Direkt zum Hauptbereich

Antoniusfeuer von Monika Geier - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




Antoniusfeuer 


von Monika Geier


Der Anfang: 
Es regnete, aber nicht hier, sondern woanders. Das spürte sie am Wind.

Monika Geier gehört nicht zu den Autorinnen, die jedes Jahr einen Krimi auf den Markt schmeißen. Gut Ding will nämlich Weile haben. Und so ist jeder ihrer Bettina Boll-Bände ein Genuss, ausgeklügelt mit einer intelligenten Geschichte. Boll ist Ärger gewöhnt, und so soll sie diesmal für ihren neuen Chef die Kohlen aus dem Feuer holen und einem anderen Kollegen dazwischenfunken – keine vergnügliche Aufgabe. Ein Tod im Jugendknast muss untersucht werden, die Behörden fürchten einen Skandal, überdies erweist sich der Fall als ausnehmend verschroben. Gibt es im erzkatholischen pfälzischen Frohnwiller ernsthaft jemanden, der Dämonen austreibt? Und was hat das berühmte Isenheimer Altarbild voller bunter Bestien damit zu tun? 


Boll stochert sich durch


Bettina saß auf der Kirchentreppe und hielt sich den Kopf, den sie sich beim Runterfallen gestoßen hatte. Alle anderen Teilnehmer dieser informellen Besprechung standen um sie herum. Niemand hatte eine Option. Es war alles zu schnell gegangen. Bettinas Einsatz war eskaliert, sie war hemmungslos grob, ja fast persönlich geworden. Und persönlich, das ging gar nicht.

Aus ihrer Jugendzeit kennt sich Boll ein wenig mit katholischen Sitten und Gebräuchen aus – doch sie selbst steht dem kritisch gegenüber. Was geht hier vor, fragt sie sich in diesem Gewirr von Gerüchten, Schweigen und Halbwahrheiten. Im Jugendknast war ein junger Afghane gestorben, um den es bereits zu viel Wirbel gegeben hat. In seinem Koran steckte ein katholisches Totenbildchen, das Dämonen zeigt. Wahrscheinlich war es Selbstmord. Eigentlich wäre der afghanische Kollege zuständig, doch dem will man den heiklen Fall nicht übertragen; Bettina Boll muss ran, die nur halbtags arbeitet. Sie fährt nach Frohnwiller ins Kirchen-Jugendzentrum, das von Mojo betreut wird, bürgerlich Dr. Moritz Johann, der engen Kontakt zu dem Toten hatte. Zur gleichen Zeit herrscht Aufruhr im Dorf: Jemand hat in der Kirche das Jesuskind in Marias Arm auf einem Heiligenbild fein säuberlich schwarz übermalt. Nachdem Boll Mojo kritische Fragen gestellt hat, ist er plötzlich verschwunden. Und Boll fragt sich später, wieso jemand mit diesem Lebenslauf überhaupt ein Jugendzentrum leitet. Der Fall ist vertrackt, mit Geheimnissen und Schweigen umhüllt. Langsam stochert Boll sich durch. Eine weitere Perspektive zu Boll ist die von Elle Kling, die Reinigungskraft der Kirchengemeinde, die sich ihre eignen Gedanken macht und forscht.


Eine komplexe Handlung, mit schwarzem Humor unterfüttert


Weil alles, was schön ist, sagte eine Stimme, die ausnahmsweise nicht Barbas war, sondern ihre eigene, dir irgendwann voll eine reinhaut. Weil es schrecklich ist, wenn du mit niemandem mehr teilen kannst. Weill alle immer weggehen. Weil du dann alles vergessen musst, was jemals gut war, weil du sonst auch stirbst.
Und was, wenn ich aber nicht alles vergessen will?, dachte sie, plötzlich rebellisch. Was, wenn ich nicht sterbe?

