Direkt zum Hauptbereich

Die Stille vor dem Sturm von Marina Heib - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Die Stille vor dem Sturm 

von Marina Heib


Vater hat eine Jacht gekauft. Eine wunderschöne Swan 70. Luxusklasse, 21 Meter lang, fünf Kabinen. Das Innenleben ist völlig neu ausgestattet, modernste Technik, Touchscreen-Überwachung, neueste Navigations- und Kommunikationsgeräte, AIS …

Drei Brüder einer reichen Reederfamilie bekommen von Papa eine große, nagelneue Segeljacht auf Gran Canaria in den Hafen gestellt. Sie wollen einen Segeltörn auf die Kaiman Inseln machen, um mit Papa den 65. Geburtstag zu feiern. Mit dabei ist ein segelerfahrener Ingenieur aus Papas Firma, samt Lebenspartnerin, Freundinnen der Brüder. Es soll ein angenehmer Törn werden. Doch einen Tag vor der Abreise steigt Tims Freundin allein aus dem Flugzeug, der jüngere Bruder mailt den anderen, er hätte einen guten Job angeboten bekommen, den er keinesfalls gedenkt sausen zu lassen. Man möge seine Freundin mitnehmen, liebe Grüße, bis demnächst auf den Kaimans. Niemand kennt diese Kindergärtnerin, sie passt so gar nicht in diese versnobe Gruppe … Aber was solls, man nimmt sie mit. Gute Laune, ein wundervolles Boot, leckeres Essen, strahlender Sonnenschein, besser kann eine Reise nicht beginnen. Am dritten Tag stößt man auf einen Segler in Seenot, geradeeben können sie ihn retten, bevor sein Schrottkahn versinkt. Nun sind 4 Frauen und 4 Männer an Bord. Am nächsten Tag ist ein Passagier tot und das wird nicht der letzte bleiben. Es kann nur der Schiffbrüchige gewesen sein. Oder etwa einer der Ihren? Der Mörder ist auch ein Saboteur, denn alle elektronischen Verbindungen sind gekappt, Geräte zerstört, bzw. wohl über Bord gegangen, einschließlich des Funktelefons.

Spannender Pageturner mit Schwächen

Können wir auch Nadine mitnehmen?‹ Zu Mike gewandt schob sie nach: ›die war schon mal Boxenluder bei einer Regatta, ist also quasi vom Fach! Und sieht selbst beim Kotzen über die Reling super aus.

Marina Heib hat einen spannenden Pageturner vorgelegt, spannend, Seite um Seite. Wer einen Pageturner sucht, ist sicherlich gut bedient. Ein Schiff, mitten auf dem Meer – niemand kann aussteigen – die Gruppendynamik ist durcheinandergewürfelt, Instinkte werden wach, Charaktereigenschaften blättern auf, die die anderen vorher nicht gekannt hatten. Es gibt zwei weitere Stränge an Land, die ich der Spannung halber nicht weiter beschreibe. Dank dieser Stränge hat der Leser gegenüber den Protagonisten an Bord einen Wissensvorsprung. Betrachtet man das Setting, so ist es reichlich konstruiert, na gut, es ist ein Pageturner. Womit ich aber gar nicht klar kam, waren die Charaktere. Die sind allesamt nicht stimmig im Gesamtbild und völlig wirklichkeitsfremd. Selten habe ich solch klischeehafte Charaktere vor mir gehabt. Als das erste mal die Kaimans auftauchten, klingelte es bei mir im Kopf ganz laut. Hier wird wirklich kein einziges Klischee ausgelassen. Um der Spannung willen gehe ich nicht in Einzelheiten. Nach diesem Roman sind alle Kinder von reichen Familien egoman, geldgeil, verantwortungslos und drogen- und vergnügungssüchtig, nicht geschäftstauglich. Alle gehen aufs Internat. Die Jungs sind Obermatchos, Frauen dusslige Tussis, die auf der Suche nach einem reichen Kerl sind, in Designerklamotten balzen und es maximal hinbekommen, sich die Fußnägel selbst zu lackieren. Am Anfang war ich etwas verwirrt bei den Dialogen. Hier reden Endzwanziger mit abgeschlossenem Studium, trainiert im Internat auf Sprachschliff und Etikette, wie vierzehnjährige Halbstarke aus dem Wedding. Bei fast allen Protagonisten war mir in der Gesamtheit ihr Handeln am Ende nicht stimmig und in der Kombination mit ihrem klischeehaften Verhalten konnte ich nicht mit ihnen warm werden. Die Charaktere liegen offen wie ein Scheunentor und darauf basierend wusste ich ab der Mitte, wer an Bord böse ist, und zwar zielgenau. Ich hoffte, ich würde mich irren… Es gibt ziemlich viel Segellatein, zu viel, und dafür zu wenig Atmosphäre. Oft wirken die Dialoge schräg, wenn die Protagonisten Leserwissen verteilen, insbesondere wenn es ums Segeln geht – diese Vorträge mit Fachwissen bringen die Geschichte nicht weiter. Die Dialoge sind insgesamt in diesem Thriller recht schwach. Ein Kammerspiel auf engstem Raum, fein psychologisch ausgearbeitet, hätte klasse werden können und auch die Nebenstränge nicht gebracht. Aber dazu braucht es fein ausgearbeitete Charaktere, Geheimnisse.

