Nostalgie, aber auch Vertrautheit. So sind über 100 Rezepte entstanden, von der Bolognese (mit asiatischen Gewürzen) bis zu Eier-Gerichten, von der One-Pot-Pasta bis zum Apfelkuchen. Rezepte, die zugleich originell aber auch vertraut und bewährt sind. Und immer mit dem gewissen Ottolenghi-Twist. Weiter zur Rezension:    Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor. ...

Rezension - Die Schatzinsel von Sebastià Serra, nach Robert Louis Stevenson

In diesem hochwertigen Pappbilderbuch wird der Klassiker «Die Schatzinsel» in Reimform erzählt. Es ist die Geschichte einer abenteuerlichen Suche nach einem Piratenschatz, bei der der Junge Jim eine Hauptfigur ist; ebenso eine Schatzkarte. Ich war ja ehrlich gesagt skeptisch, ob man einen dicken, spannenden Roman in eine kurze Reimform bringen kann. Das ist gelungen. Spannendes Bilderbuch ab 3 bis 4 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Schatzinsel von Sebastià Serra, nach Robert Louis Stevenson

Rezension - L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder

  Die Geheimnisse unserer Küche L’Osteria Grande Amore – das erste Restaurant eröffnete 1999 in Nürnberg. Systemgastronomie – heute hat die Kette gut 200 Restaurants in neun Ländern mit rund 8.000 Beschäftigten. Seitdem hat sich das Ursprungskonzept mehr als bewährt: Frische italienische Küche, lässiges Ambiente, Pizze, die über den Tellerrand hinausragen und Systemgastronomie, die schmeckt. Im Buch sind in der Einführung einige Fotos zu den Lokalitäten enthalten. Und dann geht es los zu den Rezepten aus L’Osteria Grande. Neues Rezepte zu Pasta und Pizza! Empfehlung! Weiter zur Rezension:    L’Osteria Grande Amore von L’Osteria und Diana Binder

Rezension - Der Schneeflockensammler von Robert Schneider und Linda Wolfsgruber

  Eine wunderschön poetisch geschriebene Geschichte über einen verträumten Jungen, der viel Zeit mit Nachdenken verbringt und fasziniert ist von den kleinen Dingen der Welt im Lauf der Jahreszeiten: den Eigenheiten der Blätter, der Steine und der Schneekristalle, die ihn besonders begeistern. Immer wieder entrückt Wilson Bently bei der Arbeit, beschäftigt sich mit den Details der Natur. Schau dir das Ulmenblatt an, es hat die gleiche Form wie der Baum, in der Mitte der Stamm, die Verästelung der Blattadern, wie ein kleiner Baum. Schneekristalle begeistern ihn. Wilson Bently ist eine reale Person – es ist eine Biografie. Linda Wolfsgruber taucht die Erzählung in winterliches Blau-Weiß ein, Grafiken, die sich in die Tonalität von Robert Schneider einpassen. Empfehlung! Bilderbuch ab 5 Jahren. Weiter zur Rezension:    Der Schneeflockensammler von Robert Schneider und Linda Wolfsgruber

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Gemüsekisten-Kochbuch von Stefanie Hiekmann

  Saisonal kochen das ganze Jahr. 100 Rezepte, über 300 Varianten Gemüse satt - das ganze Jahr, möglichst regional! Mit über 100 alltagstauglichen Gemüserezepten und unzähligen Tausch-Optionen begeistert dieses Kochbuch nicht nur Gemüsekisten-Fans. Die Kapitel sind nach Monaten aufgeteilt, die Saisongemüse aufgezählt. Ob knusprige Rösti aus Kartoffeln und schwarzem Rettich, gebratener Rhabarber mit Ziegenkäse oder Wirsing-Pasta mit Nussbröseln. Stefanie Hiekmann zeigt, wie man das Beste aus seiner Gemüsekiste herausholt, alles verwertet und saisonale Schätze haltbar macht. Einfach, nachhaltig, gesund und lecker! Die Rezepte sind einfach, also für Anfänger optimal, für den versierten Koch voller Anregungen. Absolute Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Das Gemüsekisten-Kochbuch von Stefanie Hiekmann