Direkt zum Hauptbereich

Der Schatten des Windes von Carlos Ruiz Zafón - Rezension

Rezension
von Sabine Ibing


Der Schatten des Windes von Carlos Ruiz Zafón

Friedhof der vergessenen Bücher 1Originaltitel: La sombra del viento, 2001Aus dem Spanischen übersetzt von Peter SchwaarSprecher: Uve TeschnerHörbuch, Spieldauer: 16 Std. und 15 Min. 


Das Ganze beginnt mit der arglosen Freundschaft zwischen zwei Jungen, Julián Carax und Jorge Aldaya, Klassenkameraden von Kindesbeinen an, so wie Don Tomás und Sie. Unzertrennliche Freunde, die das ganze Leben vor sich haben. Aber in irgendeinem Augenblick gibt es einen Streit, der diese Freundschaft auseinanderbrechen lässt. Um die Salondramatiker zu paraphrasieren: Der Streit hat den Namen einer Frau und heißt Penélope. Sehr homerisch.

Dieser Roman ist angelegt wie eine Matrjoschkapuppe, der Roman im Roman … Der junge Daniel wird von seinem Vater, einem Buchhändler, zum «Friedhof der vergessenen Bücher» geführt, ein geheimes Labyrinth, voll antiker Bücher, das er bewacht. Daniel soll später das Amt übernehmen. Wer das Labyrinth das erste Mal betritt, darf sich ein Buch aussuchen, für das er nun allein die Verantwortung trägt. Wie magisch wird Daniel zu einem Buch hingezogen, greift danach: «Der Schatten des Windes», geschrieben von Julián Carax. Ein unbekannter Autor, aber anscheinend ist das Buch wertvoll, denn es ist das Letzte, das von diesem Schriftsteller übrigbleibt. Nach dem Tod des Autors hatte jemand alle seine Bücher aufgekauft, bzw. gestohlen und verbrannt. Noch immer ist der Unbekannte auf der Jagd nach Büchern von Julián Carax – um sie auf ewig zu vernichten. Daniel, bei seinem Vater im Barcelona der Franco-Ära aufwächst, ist von dem Roman begeistert, es ist ein Drama über eine Liebe, die nicht sein durfte. Als er sich auf die Suche nach Informationen über den Autoren macht, wird er verfolgt … Selbst die Polizei klopft bei ihm an. Die Jahre vergehen, Daniel wird erwachsen, aber noch immer verbindet ihn die Geschichte zu seinem Buch, das Geheimnis um den Autoren lässt ihn nicht los.

Jedes einzelne Buch hat eine Seele. Die Seele dessen, der es geschrieben hat, und die Seelen derer, die es gelesen und erlebt und von ihm geträumt haben.

Spanisches Bürgertums, franquistische Diktatur, Klassenunterschiede

Ich mag die Romane von Carlos Ruiz Zafón, und auch hier hat er mich schnell gepackt, hineingezogen in die geheimnisvolle, leicht mystisch wirkende Geschichte die in den vierziger und fünfziger Jahren spielt, ein Sog, der mich nicht losließ. Das düstere Barcelona von einst, das vom autoritären Konservatismus des spanischen Bürgertums geprägt war, obendrauf kam die franquistische Diktatur. Klassenunterschiede prägten die Gesellschaft, hier durfte sich nichts vermischen, was standesgemäß nicht zusammengehört, wer aufmuckte, bekam es mit der Polizei zu tun. Hochzeiten wurden von den Eltern geschmiedet, insbesondere die Braut hatte keinen Einfluss. Die Ehre stets über allem. Schon ein sehnender Blick konnte die Familienehre verletzen. Die Staatsgewalt ist personifiziert in Inspektor Javier Fumero, einem Mörder der Franco-Diktatur, gewalttätig, gewissenlos. Die Gewalt des Standes tritt hervor in dem Patriarchen Aldaya. Die wichtigen Nebenfiguren sind hier anti-franquistisch, eher verdeckt, dies nicht nach außen zeigend. Mein Lieblingsprotagonist ist Fermín Romero de Torres, ein intelligenter Bettler, ein Opfer von Inspektor Fumero, den Daniel aufliest und im Antiquariat seines Vaters beschäftigt, der Daniel ein guter Freund wird und nützliche Informationen sammelt. Carlos Ruiz Zafón streut zwischen die Zeilen das Grauen der Diktatur, versteckt, immer wieder findet man Hinweise, wie z. B. zu Federico García Lorcas.


