Direkt zum Hauptbereich

Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden 


von Kate Beaton




Ein sozialkritischer Comic, aufgebaut wie ein Tagebuch: Kanada, 2005, in den die Ölsanden kann man verdammt viel Geld verdienen. Die junge Historikerin Katie aus Nova Scotia hat ihr Studium beendet. Doch sie kann sich ausrechnen, dass sie es mit einem Job in ihrem Berufsfeld schwer haben wird, ihr Studentendarlehen abzubezahlen. Das Gehalt wird nach Abzug der Raten zum Leben vorn und hinten nicht reichen. So beschließt sie, zunächst einen harten Job zu absolvieren, um den Kredit zu tilgen und macht sich auf ins vom Ölrausch beseelten Alberta an die kanadische Westküste. Auf den Ölsanden Kanadas, wo die Industrie seit Jahren die Landschaft abträgt und die Erde durch Fracking vergiftet, lernt Katie eine harsche Wirklichkeit unter Männern kennen, in der die Sitten so rau sind wie die Witterung. Schonungslos gibt sie den Alltag im Fracking-Camp wieder, der von Übergriffen, Einsamkeit und extremer körperlicher und seelischer Belastung geprägt ist.



Die autobiographisch eindrucksvolle und berührende Graphic Novel in Schwarz-Weiß gezeichnet verdient Beachtung! «Syncrude, Mildred Lake» – der erste Job in der Werkzeugausgabe. Nur Männer um sie herum (50:1 ist das Verhältnis) und riesige Maschinen, Trucks und Kräne; die Temperaturen sind eisig. Blicke auf sie, Geflüster und klare Anmache, ununterbrochenen sexistisches Gehabe. Die Luft riecht nach Testosteron, nur toxische männliche Gewalt. Mehrfach wechselt Katie die Camps zu anderen Arbeitsstellen, aber überall herrscht der gleiche Sound. Als wenn verbale sexueller Gewalt nicht genug wäre, Katie wird zwei Mal vergewaltigt, einmal als schwarzer Panels #metoo dargestellt. 



Doch es geht auch um diese Arbeiter, die fern der Heimat jahrelang im Camp ausharren. Die Enge kommt fast einer Käfighaltung gleich, die in den Menschen etwas auslöst. Das Gefühl des Eingesperrtseins; obwohl man ja gehen könnte; die Einsamkeit, die einen überfällt, wenn man in einem Gruppengefüge lebt, das an der realen sozialen Struktur des Zusammenlebens vorbeiläuft. Freizeitaktivitäten hier in der Kälte: Stripclubs, Partys auf den Zimmern – das du hinterher nicht wiedererkennst – stumpf rumhängen. Diese Menschen vermissen ihre Familien, leben in sozialer Isolation. Die Frauen und Kinder sind fern; man ist hier lediglich gelandet um Kohle zu scheffeln für die Familie; manche arbeiten hier ziemlich lange, zu lange. Alkohol- und Drogenmissbrauch sind oft das Ergebnis oder Depressionen.



«Die Ölsande agieren auf gestohlenem Land. Ihre Verschmutzung, Arbeitscamps und ständig anwachsende Siedlerbevölkerung haben weiterhin ernsthafte soziale, ökonomische, kulturelle. Ökologische und gesundheitliche Konsequenzen für die indigenen Gemeinschaften in der Region. Ich fordere alle auf, die Geschichte und die aktuellen Probleme der Athabasca Chipewyan First Nation, der Chipewyan Pairie First Nation, der Fort McKay No. 468 First Nation, der Mikisew Cree First Nation sowie der Métis-Gemeinschaften in Nord-Alberta besser zu verstehen.» (Nachwort)



Ein zweites Thema ist die Ölförderung. Kanada ist eins der ölreichsten Länder. Doch hier wird nicht gebohrt, da das Öl im Sand gebunden ist. Die Bitumen sind eine zähe Masse, weshalb der Teersand mit Hilfe von Dampf in seine Bestandteile zerlegt werden muss. Sand, Ton und andere im Öl unerwünschte Stoffe werden abgetrennt und das Bitumen kann abgepumpt werden. Dabei wird heißer Wasserdampf in die unter der Erdoberfläche liegende ölsandführende Schicht eingebracht. Der heiße Dampf verflüssigt das gebundene Öl, das dann ohne zu graben abgesaugt werden kann (wie im Comic beschrieben). Das sogenannte In-Situ-Verfahren braucht noch weit mehr Energie, man benötigt sehr viel Wasser, um Öl und Sand zu trennen . Die verbleibenden, bisher gebundenen Stoffe sowie das Produktionswasser sind toxisch und tragen zur Vergiftung des Grund- und Oberflächenwassers bei. Massive Schäden für die Umwelt sind das Ergebnis, Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden zerstört, Flüsse und Grundwasser vergiftet.



