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Gott von Ferdinand von Schirach - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing


Gott 


von Ferdinand von Schirach


Das zweite Theaterstück von Ferdinand Schirach; und es läuft ab wie im ersten, «Terror»: Es geht um einen Rechtsfall, der moralisch strittig ist, Sterbehilfe – am Ende steht der Leser / Theaterbesucher vor der Frage: Wie würden Sie entscheiden. In diesem Fall geht es um eine Anhörung vor dem Deutschen Ethikrat in der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Richard Gärtner, bittet um Anhörung. Das Theaterstück ist eine Sterbehilfedebatte. Der Rentner ist 78 Jahre alt, körperlich und geistig gesund, lediglich mit kleinen Alterszipperlein behaftet. Er will seit dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben – es gibt keinen anderen Grund. Weder hat er eine Depression, er ist darauf erfolglos behandelt worden, noch gibt es irgendetwas, dass ihn vom Tod abhalten kann, nicht die Kinder und Enkel oder Freunde. Seit zwei Jahren hat er keinen schönen Tag mehr erlebt – und er hatte ein gutes, erfolgreiches Leben, dass er nun in Würde beenden möchte, nicht später einmal an Schläuchen oder in Demenz. Seiner Frau war es in den letzten Tagen in ihrer Krebskrankheit nicht vergönnt, früher zu gehen, den Schmerz zu beenden. Auch im Namen seiner Frau und allen Menschen, die selbst entscheiden wollen, wann sie die Welt verlassen, möchte er für dieses Recht kämpfen, das es anderen Ländern gibt. Er könnte von der Brücke springen – womit er andere Leute belästigen würde. Er könnte in die anderen Länder reisen – aber er möchte zu Hause sterben; und zwar jetzt.


Tod auf Verlangen

Unser Strafgesetzbuch ist vor mehr als 145 Jahren, 1872, also in der Bismark-Zeit, in Kraft getreten. Es verbot eine solche Hilfe nicht. Und in einem Rechtsstaat gilt: Was das Gesetz nicht verbietet, ist erlaubt. Aber vor etwa 40 Jahren entschied der Bundesgerichtshof, dass die Hilfe zum Suizid zwar straflos sei, der Helfende dem Sterbewilligen aber sofort retten muss.


Richard Gärtner, verlangt nach einem Medikament, das ihn tötet. Nach dem Angeklagten kommen seine Ärztin, sein Rechtsanwalt, ein Rechtssachverständiger, ein medizinischer und ein theologischer Sachverständiger zu Wort, stehen im Disput. Ferdinand von Schirach hat hier wieder ein heikles Thema aufgegriffen, über das man lange diskutieren kann. Er hat es sich nicht einfach gemacht, einen Krebskranken oder einen schwer depressiven Menschen als Beispiel gewählt, sondern einen sozusagen kerngesunden Menschen, dem die Lebenslust fehlt. Es geht um die Würde des Menschen, um den ersten Satz des Grundgesetzes und um das fünfte Gebot. Du sollst nicht töten, zwei Dinge, die sich oft gegenseitig im Weg stehen. Mord ist das höchste Strafdelikt; und ist es Mord, wenn man einen gesunden Menschen tötet – auf sein Verlangen. Oder Beihilfe zur Selbsttötung, wenn man ihm das Medikament zur Verfügung stellt? Suizid ist ja nicht verboten, denn einen Toten kann man nicht mehr bestrafen. Ich darf jemandem einen Strick kaufen, ihm auf den Stuhl helfen, zusehen, wie er sich erhängt, muss ihn aber sofort losschneiden, damit er nicht stirbt. Das wäre nämlich unterlassene Hilfeleistung. Etwas kompliziert. Und wenn ich Arzt bin, bin ich eine Geschäftsperson, hier gilt anderes Recht. Und wie war das mit dem Eid des Hippokrates? Schwört man auf den Eid? – Der wurde ja kürzlich modernisiert: «Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten wird mein oberstes Anliegen sein. Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren. …»  – Das Genfer Gelöbnis, auf das alle Ärzte schwören, wurde auch modernisiert: «Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich: (mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen – alte Version) - mein medizinisches Wissen zum Wohl der Patienten und zur Förderung der Gesundheitsversorgung mit  meinen Kollegen zu teilen. …» Wie steht die deutsche Ärzteschaft zu diesem Thema – Euthanasie des Dritten Reichs in Erinnerung? Gibt es hier eine mehrheitliche Meinung?


Moralische Hürden

Ein Suizid ist reiner Egoismus. Er ist rücksichtslos den Mitmenschen gegenüber. ... Er ist zutiefst unmoralisch.


Die Kirche argumentiert mit Moral und der Bibel. Wird irgendwo in der Bibel der Suizid verboten? Das 5. Gebot bezieht sich auf die Tötung eines anderen. Gibt es Suizide in der Bibel? Und würden wir nicht Tür und Tor öffnen, wenn man Herrn Gärtners Wunsch entsprechen würde? Ein interessanter juristisch- moralischer Disput! Wem gehört unser Leben? Wer entscheidet über unseren Tod? Wer sind wir? Und wer wollen wir sein? Am Ende findet man drei Essays von namhaften Wissenschaftlern, die das Thema der ärztlichen Suizidbegleitung aus medizinethischer, juristischer und theologisch-philosophischer Perspektive beleuchten. Ferdinand von Schirach gibt keine Lösung vor. Wie würden Sie entscheiden?


Der Spiegel nannte Ferdinand von Schirach einen »großartigen Erzähler«, die New York Times einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der Independent verglich ihn mit Kafka und Kleist, der Daily Telegraph schrieb, er sei «eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur». Die Erzählungsbände wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern. Sie erschienen in mehr als vierzig Ländern. Sein Theaterstück «Terror» zählt zu den weltweit erfolgreichsten Dramen unserer Zeit. Ferdinand von Schirach wurde vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er lebt in Berlin.


Ferdinand von Schirach  
GOTT
Theaterstück, Philosophie, Recht, Sterbehilfe, Sterbehilfedebatte
Hardcover mit Schutzumschlag, 160 Seiten
Luchterhand Verlag, 2020


Rezensionen zu weiteren Büchen von Ferdinand von Schirach  

Zeitgenössische Literatur

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