Rezension
von Sabine Ibing
Groll
von Gianrico Carofiglio
Ich bin überzeugt, dass mein Vater nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Ich bin überzeugt, er wurde ermordet.
Carofiglio entwickelt eine Geschichte von Schuld und einem tiefen, menschlichen Groll. Ein einflussreicher Mailänder Chirurg und Universitätsprofessor stirbt unerwartet an einem Herzinfarkt; der Arzt bescheinigt den natürlichen Tod, die Leiche wird eingeäschert. Doch die Tochter, Marina Leonardi, geht von einem Verbrechen aus, wendet sich an Penelope Spada, eine ehemalige Staatsanwältin, heute Detektivin ohne Lizenz. Widerwillig übernimmt sie den schier aussichtslosen Fall, der zur dramatischen Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit wird.
Herzinfarkt oder Mord?
Und ich werde ihnen sicher nicht im Voraus sagen, wie ich vorzugeben beabsichtige. Ich werde tun, was ich für angebracht halte, und wie die Dinge liegen – ich sage es nochmal –, bezweifle ich, dass etwas für Sie Zweckdienliches dabei herauskommt.
Die ehemalige erfolgreiche Staatsanwältin und Stabhochspringerin Penelope Spada hatte ihre Karriere abrupt beendet. Von nagenden Schuldgefühlen geplagt, betäubt sie seitdem ihren Schmerz mit Alkohol und Zigaretten, treibt exzessiv Sport und schlägt sich mit privaten Ermittlungen durch. Sie versteht, warum die Tochter des Chirurgen nicht glauben will, dass ihr Vater einfach so umfällt: Herzinfarkt, der «wohlhabende Halbgott in Weiß». Sie braucht Gewissheit, für ihr Seelenheil. Oder Beweise für eine Straftat, denn der Vater hatte vor nicht allzulanger Zeit eine ziemlich hübsche, junge Frau geheiratet. Liebe kann es ihrerseits nicht gewesen sein. Und Liza, dieses Flittchen hat nun den Großteil des Vermögens geerbt. Die Tochter hat sie im Verdacht – auch wenn man ein Alibi hat, kann man dahinterstecken. Gerade dann! Marina Leonardi geht es um die Wahrheit, Geld hat sie trotz allem genug geerbt. Penelope agiert sanft; sie nähert sich jeder Person im Umfeld des Arztes an, teils undercover. Sie stellt Fragen und beobachtet. Kann sie zwei Jahre nach dem Tod des Universitätsprofessors noch etwas herausbekommen? Und warum war er sofort eingeäschert worden? Sein Notar bestätigt, es war eine Änderung des Testaments terminiert. Und der Professor soll Mitglied der illegalen Freimaurer-Loge Boemia gewesen sein.
Ein literarischer Kriminalroman mit starken Charakteren
Dieser Fall ist eher ein Aufhänger für Strukturen. Denn im Rahmen einer Ermittlung als Staatsanwältin hatte man Penelope selbst eine Ermittlung wegen fahrlässiger Tötung an die Backe gehängt. Nichts als die Wahrheit zählt; sie wollte die kriminelle Bande auffliegen lassen, mit allen Mitteln – wobei sie eigenmächtig Grenzen überschritt, was ein Menschenleben kostete. Um dem Disziplinarverfahren mit Amtsenthebung zu entgehen, hatte sie gekündigt. Es geht um Schuld und darum, wie weit man gehen darf, juristisch, ethisch, um die Täter-Opfer-Zuweisung. Gianrico Carofiglio geht tief in seine Figuren hinein, in die Gründe ihres Handelns, in die Gedanken seiner Hauptfigur. Penelope nimmt Kontakt auf mit Liza, der zweiten Ehefrau des Arztes; auch sie ist einsam. Aus dem Aushorchen wird ein immer engerer Kontakt, eine Freundschaft … Ist sie zu weit gegangen? Hier sitzt jeder Satz, kein Wort ist zu viel, stilistisch hervorragend. Als Krimi würde ich diesen Roman nicht bezeichnen, aber es ist Kriminalliteratur. Ein literarischer Kriminalroman mit starken Charakteren. Empfehlung!
Gianrico Carofiglio, geboren 1961 in Bari, arbeitet als Anti-Mafia-Staatsanwalt in seiner Heimatstadt. Bisher sind von ihm drei Romane erschienen, davon zwei um den sympathischen Anwalt Guido Guerrieri. Die Auslandsrechte seiner Romane wurden bisher in 16 Länder verkauft, seine Bücher wurden für das italienische Fernsehen verfilmt, und er erhielt zahlreiche literarische Preise, darunter den renommierten "Premio Bancarella 2005".
Groll
Originaltitel: Rancore
Aus dem Italienischen übersetzt von Verena von Koskull
Kriminalliteratur, literarischer Kriminalroman, Italienische Literatur
Hardcover mit Schutzumschlag, 239 Seiten
Folio Verlag 2023
Krimis und Thriller
Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller
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