Wer die vorherigen Bände kennt, weiß, dass Bettina Boll von Tante Elfriede ein Haus geerbt hat – ein sehr altes Haus, renovierungsbedürftig – doch dazu fehlt der Teilzeitkraft, die zwei (mittlerweile) Jugendliche durchfüttern muss, das Geld. Jetzt leben sie hier und Boll überlegt, es doch zu verkaufen. Ganz plötzlich zeigt der Nachbar Interesse an Boll, aber an einem Techtelmechtel ist er glücklicherweise nicht interessiert. Raumeinnehmend und übergriffig schiebt er sich immer wieder ins Haus ein. Was steckt dahinter? Und das Gefühl bleibt nicht aus, dass jemand nachts durch das Haus schleicht. Eine spannende und wendungsreiche Geschichte im katholischen Milieu: Teufelsaustreibung, eine Vergiftung mit Mutterkorn (Antoniusfeuer), eine Übermutter, Kirchenrecht und Kirchengerichte spielen hier hinein, eine ganz eigene Welt. Eine komplexe Handlung, mit schwarzem Humor unterfüttert, mit falschen Fährten, wunderbaren Dialogen, herrlichen Figuren, verschroben, bissig, gläubig – dagegen Boll, bodenständig, privat chaotisch, eigensinnig, nachdenklich, bohrend, gern allein auf Achse, aber wenn es drauf ankommt, kann sie ein Teamplayer sein. Thematisch gibt es Hauptthemen und Nebenthemen, vielschichtig, mehr verrate ich dazu nicht, einfach selbst lesen. Monika Geier kann schreiben; stilistisch sicher, atmosphärisch, für mich eine der allerbesten deutschen Krimiautor:innen – und wie gesagt: gut Ding will Weile haben. Ein Krimi, den man an sich drückt, weil er beeindruck mit Menschlichkeit! Wer die ganze Serie lesen möchte, sollte vorn beginnen; aber ansonsten ist jeder Band unabhängig abgeschlossen, ohne die private Vorgeschichte verständlich.


Monika Geier, geboren 1970, lebt in Kaiserslautern, wo sie die Sitten und Gewohnheiten der pfälzischen Stadt- und Landbevölkerung literarisch aufbereitet. Für «Wie könnt ihr schlafen» erhielt sie den renommierten deutschen Krimipreis Marlowe und für «Alles so hell da vorn» bekam sie den Deutschen Krimipreis.


Monika Geier
Antoniusfeuer
Krimi, Polizeikrimi, Kriminalroman, Kriminalliteratur, Whodunnit, Mysterykrimi, Pfalz
Hardcover, 432 Seiten
Argument Verlag, 2023







Polizeiarbeit im Krimi


«Nun beziehen echte Polizist*innen ihre Moralvorstellungen natürlich nicht (nur) aus Krimis. Tatsächlich schwören sie aufs Grundgesetz, kennen sich im Strafrecht aus und vertreten eine staatlich streng vorgegebene Version von Recht und Ordnung. Sie sind auch nicht täglich in Schießereien verwickelt oder müssen sich ständig das Blut diverser Schurken von den Dienststiefeln wischen. Das, was ich von Polizist*innen immer wieder zu hören kriege, ist: Naja, der Beruf ist in Wahrheit nicht so aufregend wie im Buch. Büroarbeit, weißte? Berichte schreiben. Recherche. Teamwork.»
Monika Geier zum Polizeikrimi und KK Boll, Kriminalkommissarin vom Ludwigshafener K11, Abteilung für Kapitalverbrechen.

Weiter zum Artikel: Fang mir jetzt bloß nicht an zu weinen … von Monika Geier



Krimis und Thriller

Ich liebe Krimis und Thriller. Natürlich. Spannend, realistisch, gesellschaftskritisch oder literarisch, einfach gut … so stelle ich mir einen Krimi vor. Was ihr nicht oder nur geringfügig bei mir findet: einfach gestrickte Krimis und blutrünstige Augenpuler.
Krinis und Thriller

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler

  Mischa und Nits sind beste Freunde. Mischa liebt die Poems von Nits. Und der bewundert Mischa, weil er schlau ist und ein wandelndes Lexikon über Tiere zu sein scheint. Lügen geht gar nicht, so Nits Überzeugung. Darum fragt er sich, warum Mischa dem Lehrer weismachen will, er hätte eine Chlorallergie, als der Schwimmunterricht beginnt – Nits erzählt er, die Badehose sei von Mäusen angefressen worden. Überhaupt scheint Mischa in Schwierigkeiten zu stecken – doch wohl eher sein Vater ... Nits betritt in dieser Familie plötzlich eine völlig andere Welt – die der Armut. Aber das ist ein Unterthema – Mischas Vater ist untergetaucht; Mischa und Nits werden ihn nicht im Stich lassen – aber das könnte gefährlich werden ... Spannung, Humor und ein wenig Tragik machen das Buch zu einem Leseerlebnis. Meine Empfehlung ab 11 Jahren für diesen exzellenten Kinderroman.  Weiter zur Rezension:    Feuerwanzen lügen nicht von Stefanie Höfler 

Rezension - Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

  In dem Land, in dem Tobias lebt, sind endlich wieder bessere Zeiten eingekehrt, und alle Kinder sollen zur Erholung die Sommerferien auf dem Land verbringen. Doch statt zu zweit oder zu dritt auf einem idyllischen Bauernhof, landet der 11-jährige Tobias allein auf einer Insel weit draußen im Meer, wo er bei einer menschenscheuen Frau namens Lothe unterkommt. Lothe wollte kein Ferienkind haben, man hat ihr Tobias aufgedrückt – was die mürrische Frau ihn spüren lässt. Ein Geheimnis gilt es zu lüften, Menschen und Handeln zu verstehen; Freundschaft, Kriegstraumata, vom Dunkel ins Licht gehen … Allage, Jugendbuch ab 12 Jahren. Weiter zur Rezension:    Die Windmacherin: Eine Sommergeschichte von Maja Lunde und Lisa Aisato

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

  Offene Antworten auf deine Fragen zu Liebe, Lust und Pubertät Ein Aufklärungsbuch, das locker Fragen beantwortet und kurze Erfahrungsberichte von jungen Menschen einstreut, das alles mit knalligen Illustrationen unterlegt. Du bist, wie du bist, und du bist, wie du bist okay. Das Jugendbuch erklärt, stellt Fragen. Die Lust im Kopf, genießen mit allen Sinnen; was verändert sich am Körper in der Pubertät?, die Vagina, die Monatsblutung, der Penis, Solosex, LGBTQIA, verliebt sein, wo beginnt Sex?, Einvernehmlichkeit, wie geht Sex?, Verhütung, Krankheiten, Sextoys – das Buch spart nichts aus. Informieren, anstatt tabuisieren! Locker und sensibel werden alle Themenfelder sachlich vorgestellt. Prima Antwort auf offene Fragen; ab 11 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Sex in echt von Nadine Beck, Rosa Schilling und Sandra Bayer

Rezension - Devil’s Kitchen von Candice Fox

  Die Feuerwehrleute von «Engine 99» gelten als die Besten in New York – mutig, unerschrocken, verehrt. Was niemand ahnt: Sie sind parallel eine beinharte Gang, denn sie legen Brände, um im Chaos Vorbereitungen zu treffen, um später Banken und Juweliere auszurauben. Das könnte immer so weiterlaufen, wenn Bens Lebenspartnerin Luna und ihr Sohn nicht verschollen wären und er seine Kumpel nicht im Verdacht hätte, sie getötet und verscharrt zu haben. Er will es wissen! Und dafür ist er bereit, die Bande auffliegen zu lassen, sich selbst ans Messer zu liefern. Er bietet dem FBI an, wenn sie «seine Familie» finden, herausfinden, was mit Frau und Kind passiert ist, wer verantwortlich ist, dann packt er aus. Und so wird die freiberufliche Ermittlerin Andrea Nearland auf die Truppe angesetzt. Blockbuster – Spannung, die niemals abfällt! Klasse Thriller! Weiter zur Rezension:    Devil’s Kitchen von Candice Fox

Rezension - Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein

  Lauenstein und Gottschall laden wieder dazu ein, die Vielfalt und Hochwertigkeit der regionalen italienischen Küche zu entdecken. Eine Reise durch Italien mit Fotos von Landschaften und Menschen, von hervorragenden Rezepten. Die Frühjahrs-Sommerküche überzeugt durch die Qualität der Zutaten, denn das ist der Grundstock des Geschmacks. 70 Rezepte zu saisonalen Besonderheiten, Ursprüngen, Küchengeschichten, italienische Kultur und Feste – saisonale Schätze und Spezialitäten spielen zu bestimmten Anlässen eine große Rolle. Wieder ein sehr gutes Kochbuch, das Liebhaber der italienischen Küche im Regal stehen haben sollten. Weiter zur Rezension:    Splendido. Primavera/Estate: Italienische Küche für Frühling und Sommer von Juri Gottschall und Mercedes Lauenstein 