Nicht für jeden Thrillerleser geeignet

Fazit, wer schlicht einen Pageturner, Spannungsliteratur, sucht, der liegt bei dem Buch richtig. Wer starke, stimmige Charaktere sucht, Stimmungsbilder und gute Dialoge, der wird nicht ganz zufrieden sein.

Marina Heib wurde in St. Ingbert im Saarland geboren. Nach ihrem Studium der Orientalistik und Philosophie ging sie 1988 nach Hamburg, wo sie als Redakteurin für mehrere Publikumszeitschriften tätig war. Seit 1998 arbeitet sie als freie Drehbuchautorin fürs Fernsehen. Von Marina Heib sind bislang fünf Kriminalromane, zwei Thriller und mehrere Kurzgeschichten in diversen Verlagen erschienen.


Die Stille vor dem Sturm 
Marina Heib
Thriller
Pendragon Verlag, 400 Seiten, Klappenbroschur


Hier geht es zum Interview:  Interview mit Marina Heib

Rezension zu Romanen von Marina Heib:

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

  Ein herrlich spaßiger, spannender Kinderkrimi! Mit Papa und seiner neuen Flamme in die Berge zum Wandern oder zu Oma Lore. Keine Frage! Bei der fetzigen Lore ist es immer lustig. Jetzt sitzt Pia aber seit über einer Stunde auf dem Bahnhof, ohne dass Oma sie abgeholt hat. Sehr seltsam. Omas Haus ist nicht weit entfernt; und so macht sich Pia mit ihrem Rollkoffer auf den Weg. Niemand öffnet die Tür! Durch ein offenes Fenster gelangt sie hinein. Doch Oma bleibt verschwunden. Die Detektivarbeit beginnt … Ein Pageturner, ein Kinderroman, eine waschechte Heldenreise, ein rasanter Abenteuerroman und nervenkitzelnder Kinderkrimi ab 8-10 Jahren. Unbedingt lesen!  Weiter zur Rezension:   Ist Oma noch zu retten? von Marie Hüttner

Die wichtigen deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchpreise 2021

  Deutscher Jugendbuchpreis 2021, Kinderbuchpreis 2021, Serafina (Illustration), Schweizer Jugendbuchpreis, Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis Wie heißt es so schön: Es ist geschafft! Natürlich gibt es eine Menge kleiner Preise für Kinder- und Jugendliteratur. Ich habe mir die wichtigsten deutschsprachigen herausgenommen: Drei nationale Preise, Deutschland, Österreich, Schweiz und den Preis für Illustration im Bilderbuch. Ich habe auch den neuen Kinderbuchpreis (eine Privatinitiative) mit hineingenommen, da er beachtenswert für Autoren und Verlage ist - und weil er in der Jury Kinder mit einbezieht. Deutscher Jugendliteraturpreis 2021 - Gewinner und Nominierte Die Preise der Kritiker- und Jugendjury sind mit je 10.000 Euro dotiert Sparte Bilderbuch  Gewinner: Sydney Smith  Unsichtbar in der großen Stadt Aus dem Englischen von Bernadette Ott Aladin Verlag Ab 4 Jahren Allein in der großen Stadt zu sein, ist manchmal unheimlich. Besonders, wenn man klein ist und alles um einen h

Rezension - Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz

Die Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die einige Krisen überwinden muss. Ein illustriertes spannendes Kinderbuch zum Vorlesen, ebenso für Erstleser geeignet. Ein Erdhörnchenkind und ein Wolf freunden sich an, haben manches Abenteuer zu bestehen und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Weiter zur Rezension:    Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz und Barbara Scholz