Direkt zum Hauptbereich

Das Ohr von Piret Raud - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Ohr 


von Piret Raud


Als das Ohr eines Morgens aufwachte, stellte es fest, dass es ganz allein ist. Der Erwachsene liest den Klappentext:

Wir alle wissen, was Vincent van Gogh mit seinem Ohr angestellt hat. Inspiriert durch dieses Ereignis schuf Estlands bekannteste Kinderbuchautorin, Piret Raud, diese ebenso ungewöhnliche wie wunderbare Geschichte.



Und wer van Goghs Bilder kennt, der wird in manchen Grafiken Andeutungen dazu erhalten. Das für die Erwachsenen als Hintergrund. Das Ohr wacht am Morgen auf und ist kopflos. Wie soll das Leben nur weitergehen?, fragt es sich ganz traurig. Als der Frosch plötzlich vor ihm steht, drum bittet, seine Lieder anzuhören, wird beiden geholfen: Endlich hört sich einer das Gequake an und endlich beachtet jemand das einsame Ohr. Der Elefant lässt seine Sorgen aus, er hat Heimweh nach seinem Land, aus dem er entführt wurde, sehnt sich nach seiner Familie. Mit einem Mal stehen die Tiere Schlange, alle wollen dem Ohr etwas berichten. Und das Ohr macht das, was ein Ohr am besten kann: zuhören.




Als die Spinne auftaucht, das Ohr mit honigsüßen Worten versucht einzuwickeln, seine klebrigen Spinnenfäden um das Ohr wickelt, kommen die anderen Tiere z Hilfe. Das Ohr hat seinen Platz in der Welt gefunden.

Oft ist schlichtes Zuhören von Nutzen. Empathisches Zuhören ohne weise Ratschläge. Hineinhören in den anderen. Sein Leid erzählen, um sich ein Stück von seinen Sorgen zu befreien. Das Aussprechen von Gedanken, Kummer und Herzensangst ist heilend, hilft, sich zu sammeln, das zu definieren, was einen bedrückt, klarer zu sehen und vielleicht selbst eine Strategie zu finden. Geduldig zuzuhören ist eine wichtige Eigenschaft, eine nützliche, die nicht jeder beherrscht. Die eine Botschaft aus diesem Bilderbuch. Jeder kann etwas besonders gut. Man muss nur herausfinden, was es ist. Stärken finden, sie nutzen. Selbstbewusstsein stärken! Finde heraus, was du kannst!




Der Zeichenstil von Piret Raud hat einen persönlich markanten Stil, der heraussticht. Eine feine Strichführung umrandet die Objekte, die innerhalb der Figur ihre eigene Dynamik durch fragile Muster erhält. Milchige Farben füllen den Hintergrund. Die Figuren sind präsent durch die differenzierten Muster, drum braucht es keinen Hintergrund im Bild. Der Verlag hat sich für cremefarbenes Papier entschieden, das wie Vanilleeis wirkt, passend zu den gedeckten Farben der Grafiken. Creme schafft es, sich an die umgebende Tonalität anzupassen und so die gesamte ästhetische Wahrnehmung zu beeinflussen; die Kombination von naturseide-, terracotta- strohfarben, Jeansblau und Jadegrün wirkt immer weich und natürlich. Das passt perfekt zusammen, da auch der Text in einer Brauntönung abgedruckt ist. Eine harmonische Gemeinschaft in allen Tönen, für die Augen ein beruhigendes Zusammenspiel.

Leider wird auf der Website des Midas Verlags nicht der Originaltitel und der Übersetzer benannt, schade. Auch wird keine Altersempfehlung gegeben. Meine Empfehlung: ab 4 Jahren. Ein Bilderbuch mit großer inhaltlicher Kraft und einer ästhetischen, künstlerischen Gestaltung, die Prämierungen herausfordert! Auch hier freue ich mich, durch Zufall einen kleinen Verlag entdeckt zu haben. Die kleinen, freien Verlage sind in der Verlagswelt oft die Perlen!


Piret Raud ist Estlands berühmteste Kinderbuch-Autorin und Künstlerin. Sie wurde als Tochter des Schriftstellerehepaars Eno Raud (»Drei lustige Gesellen«) und Aino Pervik in eine landesweit bekannte Schriftstellerfamilie geboren. Sie ging in Tallinn zur Schule und studierte dort nach dem Abitur an der Kunsthochschule. 1995 schloss sie ihr Studium mit dem Bachelor of Arts und 1998 mit dem Master of Arts als Grafikerin ab. Sie war unter anderem als Kunstlehrerin und Redakteurin einer Kinderzeitschrift tätig und lebt als freischaffende Künstlerin und Schriftstellerin in Tallinn.


Piret Raud   
Das Ohr
Originaltitel: The Ear, 1919
Aus dem Englischen übersetzt von Gregory C. Zäch
Bilderbuch, Kinderbuch
Hardcover, 32 Seiten
Midas Verlag, 2020
Altersempfehlung: ab 4 Jahren

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor.