Kate Beatons wurde in einem Interview gefragt, warum sie den Comic «Ducks nannte. Und sie antwortete:


In den giftigen Abwasserbecken sind mehrfach Enten gestorben. Ihnen erging es ähnlich wie den Arbeitern. Sie zogen umher, glaubten, an einen für sie guten Ort gekommen zu sein – und der wurde ihr Verhängnis. Außerdem hat das Schicksal der Enten erstmals weltweit auf die kanadische Ölförderung aufmerksam gemacht. Vorher hat sich niemand dafür interessiert. Angesichts der sonstigen ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Schäden, die aufs Konto der Ölförderung gehen, war die Aufregung über die Enten allerdings unangemessen und heuchlerisch.



Ein beeindruckender Comic-Band, der auf der einen Seite eine gesellschaftskritische Anklage ist, #metoo behandelt, andererseits genau das zutage bringt, was geschieht, wenn Menschen abgeschottet zu lange in Camps leben in dissozialen Verhältnissen. Gleichzeitig ist es eine Anklage an die Umweltverschmutzung in Kanada, die durch die Ölförderung entsteht. Öl ist keine saubere Energie! Unberührte Natur wird hier beschädigt, ein Schaden, der über Jahrzehnte nicht zu reparieren sein wird. Eine autobiografische Graphic Novel die zu Herzen geht! Meine Altersempfehlung: Allage, ab 14 Jahren. Klare Leseempfehlung.


Kate Beaton wurde mit ihrem Web-Comic «Obacht, Lumpenpack!» (Zwerchfell Verlag) bekannt, in dem sie Figuren aus Historie, Pop-Kultur und literarischem Kanon auf den Zahn fühlt. Mit «Ducks» gelang ihr in Kanada und den USA DER Graphic-Novel-Erfolg der letzten Jahre. «Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden» war auf Barack Obamas jährlicher Empfehlungsliste, als erster Comic überhaupt, und auf den Bestenlisten 2022 der New York Times, des New Yorkers, des Time-Magazins, der Washington Post und vielen weiteren Publikationen.


Kate Beaton hat aus ihren harten Erfahrungen in den Ölsanden eine umfangreiche und vielschichtige Bilderzählung geschaffen – voller Anmut –, die die Humanität jener Menschen einfängt, die eine Art ‹schmutzige Arbeit› verrichten, an der wir alle mitschuldig sind. – Alison Bechdel


Kate Beaton
Ducks – Zwei Jahre in den Ölsanden
Aus dem Englischen von Jan Dinter
Lettering: Stefan Dinter & Lara-Sophie Ludwig / Font: Kate Beaton
Comic, Graphic Novel, Kanada, Ölsanden, Fracking, Ölproduktion, Umweltverschmutzung, #metoo, Kanadische Literatur
Hardcover, 448 Seiten, zweifarbig, 17 × 23 cm
Zwerchfell Verlag & Reprodukt Verlag, 2023 




Graphic Novel, Comic, Grafisches  

Für die Fans von Comis / Graphic Novels und sonstigem Gezeichneten, wie Satire. Hier auf dieser Seite zusammengefasst.  Alle Altersgruppen. Graphic Novel, Comic, Grafisches








 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Drainting: Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger

  Als Drainting bezeichnet Felix Scheinberger die intuitive Kombination von Malen und Zeichnen. Damit hebt er die jahrhundertealte heute vollkommen unnötige Trennung zwischen Flächen malen und Linien zeichnen auf und verbindet das Beste aus beiden Welten. Früher machten wir einen Unterschied zwischen Zeichnen und Malen und damit fingen die Schwierigkeiten an. Wo es nämlich gar keine Umrisslinien gibt, gilt es, diese abstrakt zu (er)finden. Die intuitive Kombination aus Zeichnen (Drawing) und Malen (Painting) garantiert gute Ergebnisse und unendlichen Spaß! Eine gute Einführung erklärt das Knowhow und Grundsätzliches zum Malen und Zeichnen – gute Ideen, die man selbst umsetzen kann. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Die Kunst, malen und zeichnen zu verbinden von Felix Scheinberger 

Rezension - Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz Karnauchow und Petra Thees

  Alter könnte so schön sein. Doch ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert. Schlimmer noch, sie denken sich alt und grenzen sich selbst aus, sagen die Autor:innen. Das hat Folgen: Krankheit und Gebrechlichkeit im Alter gelten als normal. Altenpflege folgt daher dem Prinzip «satt, sauber, trocken». Und genau dieses Prinzip kritisieren Dr. Petra Thees und Lutz Karnauchow und gehen mit ihrem Ansatz neue Wege. Dieses Buch stellt einen neuen Blick auf das Alter vor - und ein radikal anderes Instrument in der Altenpflege. «Coaching statt Pflege» lautet die Formel für mehr Lebensglück im Alter. Ältere Menschen werden nicht nur versorgt, sondern systematisch gefördert. Das Ziel: ein selbstbestimmtes Leben. Bewegung, Physiotherapie und Sport statt herumsitzen! Ein interessantes Sachbuch, logisch in der Erklärung, ein mittlerweile erfolgreiches, erprobtes Konzept. Weiter zur Rezension:    Alt, fit, selbstbestimmt: Warum wir Alter ganz neu denken müssen von Lutz...