Man kann sich der Erzählung schwer entziehen

Man kann sich der Erzählung schwer entziehen, atmosphärisch dicht, fühlbar mitten im alten Barcelona, gute Metaphern, eine immerwährende Spannung, die anzieht und in Ruhephasen gleitet. Bedrohliche Wolken, der Donner kracht, das Licht geht aus, flackernde Kerzen, dunkle Schatten schleichen ums Haus – da zuckt der Leser / Hörer zusammen, so fein ist das bei Carlos Ruiz Zafón formuliert. Gut, es gibt einige kitschige Stellen im Ausdruck, aber mit Pathetik muss man bei spanischer Literatur immer rechnen, die überliest man,  zu gut ist das Gesamtpaket. Reinfallen lassen und genießen – erzählerische Kunst.

Wirklich, die Frauen verstehen tut keiner, nicht einmal Freud, nicht einmal sie selber, aber das ist wie bei der Elektrizität, man braucht nicht zu wissen, wie sie funktioniert, um eine gewischt zu kriegen.

Friedhof der vergessenen Bücher

Der Roman ist als erster Teil einer insgesamt 4-teiligen Serie, «Friedhof der vergessenen Bücher» mit jeweils abgeschlossener Geschichte, die aber aufeinander aufbauen. Es folgen: «Das Spiel des Engels» (El juego del ángel), der die Vorgeschichte zu «Der Schatten des Windes» erzählt, «Der Gefangene des Himmels» (El prisionero del cielo) und «Das Labyrinth der Lichter» (El laberinto de los espίritus).


Carlos Ruiz Zafón begeistert mit seinen Barcelona-Romanen um den Friedhof der Vergessenen Bücher ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt. Allesamt wurden internationale Bestseller. Carlos Ruiz Zafón wurde 1964 in Barcelona geboren und lebt heute in Los Angeles. 1993 erhielt er den spanischen Jugendliteraturpreis Premio Edebé de Literatura Juvenil mit «El príncipe de la niebla» (Der Fürst des Nebels),  2005 den Barry Award in der Kategorie bester Erstlingsroman für «The Shadow of the Wind» (Der Schatten des Windes)



Carlos Ruiz Zafón
Der Schatten des Windes 
Friedhof der vergessenen Bücher 1
Originaltitel: La sombra del viento, 2001
Aus dem Spanischen übersetzt von Peter Schwaar
Sprecher: Uve Teschner
Hörbuch, Spieldauer: 16 Std. und 15 Min.
Audible, 2013
Verlag: Fischer; 2006, Taschenbuch: 565 Seiten




Spanische Literatur

Interesse an Literatur aus Spanien? Hier findet ihr Bücher von spanischen Autor:innen mit Links zu den Rezensionen
Gastland Frankfurter Buchmesse 2022 und mehr ...