Rezension - Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

  Rezepte, die du lieben wirst Der Israeli Yotam Ottolenghi hat zusammen mit seinem dreiköpfigen Küchenteam das nächste Kochbuch entwickelt. Das Team widmet sich dem Comfort Food und liefert inspirierende Gerichte, die nach Zuhause und Geborgenheit schmecken. Aber auch nach Kindheitserinnerungen und Reiseeindrücken. Comfort Food bedeutet für jeden etwas anderes, auf jeden Fall etwas wie Geborgenheit und Wohlfühlgefühl: ein Gefühl von Nostalgie, aber auch Vertrautheit. So sind über 100 Rezepte entstanden, von der Bolognese (mit asiatischen Gewürzen) bis zu Eier-Gerichten, von der One-Pot-Pasta bis zum Apfelkuchen. Rezepte, die zugleich originell aber auch vertraut und bewährt sind. Und immer mit dem gewissen Ottolenghi-Twist. Weiter zur Rezension:    Comfort von Ottolenghi und Helen Goh

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Die weiße Wölfin von Vanessa Walder und Simona M. Ceccarelli

  Das geheime Leben der Tiere (Wald, 1) Ein heftiger Sturm tost durch das Flusstal, als fünf Wolfswelpen geboren werden. Die Jüngste ist eine winzige Wölfin. Ausgerechnet sie hat enormen Mut und nimmt sich vor, die allergrößte Jägerin zu werden. Eine Leitwölfin obendrein! Sie erhält vom Rudel den Naman «Fünf». Ein Rabenschwarm begleitet stetig das Rudel, denn sie weisen den Weg zur Beute, eine Teamarbeit. Der Rabe Raak ist der beste Freund von Fünf. Eine spannende, realitätsbezogene Tiergeschichte zum Leben der Wölfe! Empfehlung für Leseanfänger ab 8 Jahren! Weiter zur Rezension:    Die weiße Wölfin von Vanessa Walder und Simona M. Ceccarelli

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Eisbären von Marie Luise Kaschnitz illustriert von Karen Minden

Marie Luise Kaschnitz war in meiner Jugendzeit meine Lieblingsautorin und so war für mich dies von Karen Minden illustriere Buch ein Genuss, Bleistiftzeichnungen, die sich wunderschön mit der Kurzgeschichte verbinden. »Eisbären«, die Novelle ist Kaschnitz-Fans geläufig: Eine Frau hatte schon geschlafen, wacht auf vom Geräusch des Türschlosses. Endlich kommt ihr Mann nach Hause. Doch er macht kein Licht. Ein Einbrecher? Seine Stimme bittet sie, das Licht nicht auszulassen. Sie soll die Wahrheit erzählen – damals im Zoo – auf wen habe sie gewartet? Weiter zur Rezension:    Eisbären – Novelle von Marie Luise Kaschnitz, illustriert von Karen Minden

Rezension - Simply Jamie von Jamie Oliver

  Jeden Tag was Gutes In fünf Kapiteln werden tägliche schnelle Gerichte, ebenso Wochenend-Wunder, bewährte Ofenrezepte bis hin zu leckeren Nachspeisen von Jamie Oliver vorgestellt. Simply Jamie ist dazu da, die Lust am Kochen zu wecken. Das Buch steckt voller köstlicher, unkomplizierter Ideen, die schnell angerichtet sind. Und der Clou: Es gibt Grundzutaten wie Soßen oder ein pochiertes Huhn usw., aus denen sich wiederum eine Menge verschiedene Varianten herstellen lassen. Weiter zur Rezension:     Simply Jamie von Jamie Oliver

Rezension - Caspar Plautz - Rezepte mit Kartoffeln von Kay Uwe Hoppe, Dominik Kli – und Theo Lindinger

  Der Marktstand Caspar Plautz auf dem Viktualienmarkt in München ist wegen seiner Kartoffelvielfalt beliebt. Dazu gehört ein kleiner, aber feiner Imbiss, der mittags im Mittelpunkt seiner Gerichte die Kartoffel würdigt. Die Kartoffel erobert im Caspar Plautz die Welt. Der Erdapfel ist wendig, anpassungsfähig, geschmacklich variabel. Das ist ein wirklich exzellentes Kochbuch, das zeigt, wie die moderne Küche sich Ideen aus aller Herren Länder greift, sie neu kombiniert – wunderbar harmoniert. Von traditionell zu Weltküche – vegetarisch zu Fisch und Fleisch – hier findet jeder seine Lieblingskartoffelgerichte. Weiter zur Rezension:    Caspar Plautz - Rezepte mit Kartoffeln von Kay Uwe Hoppe, Dominik Kli – und Theo Lindinger Theo Lindinger

Rezension - Indians! von Tibure Oger

  Der dunkle Schatten des weißen Mannes  1922, irgendwo in Amerika. White Wolf, ein ehemaliger Häuptling der Chippewa, sitzt als Zirkusattraktion vor Publikum und erzählt aus seinen Erinnerungen. Es sind Geschichten aus einem langen Leben, das bald sein Ende finden wird. Geschichten aus 400 Jahren Kolonialismus, von einseitigen Kriegen und zweischneidigen Verträgen, von Heldenmut und von Habgier. Geschichten vom wackeren Kampf der First Nations gegen den Mord an ihrem Volk und von ihrer scheinbar unausweichlichen Niederlage. Tiburce Oger hat für «Indians!» sechzehn herausragende Künstlerinnen und Künstler der Neunten Kunst versammelt, um eine Chronik der Eroberung des Westens zwischen 1540 und 1889 zu erschaffen: Die bittere Kehrseite des amerikanischen Traums, die Auslöschung von Kulturen der indigenen Völker. Sehr guter Comic, der in kleinen Graphic Novels aus der Sicht der Ureinwohner die Geschichte ins rechte Licht rückt. Weiter zur Rezension:    Indians! von Tibure Oger

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler