Interview mit Marina Heib
von Sabine Ibing
Marina Heib wurde in St. Ingbert im Saarland geboren. Nach ihrem Studium der Orientalistik und Philosophie ging sie 1988 nach Hamburg, wo sie als Journalistin für mehrere Publikumszeitschriften tätig war. Seit 1998 arbeitet sie als Drehbuchautorin fürs Fernsehen. Von Marina Heib sind bislang fünf Kriminalromane, ein Thriller sowie diverse Kurzgeschichten erschienen.
S.I.: Mit »Drei Meter unter Null « haben Sie als Kriminalautorin das erste Mal das Serienformat des ermittelnden Kommissars verlassen. Sie haben aus Sicht einer Täterin in einem Thriller fein psychologisch aufgearbeitet, was einen Menschen antreibt, einen Mord zu planen. Mit ihrem neuen Roman bei Pendragon »Die Stille vor dem Sturm« geht es wieder ins Thrillergenre. Haben Sie für dich mit einem Ermittlerroman abgeschlossen?
M. H: Ich will auf keinen Fall ausschließen, dass ich auch wieder einen Kriminalroman mit einem Ermittler oder mit meinem Team der ersten fünf „Beyer-Krimis“ schreiben werde. Das Spannungsaufbau bei einem Whodunnit reizt mich nach wie vor. Das Thriller-Genre jedoch lockt mich auch sehr, weil es größere Freiheiten bietet, was die Hauptfiguren wie auch den Spannungsaufbau betrifft.
S.I.: Erzählen Sie uns etwas über die Geschichte, die mitten auf dem Meer spielen wird.
M. H: Drei Brüder versprechen ihrem Vater, einem reichen Kieler Reeder, die neue Segelyacht von den Kapverden in die Karibik zu überführen und laden dazu ihre Freundinnen und den besten Skipper ihres Vaters ein. Doch von Anfang geht einiges schief. Der jüngste Sohn erscheint nicht zum Ablegen und schon kurz nach Start des Törns muss ein Schiffbrüchiger aufgenommen werden. Dann geschehen mehrere Morde, die technischen Einrichtungen zur Kommunikation mit der Außenwelt werden sabotiert und die Crew befindet sich in Todesangst. Wer ist der Mörder? Und was ist sein oder ihr Motiv?
Ein tödlicher Törn in die Karibik. Vier Frauen, drei Männer und eine Schiffbüchiger. Wer wird überleben? (Die Stille vor dem Sturm - 18. September 2019)
S.I.: Sie sind dafür bekannt, dass Sie tief recherchieren. Ihre Romane sind glaubhaft und stechen in gesellschaftlichen Schmutz hinein, machen betroffen. Was ist diesmal Ihr Thema?
M. H: Wie reagieren Menschen, wenn sie in eine Ausnahmesituationen geraten? Die klassische Thriller-Situation, mit einem unbekannten Mörder auf engstem Raum und ohne Fluchtmöglichkeit eingesperrt zu sein, finde ich ungeheuer spannend. Da rückt das erlernte Sozialverhalten in den Hintergrund und der nackte Überlebenswille regiert. Was passiert dann?
S.I.: Mit gefällt an Ihren Büchern die Tiefe der Figuren. Wie gehen Sie heran, um sie heran, um die Protagonisten zu entwickeln?
M. H: Natürlich braucht jedes Buch, gerade im Spannungs-Genre, einen guten Plot. Aber ich denke, die Figuren sind ebenso wichtig. Ich muss sie genau kennen, damit ich weiß, wie sie sich im Alltag und auch in Extremsituationen verhalten und warum sie tun, was sie tun. Ich muss wissen, was sie antreibt, was sie sich wünschen, wovor sie sich fürchten... Nur dann kann ich eine Figur durchgehend glaubwürdig gestalten. Deswegen schreibe ich mir für jede Figur kleine „Rollenprofile“, quasi Biographien auf, bevor ich mit der Stoffentwicklung beginne.
S.I.: Die Themen, die Sie behandeln, sind heftig. Da geht es nicht um einen banalen Mord, um Eifersucht oder Habgier. Bei Ihnen geht es um Pädophilie, Zwangsprostitution, Folter, Qual – die Bestie Mensch. Was treibt Sie zu diesen Themen an? Wie kommt das Thema zu Ihnen?
M. H: Auf all diese Themen komme ich durch das reale Grauen in der Welt, bei dem sich mir immer wieder eine einzige, quälende Frage aufdrängt: Wie kann ein Mensch so etwas tun? Dem versuche ich immer wieder nachzuspüren. Ich suche nach Hinweisen, Mustern, Strukturen, Erklärungen. Und das, was ich finde, lässt mich in den meisten Fällen daran zweifeln, dass der Mensch diese selbsternannte „Krone der Schöpfung“ ist. Das klingt jetzt verbittert und menschenfeindlich, dabei bin ich beides definitiv nicht. Aber die dunkle Seite des Menschen eignet sich besser für Thriller als das, was ich mir für uns alle wünsche: Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Toleranz...
S.I.: Ihre Art zu schreiben ist von Präzision gekennzeichnet, von literarischem Klang. Personen und Szenen sind präzise und akribisch beschrieben. Woher nehmen Sie diese Darstellung? Und wie viel streichen Sie nach dem ersten Schreibdurchgang? Wie lange arbeiten Sie an präzisen Sätzen, am Wohlklang der Sprache.
