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Das Delfinmädchen von Karin Müller - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Das Delfinmädchen 


von Karin Müller


Marie?› Jan Rehschmidt ließ seinen Blick über den Pier schweifen. ‹Marie›, schimpfte er und rief noch einmal lauter: ‹Marie!›
‹Wo steckt sie denn? Die Fähre legt gleich ab!› Frau Rehschmidt stand neben ihrem Mann, die Hände in die Hüften gestemmt.

Marie steigt auf ein Schiff nach Teneriffa, ihre neue Heimat. Ihr gefällt es nicht, dass ihre Eltern entschieden haben, in den Süden zu ziehen. Sie spricht kaum Spanisch, muss ihre Freunde zurücklassen, glaubt, eine Insel muss langweilig sein. Dort angekommen findet Marie eine kleine versteckte Bucht, in der sich Delfine tummeln. Dorthin kommt auch Carlotta, die mit den Delfinen befreundet ist. Zwischen den beiden ungleichen Mädchen entwickelt ich eine Freundschaft. Es geht in der Message um den Naturschutz: Schutz des Lebensraums der Tiere, Machenschaften der Touristenboote. In leichter Form wird in dieser Geschichte über Freundschaft ganz nebenbei erklärt, warum man darüber nachdenken sollte, an Besichtigungstouren von Lebensräumen von Tieren im Massentourismus nicht teilzunehmen.

Die putzige Villa hatte sechs kleine Zimmer und einen Turm und war direkt in den Hang gebaut. … Da ihre Eltern freiberuflich arbeiteten und das von überall auf der Welt tun konnten, hatten sie aus heiterem Himmel entschieden, in den Süden zu ziehen. Dort wollten sie, um ihre Finanzen etwas aufzubessern, Ferienzimmer anbieten.

Inhaltlich fand ich das Kinderbuch klasse, die gesamte Idee. Doch beim Lesen hat es mich relativ kalt gelassen, was erzählerische Gründe hatte und verärgert, was persönliche Gründe hat. Ich habe das Buch in eineinhalb Stunden durchgelesen, ein dünnes Buch – zu dünn. Teneriffa ist eine wunderschöne Insel mit enorm viel Eigenart: Pflanzen und Tiere, die es nur auf den Kanaren gibt, kulturelle Schrulligkeit, Kulinarisches. Dieser Roman hier könnte allerdings überall auf der Welt handeln, wo es Delfine gibt. Woran liegt das? Dem Buch fehlt Atmosphäre – nichts zu sehen, zu hören, zu riechen, zu fühlen. In einer kleinen Szene werden neben den Delfinen Geckos erklärt – die es allerdings auch überall im Süden gibt. Ich hatte mich auf ein Teneriffaflair gefreut, leider wird rein gar nichts von der Insel ins Buch transportiert.  Marie ist ein ängstliches Wesen, jemand er vor Tieren Angst hat, vor Verletzungen und Krankheiten, extrem hygieneorientiert ist,  ein Kind, das immer alles parat hat: Kompass, falls man sich verläuft, ein Erste-Hilfe-Set, falls man sich verletzt … Es wird aber nicht in den Charakter hineingegangen, um zu erklären, woher diese Ängste stammen. Es gibt einen Hinweis auf einen Einbruch ins Eis beim Schlittschuhlaufen – womit aber nicht all diese Verhaltensweisen erklärt werden. Keiner der Charaktere wird ausgearbeitet. Carlotta ist ein Wildfang, energisch, mutig, eigensinnig, mehr erfährt man nicht von ihr. Alle Spanier sind unsympathisch und knurrig, angefangen mit den Hafenmitarbeitern bis hin zu Carlottas Mutter, die einen kurzen Auftritt hat. Touristen sind eine Heuschreckenplage, völlig blöde Leute. Das hat mich verärgert. Spanier sind bekannt als die freundlichsten Menschen der Welt – und das ist auch so. Warum werden hier alle Spanier, bis auf Carlotta als bösartige Charaktere dargestellt? Mir hatte das gesamte Buch zu wenige Information, erzählerisch fehlen mir Bilder und inhaltlich ist es mir zu flach. Neben Atmosphäre fehlten mir Informationen. Die Eltern von Marie werden kaum erwähnt. Sie können überall auf der Welt arbeiten. Ja, was machen sie denn genau? Das Haus hat sechs kleine Zimmer – ja, die spanischen Zimmer sind sehr klein. Und sie wollen an Touristen vermieten. Da die Eltern ja beide von zu Hause aus arbeiten wollen – welche Zimmer wollen sie nebenbei vermieten? Einerseits sind Touris eine Heuschreckenplage, doof und verachtenswert (das ist Erwachsenensprache, wiedergegeben von einem Kind, das gerade auf der Insel angekommen ist) – dann lässt man sie eng in die Privatsphäre hinein, um Geld zu verdienen? Aber das ist nicht das einzige Logikproblem in diesem Buch. Ich frage mich auch, warum Carlotta anscheinend nicht in die Schule geht – dem Wetter nach zu urteilen muss es Winter sein (keine langen Sommerferien). Spanische Schule, Deutsche Schule, wie sieht der Alltag aus? Es gibt eine Menge Fragen, die in diesem Plot offenbleiben. Ich bin ja eher für das Streichen, aber hier würde ich raten, ein Drittel bis fünfzig Prozent mehr zu erzählen.

Der Hafen war viel kleiner als der auf dem Festland, aber auch hier herrschte geschäftiges Treiben. Fischer hatten ihre Netze zum Trocknen in die Sonne gehängt. Container wurden ausgeladen und überall boten Männer in kurzen Hosen ihre Waren feil. Plötzlich stutzte Marie. Zwischen all dem Trubel turnte ein Mädchen mit einem kleinen Hund herum. Marie beobachtete es fasziniert aus dem fahrenden Auto. 

Jetzt kommt der persönliche Teil. Ich habe ein paar Jahre auf Teneriffa gelebt und ich habe das Gefühl, die Autorin hat noch nie diese Insel betreten. Ziemlich lange hält sie sich mit dem Hafen auf dem Festland auf. Kein Wort von der Überfahrt, zwei Tage und Nächte auf einer riesigen Fähre! Das wäre interessant gewesen. Der Hafen in Santa Cruz, in dem die Fährschiffe ankommen, ist riesig, mit dem in Cádiz vergleichbar. Den Zollbereich für Fähren und Frachtschiffe darf man nur mit einem gültigen Ticket betreten. Fischernetze? Bauchläden? Kinder, die dort herumrennen? Ich dachte, ich falle vom Stuhl, als ich das las. Das Kind, was dort herumläuft, ist Carlotta. Ankunft im Hafen, Santa Cruz – Handlung des Plots, dort wo die Delfine leben, im Südwesten bei Puerto Colón und Los Gigantes – also mindestens eine Stunde Autofahrt entfernt. Eine Bucht auf Teneriffa, die niemand kennt – es führt ja sogar ein Weg dorthin? Es gibt eine Menge Ungereimtheiten, die mir aufgefallen sind, die mir im Gesamtbild der Darstellung der einheimischen Bevölkerung übel aufgestoßen sind. Das Buch gab es bereits 2010 mit anderem Titelbild und Illustration bei Coppenrath, dies ist eine Neuauflage und das Kinderbuch wird ab 9 Jahren empfohlen, was für mich in Ordnung geht.




Fazit: Hervorragende Message – ohne Frage, sicher interessant für Kinder. Erzählerisch leider flach und ungenau und es wird in keiner Weise in der Darstellung Teneriffa und seinen Bewohnern gerecht. Letzteres wird kaum jemandem auffallen – aber Fragen werden trotzdem offenbleiben.


Karin Müller wurde in Kitzingen am Main geboren. Sie studierte Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg und arbeitete als Redakteurin für Zeitungen, Zeitschriften und Hörfunk. Pferdeleidenschaft, Tierliebe und der Wunsch zu schreiben begannen schon als Kind. Heute arbeitet Karin Müller als Autorin und Seminarleiterin. Sie hat inzwischen mehr als fünfzig Romane und Sachbücher für Kinder und Erwachsene veröffentlicht.


Karin Müller 
Marie Braner (Illustration)
Das Delfinmädchen
Kinderbuch, Tierschutz
Coppenrath Kinder, 2020
ab 9 Jahren









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