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Ein Ring aus hellem Wasser von Gavin Maxwell - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Ein Ring aus hellem Wasser 


von Gavin Maxwell

Meine Jahre an Schottlands wilder Westküste


An windigen Sommertagen, wenn die Flut ohne jede Kräuselung des Wassers auf den Strand läuft, werden diese Korallen sanft angehoben und fortgetragen, und dann scheint es, als würden in der Bucht Blumen wachsen, wie Seerosen in einem Zierteich, zart verzweigte, weiße und violette Blüten im  Aquamarinblau des klaren Wassers.


 Ein Klassiker des Nature Writing – was für ein Kultbuch! Was für ein «crazy» Typ! Das Buch erschien erstmals 1960 im Original, 1964 in der Übersetzung, wurde 1969 unter dem Titel «Mein Freund, der Otter» verfilmt. Nachdem Maxwell eine schottische Insel gekauft hatte, um professionellen Walfang aufzubauen, das Projekt misslang, bietet ein Freund ihm an, ein altes Cottage zu beziehen, das ehemalige Heim eines Leutturmwärters. 


Alles hängt mit allem zusammen


Raben und Krähen hacken manchmal lebenden Lämmern oder einem geschwächten Hirschkalb die Augen aus, aber vor allem sind sie Aasfresser. Im Spätsommer und mitten im Winter halten sich die Nebelkrähen überwiegend am Stand auf, wo sie Muscheln öffnen, indem sie sie hoch in die Luft tragen und dann fallenlassen, damit sie auf den Felsen zerschmettern.


Camusfeàrna, ein abgelegener Flecken an Schottlands Westküste, gegenüber der Insel Sky, nur zu Fuß oder per Boot zugänglich, die nächsten Nachbarn kilometerweit entfernt. Die Bucht der Erlen, mitten in der Wildnis, in den ersten Jahren kommen die Hirsche fast vor das Haus – bis eine Mauer von entfernten Anwohnern gebaut wird. Wilde Ziegen, Füchse – Maxwell ernährt sich vom Fischfang und Kaninchen. Das leere Haus füllt sich mit ersten Gebrauchtmöbeln aus der Gegend und Strandgut. Mit seinem Hund verbringt Maxwell hier Frühjahr bis Herbst, erforscht Tiere und Pflanzen, schreibt, im Winter lebt er in seiner Wohnung in London. Als sein Hund, in die Jahre gekommen, stirbt, beschließt er in seinem Schmerz, sich kein neues Haustier anzuschaffen. In diesem Teil sind die schroffen Landschaftsbeschreibungen präzise, geben das raue Klima wieder, den Kampf ums Überleben: «Fressen und gefressen werden». Selbst Hirschkälber sind von vielen Feinden an Land und in der Luft ständig umkreist. Eines Tages schillert das Meer vor der Tür, Maxwell und eine Nachbarssöhne, steigen ins Meer, baden sozusagen in Heringen, die man eimervoll fischen kann. Warum?, fragt er sich. Er beobachtet, wie die Schwärme von Makrelen in die Bucht hineingedrängt werden – die wiederum von einer Herde Schweinswale bedrängt werden und hinter denen lauerte ein Killerwal, um einen von ihnen zu reißen. Ein unglaubliches Schauspiel, das hier beschrieben wird.


Intelligente Otter bestimmen nun das Leben


Als auch ich endlich das Wasser erreichte, kam es mir vor, als würde ich durch einen silberfarbenen Sirup waten; unsere nackten Beine stemmten sich gegen eine dichte Masse winziger Fische wie gegen ein festes nur widerwillig nachgebendes Hindernis. ... Wir waren fischtrunken, fischnärrisch, fischselig in dieser goldgelb leuchtenden Blase aus Luft und Wasser.


Doch die Einsamkeit drückt. Maxwell ist nebenbei ein Reisender. Während einer Forschungsreise durch die irakischen Sümpfe entdeckt er die putzigen Fischotter. Er kauft ein Baby, das verstirbt, ein weiteres, das er Mijbil nennt, beschließt, den Otter mit nach Schottland zu nehmen. Die Reise per Flugzeug und Bahn, die eben nicht ganz so reibungslos verläuft, wie Maxwell sich das vorgestellt hatte, ist ziemlich chaotisch, humorvoll beschrieben – etwas, was man sich heute so nicht mehr vorstellen kann. Zunächst geht es nach London, wo Maxwell mit Mijbil auf den Straßen Gassi geht und der Fischotter ihm seine Wohnung verwüstet. Eine große Liebe zwischen den beiden entbrennt. In Schottland eingewöhnt, darf Mijbil auf Tour gehen, das Haus ist ottergerecht eingerichtet. Doch leider wird Mijbil das Leben nach einem Jahr genommen – ein Mensch ermordet ihn. Die neu entdeckte Otternart wurde übrigens nach ihm benannt: «maxwelli». Maxwell ist so fasziniert, dass er sich entscheidet, einen neuen Otter zu ordern – was scheitert. Doch der Zufall will es, dass er auf eine Familie trifft, die wegen eines Umzugs ein neues Heim für das junge Otternweibchen Edal suchen. Weitere Haustiere kommen hinzu: Ein Schwarm Graugänse wird angeschafft. 


