Rezension
von Sabine Ibing
Die Natur hat Recht
von Elisabeth Weydt
Wenn Tiere, Wälder und Flüsse vor Gericht ziehen – für ein radikales Umdenken im Miteinander von Mensch und Natur
Vor allem Kupfer ist hier entscheidend, aber wird noch ziemlich unterschätzt. In einem E-Auto beispielsweise ist etwa viermal so viel von dem Erz verbaut wie in einem Auto mit Verbrennungsmotor. Eine Offshore-Windturbine braucht bis zu dreißig Tonnen Kupfer, um zu funktionieren, und die Windkrafträder an Land etwas acht Tonnen.
Elisabeth Weydt zeigt auf, wie Klima- und Artenschutz in Zusammenhang mit der Energiewende stehen: Auf der einen Seite stellen wir um auf Wind- und Solarenergie, verabschieden uns von fossilen Rohstoffen, die viele Umweltschäden anrichten, auf der anderen Seite werden aber Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt und Lithium benötigt, um Batterien, Solarzellen, Windkrafträder usw. zu betreiben, deren Abbau wiederum Ökosysteme zerstört. Die Welt steht kurz vor dem ökologischen Kollaps und das ist das Dilemma, in dem wir uns derzeit befinden.
Die Natur in der Verfassung zum Rechtssubjekt erklärt
Was Gas und Öl für die Industrialisierung waren, sind Metalle und seltene Erden nun für die gewünschte Vergrünung der Wirtschaft.
Die Journalistin Elisabeth Weydt hat in verschiedenen Ländern recherchiert und berichtet in dieser eindrücklichen Reportage von einer so radikalen wie zukunftsweisenden Idee, die eine Wende für den Natur- und Artenschutz darstellen könnte: Die Natur klagt. Genau das haben vor langer Zeit unsere Umweltverbände früh erkannt. Demonstrieren war eins, aber eine begründete Klage vor Gericht war effektiver. Doch hier geht ein Land dieser Welt noch einen Schritt weiter: Ecuador macht vor, wie Umweltschutz in Zeiten der dringend benötigten Energiewende und des damit einhergehenden Wettrennens nach neuen Rohstoffen wie Kupfer, Kobalt und Lithium angegangen werden kann: indem die Natur in der Verfassung zum Rechtssubjekt erklärt wird. Parallel geht Elisabeth Weydt der Frage nach, was Umweltzerstörung in anderen Ländern der Welt mit Deutschland, mit Europa, mit unserer Lebensweise zu tun hat, und inwiefern die ecuadorianischen Prinzipien auf Deutschland übertragbar sind.
Brauchen wir ebenfalls ein Naturrecht
Elisabeth Weydts Recherche beginnt im Intag-Tal in Ecuador, dem einzigen Land der Erde, das die Natur in seiner Verfassung zu einer eigenständigen Rechtsperson erklärt hat. Das Konzept beruht auf der Vorstellung, dass wir alle Teil eines großen Ganzen sind, dass der Mensch nicht mehr Rechte hat als die Natur, weil er selbst Teil der Natur ist. Diesem revolutionären Ansatz um die Rechte der Natur folgen mittlerweile Initiativen weltweit. Manche kämpfen für die Anerkennung eines einzelnen Flusses, manche für einen Wald, andere für ganze Ökosysteme. Uns selbst als einen Teil des Ganzen zu sehen, ist eine ethische Form, die allen Naturvölkern inne ist, und die uns abhandengekommen ist. Die Natur an sich als Rechtssubjekt zu sehen, gibt ihr das Recht, für sich klagen zu lassen, wenn man ihre Rechte verletzt werden. Menschenrechte, Tierwohlrechte – brauchen wir ebenfalls ein Naturrecht? In Neuseeland ist der Whanganui River als Rechtspersonen anerkannt, in Spanien die Salzwasserlagune Mar Menor; was Letzterer bisher nur wenig genützt hat. Ein großes Bauvorhaben liegt zwar auf Eis, gleichermaßen ein Unterwassertunnel. Aber der Mensch lernt nicht dazu: Allein im Jahr 2022 landeten 3.580 Tonnen Nitrate und 19,7 Tonnen Phosphate aus der Landwirtschaft und Viehzucht im Grundwasser der Küstenlagune.
Ein gutes Sachbuch, das zum Nachdenken anregt
Das Lieferkettengesetz schützt die Natur über Deutschlands Ländergrenzen hinweg auf zwei Ebenen: Zum einen indirekt über die Menschenrechte, zum Beispiel im Verbot ‹der Herbeiführung einer für den Menschen schädlichen Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverschmutzung …
Eine spannende Reportage und zugleich ein Aufruf: Durch einklagbare Rechte der Natur erfolgreich gegen Umweltzerstörung vorgehen, ist auf der einen Seite eine gute Idee, auf der anderen muss man sie auch durchsetzen. Und man muss vorsichtig sein in der Formulierung, damit nicht jedes abgeknickte Gänseblümchen ein Recht auf Klage hat, denn es geht nicht grundsätzlich um das Recht einer einzelnen Pflanze, sondern um das Verständnis, dass wir die Natur als großes ganzes Ökosystem sehen, von dem wir selbst lediglich Teil sind. Es geht nicht um das Fällen eines Baumes, sondern um die Abholzung einer gesamten Fläche, eines Waldes, was die Vernichtung eines Ökosystems impliziert. Im ecuadorianischen Intag-Tal gibt es eine hohe Biodiversität, es ist eine der größten Lungen der Welt. Und hier im Regenwald wehren sich die Einwohner gegen diese Zerstörung. Sie haben Recht erhalten. In manchen Fällen haben Staaten zugunsten der Natur alte Entscheidungen aufgehoben. Mit dem Ergebnis, dass Firmen, die nun ihre Projekte in den Wind schreiben mussten, die Länder verklagten, wie z.B. der Ölkonzern Rockhopper. Für das Verbot von Ölbohrungen im Meer und die Aufhebung von Verträgen musste Italien 190 Millionen Euro plus Zinsen an den Konzern zahlen. Es gibt jede Menge ähnlicher Entscheidungen. Die Energiewende ist richtig und wichtig – aber der Weg muss gut durchdacht sein. Wir können nicht auf der einen Seite schützen, wenn wir auf der anderen Seite dazu etwas zerstören. Ein gutes Sachbuch, das zum Nachdenken anregt.
Elisabeth Weydt, Jahrgang 1983, ist Journalistin und arbeitet als freie Reporterin u.a. für die ARD. Sie wirkt außerdem als Autorin in multimedialen Projekten mit und hat das konstruktive Medienhaus Radio Utopistan e. V. mitgegründet. Ihre oft internationalen, preisgekrönten Geschichten drehen sich um das Leid in Lieferketten, um unterschiedliche Weltbilder und um die transformative Kraft der Zivilgesellschaft.
Die Natur hat Recht
Wenn Tiere, Wälder und Flüsse vor Gericht ziehen – für ein radikales Umdenken im Miteinander von Mensch und Natur
Sachbuch, Ökologie, Energiewende, Natur- und Artenschutz, Rohstoffabbau
Klappenbroschur, 288 Seiten mit 18 farbigen Abbildungen
Knesebeck Verlag, 2023
Sachbücher
Hier stelle ich Sachbücher vor, die im Prinzip nichts mit Fachliteratur zu tun haben. Eben Sachbücher jeder Art, die ein breites Publikum interessieren könnte.Sachbücher
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