Zeitgenössische Literatur

Hier verbirgt sich manche Perle der Literatur. Ich lese auch mal einen Bestseller, natürlich, aber mein Blick ruht  immer auf den kleinen Verlagen, auf den freien Verlagen. Sie trauen sich was - und diese Werke sind in der Regel besser als der Mainstream der meistgekauften Bücher …
Zeitgenössische Roman

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Das Nest von Sophie Morton-Thomas

  Ein Küstenort in Großbritannien, wo das Marschland auf den Ozean trifft, wo Vögel die bessere Gesellschaft sind, lebt Fran eine ereignislose Routine. Sich um den Campingplatz kümmern, der mit Mobilheimen ausgestattet ist, ihren Sohn von der Schule abholen, Abendessen kochen. Mit Dom, ihrem Mann, läuft es nicht mehr so, ihre Schwester lebt mit ihrer Familie in einem Wagen, zahlt keine Miete, dem Schwager hatte sie den Entzug finanziert und jetzt trinkt er wieder, hat keine Arbeit. Freude findet Fran nur an den verschiedenen Vogelarten, die sie am Strand beobachten kann; sie hat auch ein Häuschen zur Beobachtung finanziert. Und nun entdeckt sie ein Nest mit einer seltenen Vogelart, hofft, dass die Jungen ausschlüpfen werden. Und verschwindet die Lehrerin … Ein leiser Thriller. Weiter zur Rezension:    Das Nest von Sophie Morton-Thomashttps

Rezension - Dunkle Sühne von Karin Slaughter

  Gesprochen von NinaPetri  Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer: 19 Stunden und 55 Minuten  Willkommen in North Falls - einer kleinen Stadt, in der jeder jeden kennt. Das glauben zumindest alle. Bis zum großen Feuerwerk am 4. Juli . Als in dieser Nacht zwei Teenager-Mädchen verschwinden, ist die Stadt in Aufruhr. Für Deputy Emmy Clifton wird der Fall zur Bewährungsprobe – beruflich und persönlich, ihr Vater ist der Sheriff der Kleinstadt. Eines der vermissten Mädchen ist die Tochter ihrer besten Freundin, und Emmy weiß, dass sie sie nach Hause bringen muss, um eine alte Schuld zu begleichen. Doch je tiefer Emmy in die Ermittlungen eintaucht, desto stärker wird ihr bewusst, dass hinter den vertrauten Gesichtern der Kleinstadt dunkle Abgründe lauern. Ein klasse Auftakt für eine Serie,  Copkrimi , Whodunnit , ein düsterer, stimmungsvoller literarischer Krimi aus den ländlichen Südstaaten, gut aufgebaute Charaktere, toxische Männlichkeit , Spannung, Familiendramen, Wendun...

Rezension - Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

  Der Sommer, in dem Motte ein U-Boot fand, fing ziemlich normal an. Langweilig sogar. Doch auf einmal liegt das Schicksal der ganzen Stadt in ihren Händen. Es sind Ferien, aber Mottes Mutter muss arbeiten, einen Urlaub könnten sie sich nicht leisten. Sie ist als Personalcoach unterwegs: Mode, Schminke, Sport, Gesundheit, Ernährung. Und genau das interessiert Motte so gar nicht. Am Kai zeigt ihr Lukas das Metallfischen – ein perfektes Hobby für Motte, die neben schwarzer Kleidung das Unperfekte an Dingen liebt. Sie kauft sich einen Magneten zum Metallangeln. Vielleicht kann man sich etwas verdienen, wenn man Altmetall zur Altmetallhändlerin bringt; sie sammelt ihre ersten Schätze, die die Mutter eklig findet. Plötzlich hängt etwas ganz Großes an der Angel! Spannender Kinderroman ab 9/10 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Motte und die Metallfischer von Sanne Rooseboom und Sophie Pluim

Rezension - Lázár von Nelio Biedermann

  «Ein wirklich großer Schriftsteller betritt die Bühne, im Vollbesitz seiner Fähigkeiten.», so wird von ihm geschrieben. Nelio Biedermann schreibt mit 20 Jahren sein erstes Buch und das Manuskript geht in die Versteigerung – die Verlage überbieten sich, es wird in 20 Sprachen verkauft, man redet über ein sechsstelliges Vorschusshonorar – über den neuen Thomas Mann . Uff. Ich war gespannt. Mich konnte der Familienroman nicht überzeugen – leider. Weiter zur Rezension:    Lázár von Nelio Biedermann

Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

  © Sibylle Baier, Antje Kunstmann Verlag Christina Clemm arbeitet als Strafverteidigerin und als Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter und rassistisch motivierter Gewalt. Deutschlands bekannteste Fachanwältin für Straf- und Familienrecht in Berlin und war Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des BMJV, Aktivistin und politisch aktiv für Geflüchtete und von Gewalt Betroffene. Nach den neuesten Zahlen des BKA ist jede dritte Frau in Deutschland von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. In ihrem Buch «AktenEinsicht – Geschichten von Frauen und Gewalt» nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Gerichtssäle der Republik, an die Tatorte, in die Tatgeschehen. Mit  «Gegen Frauenhass» zeigt sie die Mechanismen patriarchaler Gewalt und fordert, dass sich endlich etwas ändert. Hier mein Interview mit Christina Clemm. Weiter:   Interview mit Christina Clemm von Sabine Ibing

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Was danach kommt von Anika Suck

  Karmen passt einen Moment beim Autofahren nicht auf und verursacht einen Verkehrsunfall mit tragischem Ausgang – ein Kind ist tot. Es sind nur ein paar Sekunden, die Karmens Leben in seinen Grundfesten erschüttern. Denn im darauffolgenden Prozess muss sie sich einer Schuld stellen. Von der Presse Kindsmörderin getauft und von der Empörungsgesellschaft vorverurteilt, wird sie auch von ihrem sozialen Netz fallen gelassen. Am Ende muss Karmen selbst entscheiden, ob sie schuldig ist oder nicht. Mich konnte das Buch nicht überzeugen, da für mich die Darstellung der Geschichte absoluter Gerichts-Nonsens ist. Weiter zur Rezension:    Was danach kommt von Anika Suck  

Rezension - A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson

Ein überraschend guter Jugendkrimi ab 14 Jahren! Für ein Schulprojekt will Pippa, genannt Pip, den Vermisstenfall «Andie Bell» rekonstruieren, wobei sie die Bedeutung der Printmedien und Social Media untersuchen will. Andie Bell war fünf Jahre zuvor in einer Nacht verschwunden. Ihr Freund Sal Singh wurde verdächtigt, denn es gabt einige Spuren, die zu ihm führten, die Medien fuhren sich auf ihn ein. Sal Singh hatt kurz darauf Suizid begonnen, sich an einem Baum aufgehängt. Für den gesamten kleinen Ort und für die Polizei war die Sache klar: Andie ist ermordet worden, Sal bringt sich um und gesteht somit den Mord. Pip will genau wissen, was damals geschah. Weiter zur Rezension:  A GOOD GIRL’S GUIDE TO MURDER von Holly Jackson

Rezension - Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht

  Ein mächtiges Kinderbuch! Schwer an Gewicht, eine lange witzige, fantasievolle Geschichte. Der Hase Hollywood und seine Freunde betreiben ein Gasthaus in einer einsamen Bucht am Ende der Welt. Eines Tages taucht ein gefürchteter Piratenkapitän bei ihnen auf und vergisst doch glatt seinen Seesack unter dem Tisch. Darin befindet sich alte Schatzkarte und ein geheimnisvoller rosa Glitzerball. Der Ball entpuppt sich als Ei, aus dem ein kleiner Drachen schlüpft. Und damit beginnt eine abenteuerliche Reise zur Schatzinsel, denn auf der Karte sind auch die Drachen verzeichnet, den das Hasen-Team zu seinen Eltern bringen möchte. Sehr feine Illustrationen, grundsätzlich eine gute Geschichte, aber grobe handwerkliche Fehler für den Kinderroman. Weiter zur Rezension:     Hase Hollywood und das Geheimnis des Drachenlandes von Stefan Rasch, Simon Rasch und Anja Abicht