Rezension - Grazie Roma von Daniel Gottschlich, Sebastian Späth und Dimitrios Katsavaris

  Wie ich mein Sternerestaurant zurückließ, in Italien Inspiration für neue Gerichte fand und mich am Ende selbst überraschte Daniel Gottschlich erhielt als erster Koch das Stipendium an der Deutschen Akademie in Rom – die bedeutendste Auszeichnung für deutsche Künstler im Ausland. Ein Koch, als Künstler? Man argumentierte mit dem von Joseph Beuys geprägtem «erweiterten Kunstbegriff», der das Kreative mit dem Künstlerischen gleichsetzt. Tage des Austauschs und der Inspiration, Stunden voller kreativer Eindrücke und künstlerischer wie musischer Erlebnisse. Im Mittelpunkt aber stand: die ausgezeichnete italienische Küche. Neben dem Reisebericht und den Eindrücken gibt es 30 Rezepte. Das erzählende Sachbuch ist eine Mischung aus Reiseliteratur und Kochbuch. Inspirierte Italienische Küche, Kulinarisches der mediterranen Küche, Lieblingsrezepte, Weltküche. Ein gelungenes Buch! Empfehlung! Rezension:   Grazie Roma von Daniel Gottschlich, Sebastian Späth und Dimitrios Katsavaris...

Rezension - Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

  Eine junge Frau aus einer Anwaltskanzlei aus der Stadt und zieht auf die Bitte von ihrem Bruder, der von Frau und Kindern verlassen wurde, zu ihm in ein Land im hohen Norden; sie kann von dort ihren Job weiter erledigen. In dem abgelegenen Dorf in einem nördlichen Land lebten bereits die jüdischen Vorfahren der Familie; es ist ihnen dort nicht gut ergangen. Als jüngstes von zahlreichen Geschwistern scheint es der jungen Frau nichts auszumachen, sich als Haushälterin des Bruders aufzuopfern. Eine komplexe Geschichte, Sarah Bernstein ist eine feine Beobachterin, alles ist offen; ist diese Erzählerin zuverlässig? Das Gehirn des Lesenden ist in Arbeit, viel Interpretation ist an vielen Stellen offen. Klasse! Weiter zur Rezension:    Übung in Gehorsam von Sarah Bernstein

Rezension - Die Witwe von Helene Flood

  Gesprochen von Cornelia Tillmanns Ungekürztes Hörbuch, Spieldauer 10 Std. und 41 Min. Eine gutbürgerliche Nachbarschaft in Oslo, Evy ruft ihrem Mann nach: «Fahr vorsichtig!» Wenige Minuten später erleidet Erling wieder einen Fahrradunfall und stirbt im Krankenhaus. Ein Herzinfarkt? Zurück bleiben Evy, mit der er seit fünfundvierzig Jahren verheiratet war und seine drei Kinder. Der Unfall lässt Fragen offen, denn wo sind die Herzmedikamente, sein Terminkalender, und wo ist sein Fahrrad? Die Polizei ermittelt, da Erling ohne diese Dinge aufgefunden wurde. Ein Testament schockiert die Familie: Erling hat kurz vor seinem Tod fast sämtliches Bargeld in Immobilien investiert. Evy ist die Alleinerbin. Sie erfährt von Erlings Freund, dass Erling der Meinung war, jemand wolle ihn umbringen – wahrscheinlich eins seiner geldgierigen Kinder. Und darum sei auch Evy in Gefahr. Ein Kriminalroman, der unaufgeregt bis zur letzten Seite dahinplätschert, sich mit den Inneneinsichten von Evy befasst...

Rezension - Irrfahrt von Toine Heijmans

  Donald, der Skipper befindet sich mit seiner sieben Jahre alte Tochter auf einen Segeltörn. In zwei Tagen wollen sie von Dänemark bis in die Niederlande segeln. Doch in der Nacht schlägt das Wetter um, es wird Sturm geben. Der Vater meint, die Tochter schliefe in der Kajüte. Doch dann ist sie nicht dort – sie kann nur über Bord gefallen sein. Weiter zur Rezension:    Irrfahrt von Toine Heijmans