Das Leben im Widerspruch


... wurden die Gänse auch für unsere Angelexpeditionen im Meer ein Problem. ... Kamen sie doch plötzlich aus der Ferne angeflogen, landeten magisch angezogen von den Angelhaken und den tanzenden, silbernen Fischen, die über das Dollbord gezogen wurden ... In solchen Momenten begriff ich, wie schwierig das Leben wäre, wenn wilde Tiere und Vögel keine Angst vor dem Menschen hätten - und wie kompliziert irgendwann der Alltag für Franz von Assisi geworden sein musste.


Die abgelegene Landzunge, umspielt von einem Ring aus hellem Wasser, ein wundervolles Buch über einen Mann und seine Liebe zur Natur, zu Ottern. Mit Ottern in einem Bett schlafen, das Haus für den Otter einrichten. Er liebt diese Tiere, weil sie sich nicht unterwerfen wie Hunde, aber auch nicht so freiheitsliebend wie Katzen sind. Die Otter sind anhänglich, suchen Gesellschaft, wollen spielen und kommen brav am Abend nach Haus, legen sich zu Maxwell ins Bett. Natürlich herrscht hier ein großer Widerspruch. Maxwell wechselt häufig die Positionen zwischen frei und domestiziert. Letztendlich hat er den Otter seines natürlichen Lebensraums entzogen – wobei mehrere Otterbabys ihr Leben lassen mussten – kein Mitgefühl vom Autor; die Babys sind für ihn Ware. Im Winter lebt der Otter in der Londoner Wohnung, in der Badewanne planschend – hält der naturliebende Autor das für artgerecht? Die Tiere sind seine Mitbewohner, seine Familie, seine Geliebten: Jonni, der Hund verstirbt, wird durch Mijbil ersetzt, der durch Edal. Maxwell ist in seinem Groll bereit, den Mörder von Mijbil umzubringen – was er glücklicherweise dann doch unterlässt. Er fängt eine kleine Wildkatze im Auftrag, die er im Schlafzimmer einsperrt, das sie verwüstet. Er jagt Vögel für sie und entschuldigt sich gleich: «damit sie überleben kann». Ob für sie ein eingesperrtes Leben lebenswert ist, darüber denkt er nicht nach, fragt nicht, wohin die Katze kommt – hört nie wieder etwas von diesem Mann. Es hat mich erstaunt, wie ein und der gleiche Mensch, der als Naturschützer galt, auf der einen Seite Tiere wie Ware behandelt, auf der anderen Seite sie als Gefährten vermenschlicht. Wir dürfen auch nicht vergessen, wann dieses Buch geschrieben wurde, wenn wir über das kolonialistische Vorgehen und Denken manchmal den Kopf schütteln. Alles in allem ein bemerkenswertes Buch des Nature Writing.


Gavin Maxwell und Mijbil


Der Film: 




Gavin Maxwell, geboren 1914, war ein schottischer Schriftsteller, leidenschaftlicher Naturforscher und Naturschützer. Von adeliger Herkunft war Maxwell als Ausbilder für den britischen Nachrichtendienst tätig, betrieb u.a. eine Haifischjagd und bereiste als Abenteurer die Welt. Später lebte er zurückgezogen an der schottischen Nordwestküste, wo er sein Werk «Ring of Bright Water» verfasste, 1960 ein weltweiter Bestseller, über sein Leben mit Fischottern, die er großzog. Maxwell verstarb 1969 in Inverness.


Gavin Maxwell 
Ein Ring aus hellem Wasser
Meine Jahre an Schottlands wilder Westküste
Originaltitel: Ring of Bright Water, 1960
Mit einem Nachwort von Robert Macfarlane
Übersetzt aus dem Englischen von Iris Hansen und Teja Schwaner
Nature Writing, Autobiografie, Klassiker, Schottland, Otter
336 Seiten, 15 s/w Abbildungen
Blessing Verlag, 2021


Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Romane

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