M. H: Erst mal vielen Dank für das Kompliment! Vielleicht liegt es daran, dass ich ein Filmfreak bin. Wenn mir eine Szene gelingen soll, dann muss ich sie vor mir sehen. Ich versuche, mich in die Gefühle der Figur wie auch in den beschriebenen Vorgang und in die Umgebung hinein zu versetzen. Das ist es, was beim Schreiben Spaß macht: In meiner Phantasie entstehen Figuren, eine Geschichte, eine eigene Welt. Aber es ist auch Arbeit. Ich muss die entsprechenden Worte und Sätze suchen, um das, was ich vor mir sehe zu vermitteln. Das kann teilweise ziemlich lange dauern. Wenn ich einen Satz lese und lese... und das Gefühl nicht loswerde, dass er nicht auf den Punkt bringt, was ich ausdrücken will. Dann ist es nicht gut. Wird gestrichen. Bitte neu. Bis es passt...
S.I.: Arbeiten Sie bereits an einem neuen Roman?
M. H: Ja. Es wird allerdings noch etwas dauern, bis er fertig ist. Vorher spreche ich nicht gern darüber, sorry.
S.I.: Gibt es einen Mythos über Schriftsteller, dem Sie gern widersprechen würden?
M. H: Ich fürchte, es ist falsch, dass man nur warten muss, bis einen die Muse küsst und dann schreibt sich ein Buch quasi von allein. Ich kann da natürlich nicht für andere SchriftstellerInnen sprechen, sicher gibt es Gegenbeispiele wie etwa Mary Shelley, die ihren „Frankenstein“ innerhalb kürzester Zeit zu Papier brachte. Aber bei mir ist das leider nicht so. Blöde Muse!
S.I.: Bei Stieg Larsson weiß man nach der Lektüre ganz genau, was er vom Kapitalismus hält. Was weiß man über Sie, wenn man Ihre Romane gelesen hat?
M. H: Sagen Sie es mir! J
S.I.: Sie hat die Bestie Mensch seziert. -
Nehmen wir an, ein Verlag würde Ihnen mitteilen: Wir geben Ihnen einen Vertrag für das Manuskript, aber nur, wenn Sie unter einem männlichen Pseudonym veröffentlichen. Was würden Sie tun?
M. H: Interessante Frage. Ich würde wissen wollen, was es für einen Grund dafür geben könnte. Ich sehe absolut keinen. Ich wüsste also nicht, warum ich das tun und als Autorin quasi verschwinden sollte.
S.I.: Was müsste passieren, damit Frauen in der Literatur besser wahrgenommen werden?
M. H: Ich finde, dass Frauen grundsätzlich besser wahrgenommen werden sollten. Wir leben in Europa ja durchaus privilegiert – gemessen an Staaten, in denen Frauen in keiner Weise selbst über sich bestimmen dürfen. Aber auch in unseren Köpfen ist der Gedanke von der angeblichen Überlegenheit des Mannes noch viel zu tief verankert. Es ist ein Problem, das gesamtgesellschaftlich angegangen werden muss. Erst wenn Frauen überall und in allen Belangen genauso ernst genommen werden wie Männer können wir locker lassen. Das ist noch ein weiter Weg und es gäbe sehr viel dazu zu sagen. Aber das würde hier den Rahmen sprengen.
S.I.: Peter Handke schreibt mit Bleistiften, deren Stummel er nach Büchern sortiert, aufbewahrt. Haben Sie eine ähnliche Marotte?
M. H: Ich schreibe in Jogginghose. Zählt das? J
S.I.: Mein größter Anfängerfehler:
M. H: Zu viel zu wollen. Diesen Anfängerfehler mache ich immer wieder. Und bin dann frustriert, wenn ich nicht das erreiche, was ich mir vorgestellt habe.
S.I.: Ein Genre, bei dem sich mir beim Schreiben die Hände verweigern würden:
M. H: Propaganda.
S.I.: Welche Romanfigur würden Sie gern mit eigenen Händen umbringen, weil sie Sie so aufgeregt hat? Buch – Roman – Autor.
M. H: Figuren fallen mir da eher nicht ein. Aber als ich mein erstes Buch von T.C. Boyle las – was „Wassermusik“ war – da gab es einen Moment, als ich den Autor töten wollte. Stattdessen konnte ich nur sauer das Buch an die Wand werfen. Und zwar, weil eine von ihm sorgsam aufgebaute Erwartung plötzlich komplett in die Tonne getreten wurde – dachte ich. Aber ich musste weiterlesen. Ein absolut großartiges Buch. Und letztlich wurde ich dann auch wieder versöhnt.
S.I.: Mit welcher Romanfigur würden Sie gern einmal ausgehen? Buch – Roman – Autor – Oder mit welchem*r Autor*in?
M. H: Bei Romanfiguren fallen mir einige ein – durch Prägungen meiner Kindheit Winnetou und Tarzan, gerne auch Sherlock Holmes oder Dracula (leider tödlich). Bei Autoren oder Autorinnen fallen mir sofort einige Frauen ein: Mo Hayder, Fred Vargas, Claire Louise Bennett, Ottessa Moshfegh...
S.I.: Haben Sie eine Website, oder eine Seite, auf der man Ihre Lesetermine finden kann?
M. H: Ja. Die Adresse lautet: www.marinaheib.de
S.I.: Vielen Dank für das Interview.
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