Rezension - Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

  Helene hätte ihren Mann, Georg, verlassen können – damals – für Alex. Aber sie hat es nicht getan. Und jetzt hat ihr Mann sie verlassen – weil er sich in eine andere verliebt hat. ‹Es ist einfach passiert.›, sagt er, zieht bei Mariam ein. Aber vielleicht ist das Ende gar kein Ende? Vielleicht ist es ein Anfang für die Mittvierzigerin. Vielleicht ist sie gekränkt weil Georg einfach ging – eifersüchtig, eben auch, weil die Kinder diese junge Yogalehrerin mögen. Doch gleichzeitig ist sie jetzt frei – vielleicht für Alex, denn die beiden haben sich seit ihrer Studienzeit in Paris nie aus den Augen verloren. Eine verdammt gut geschriebene Familiengeschichte. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:     Lügen, die wir uns erzählen von Anne Freytag

Helisee - Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

  Im 10. Jahrhundert gehört der westliche Teil der heutigen Schweiz zum Königreich Birgunt, erzählt uns diese Geschichte. Es ist eine wilde Gegend voller Wälder und Sümpfe, wo viele Menschen noch im Glauben an die alten Götter und Geister leben. Die Mauren greifen das Land an. Die Königin Bertha schützt das Land tapfer gegen räuberische Einfälle der mediterranen Mauren. Als der Hirtenjunge Ernestus, den die Leute im Dorf Erni nennen, einer ausgerissenen Ziege in den Wald folgt, überschreitet er unabsichtlich die Grenze des verrufenen Landstriches Nuithônia, dem Land der Feen. Seit Menschengedenken ist es verboten, dieses Gebiet am Fuß der Alpen zu betreten. Und er findet dort einen besonderen weißen Kiesel … Ein epischer Roman der High Fantasy, ein wenig Schweizer Sagenwelt, gut zu lesen. Weiter zur Rezension:    Der Ruf der Feenkönigin von Andreas Sommer

Rezension - Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt

Bendix, der Häuptling des Keltendorfs Taigh, ist außer sich: Jemand hat seinen Honigtopf gestohlen! Lindis, der Ziehsohn der Dorfdruidin Kundra und dessen Freunde Finn und Veda wollen der Sache auf den Grund gehen. War der Dieb hinter der wertvollen Amphore her oder hinter deren speziellem Inhalt? War es einer der fahrenden Händler? Und dann ist auch noch die kleine Tochter der Sklavin verschwunden! Unter dem Vorwand, fischen gehen zu wollen, machen sich die drei Jugendlichen heimlich auf die Suche nach den Händlern und kommen dabei einem Geheimnis auf die Spur … Weiter zur Rezension:    Lindis und der verschwundene Honigtopf von Viola Eigenbrodt 

Rezension - Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

  Gesprochen von Hans Jürgen Stockerl Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 12 Std. und 7 Min. Wir schreiben das Jahr 1683. Der junge Engländer Obediah Chalon, Spekulant, Händler und Filou, hat sich in London gerade mit der Investition von Nelken verspekuliert und eine Menge Leute um ihr Geld gebracht, das mit gefälschten Wechseln. Conrad de Grebber, Direktoriumsmitglied der Vereinigten Ostindischen Compagnie bietet Obediah  die Möglichkeit, der Todesstrafe zu entgehen: Er wird auf eine geheime Reise geschickt, um etwas zu stehlen: Kaffeepflanzen. Spannender Abenteuerroman rund um den Kaffee. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Der Kaffeedieb von Tom Hillenbrand

Rezension - Die Legende von John Grisham

  Die Schriftstellerin Mercer Mann wird auf ein Drama aufmerksam, das sich quasi direkt vor ihren Augen abspielt: Ein skrupelloses Bauunternehmen will eine verlassene Insel zwischen Florida und Georgia bebauen, ein Touristenparadies mit Hafen, Golfplatz, Spielcasino, Hotels, Villen, Apartmenthäusern – ein Luxusreservoir. Lovely Jackson, die letzte Bewohnerin der Insel hingegen behauptet, die Insel gehöre ihr, als letzte Nachfahrin der entflohenen Sklaven, die dort seit Jahrhunderten gelebt haben. Sie will das Naturparadies aufrechterhalten, die Gräber ihrer Vorfahren pflegen. Die Geschichte der Sklaverei, verbunden mit einem Gerichtsurteil im Jetzt. Kann man lesen, aber nicht der beste Grisham. Weiter zur Rezension:    Die Legende von John Grisham

Rezension - Der Gott des Waldes von Liz Moore

Im August 1975 findet wie jedes Jahr ein Sommercamp in den Adirondack Mountains für Kinder und Jugendliche statt. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje liegt, beginnt eine großangelegte Suche nach der 13-Jährigen. Barbara ist keine gewöhnliche Teilnehmerin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Viele Jahre zuvor verschwand hier der achtjährige Bear, ihr Bruder, der seit 14 Jahren vermisst wird. Hängen die Vermisstenfälle zusammen? Liz Moore zeigt mit ihrem literarischen Krimi ein Gesellschaftsbild, bei dem Frauen nichts zu sagen haben. Spannender Gesellschaftsroman, ein komplexer Kriminalroman. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Der Gott des Waldes von Liz Moore