Rezension
von Sabine Ibing
Diese eine Lüge
von Dante Medema
Der Anfang:
Meine Eltern schufen alles nach dem Bildnis
der perfekten Familie in Alaska.
Das Eigenheim mit Ausblick,
eine Hütte auf Kenai,
2,5 Kinder,
zusammenpassende wasserdichte Stiefel,
ein im Sicherheitstest mit fünf Sternen bewerteter Volvo
mit Allradantrieb.
Das halbe Kind bin wohl ich.
Cordelia hat für ihr Abschlussprojekt in der Schule das gleiche Thema wie ihre ältere Schwester Bea gewählt: Ihre DNA-Aufschlüsselung nach ihren Wurzeln zu erforschen, aber anders wie Bea, die Forscherin, möchte die lyrische Delia das Ganze in Form von Poesie bearbeiten. Und als das Ergebnis von «GeneQuest» zu ihrer genetischen Abstammung nach Ethnien ankommt, nach möglichen Verwandten, findet sich ein Match hierbei: Ihr genetischer Vater! Aber es ist nicht ihr Vater – der, von dem sie glaubte, er wäre es. Cordelia ist schockiert. Eine Lüge! Diese Erkenntnis wirft Millionen von Fragen auf, weckt Wünsche, sät Zweifel. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Sie muss ihren Erzeuger, Jack, auffinden und sich mit ihm treffen, und sie beschließt das Geheimnis zunächst für sich zu behalten. Als die Mutter das erfährt, bittet sie darum, dem Papa nichts zu sagen, und auch sie gerät in schwere Gewissenskonflikte.
Der Roman, erinnert in seiner lyrischen Form an das Jugendbuch «Wer ist Edward Moon». Die lyrische Erzählform wird unterbrochen von Emails und Chats, die Delia mit ihrer Freundin, ihrer studierenden Schwester Bea, ihrer Lehrerin und ihrem Projektpartner Kodiak austauscht. Auch Kodiak liebt Lyrik, er schreibt Songs die er mit seiner Gitarre begleitet. Beide wollen an einem Lyrikwettbewerb teilnehmen und es entwickelt sich im Verlauf der Geschichte eine Liebesgeschichte zwischen beiden. Delia ist auf der Suche nach sich selbst, eine comming-of-age-Geschiche. Von ihren Gefühlen getrieben, manövriert Delia sich in Situationen, aus denen ihr ihre Freunde heraushelfen; insofern hat die Geschichte auch viel mit Freundschaft zu tun. Delia öffnet sich völlig in ihren Gedichten, was dem Buch eine enorme authentische Emotionalität verleiht. Verwirrung, Wut, Zweifel, Angst trift mit voller Wucht fast wie in Tagebuchform auf den Leser. Ein Roman, der berührt! Die Story stellt die Frage, was mehr verbindet, die Gene oder die Zuneigung, die Menschen durch andere erfahren. Ist Blut dicker als Wasser? Eine Vaterfigur, die man sich als Held vorstellt, fast wie ein Denkmal – wie hart trifft die Realität, wenn die heroisierte Vorstellung auf banale Fakten trifft?
Wäre ich eine Pflanze,
gehörte ich nicht Jack.
Die Saat mag von ihm stammen,
aber die Erde hat er nicht bestellt,
den Boden nicht gewässert und
nicht einen kalten Frühling gewartet,
bis meine Blätter knospten und wuchsen.
Aber jetzt welke ich
und ich frage mich ständig, ist Jack nun
Regen oder Sonne,
Pestizid oder Dünger.
Letztendlich sind diese Lyrik-Romane nichts anderes als knallharte Prosa, die sich auf kurze Zeilen verteilen. Das ist keine Kritik, im Gegenteil, denn so lesen sich solche Romane flüssig, aber dennoch mit Gedankenpausen und der Möglichkeit, Metaphern freien Lauf zu lassen. Der Thienemann Verlag empfiehlt den Jugendroman ab 13 Jahren. Das passt für mich. Ein Buch, das mich begeistert hat!
Dante Medema schreibt Bücher für junge Leser. Sie lebt in Anchorage, Alaska, mit ihrem Ehemann, vier Töchtern und einem Raum voller außerirdischer Fanartikel - und natürlich Büchern. Wenn sie nicht schreibt, versucht sie sich im Backen, Dekorieren, Nähen und Malen. Außerdem interessiert sie sich für Enneagramm-Persönlichkeitstypen.
Diese eine Lüge
Original: The Truth Project
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Bettina Obrecht
Jugendbuch, Jugendroman, Lyrik-Roman
384 Seiten
Thienemann Verlag, 2020
Altersempfehlung: Ab 13 Jahre
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