Rezension
von Sabine Ibing
Achtsam morden
von Karsten Dusse
Sprecher: Matthias MatschkeUngekürztes HörbuchSpieldauer: 9 Std. und 14 Min.
Wenn Sie vor einer Tür stehen und warten, stehen Sie vor einer Tür und warten.
Wenn Sie sich mit Ihrer Frau streiten, streiten Sie sich mit Ihrer Frau.
Das ist Achtsamkeit.
Wenn Sie vor einer Tür stehen und warten und die Wartezeit dazu nutzen, sich in Gedanken zusätzlich noch mit Ihrer Frau zu streiten –
dann ist das nicht Achtsamkeit. Dann ist das einfach nur blöde.
(JOSCHKA BREITNER)
Zunächst einmal Bravo für diese Crimestory, weil sie völlig anders ist, als alles, was man kennt! Humor ist Geschmacksache – gerade hier scheiden die Geister. Meinen Humor hat Karsten Dusse voll getroffen, ich habe mich mit diesem Roman königlich amüsiert.
Was mich bis heute an meinem ersten Mord so mit Freude erfüllt, ist der Umstand, dass ich dabei so wertungsfrei und liebevoll den Moment genießen konnte.
Björn Diemel ist ein geschmeidiger, narzisstischer Anwalt, eine ziemliche Drecksau der feinen, freundlichen Art, der die Geschäfte eines Clans vertritt, bzw. dessen Oberhaupt. Nach seinem bravourösen Studienabschluss landete er in einer renommierten Kanzlei – Traumjob eines jeden Juraabsolventen – mit dem Ziel, irgendwann einmal Partner zu werden. Als Jüngster bekommt er den Arschlochklienten Dragan zugeteilt, ein brutaler, hirnloser Großkrimineller. Für Diemel ein Vollzeitjob, denn die Verteilung der Konten, Geldwäsche und sonstige ständige Ärgernisse mit seinem Mandanten halten ihn auf Trab. Und weil er für Dragan springen muss, wann immer der das für nötig hält, bleibt dabei nicht viel Zeit für seine Familie übrig. So stellt seine Frau ein Ultimatum: Diemel muss ein Achtsamkeitsseminar besuchen, um seine Work-Life-Balance in den Griff zu bekommen. So lernt er etwas über Zeitinseln, digitales Fasten oder Single Tasking.
Mein erster Mandant war ein Typ, der vorher noch nie von der Kanzlei vertreten worden war. Der Anwalts-Neuling bekam den Mandanten-Neuling zugeteilt. Der Mandant war Dragan Sergowicz, … Dabei war der Begriff ‹zwielichtig› für die Art von Dragans Geschäften stark untertrieben. Das
Rotlicht, in dem er tätig war, blendete stärker als der Blitz einer Radarfalle, die einen mit hundertdreißig Sachen in einer Dreißiger-Zone erwischte.
Diemel zitiert laufend Passagen aus Joschka Breitners Werk «Entschleunigt auf der Überholspur – Achtsamkeit für Führungskräfte», das er von selbigem Coach er am Ende seines Achtsamkeitsseminars erhalten hatte – jedes Kapitel beginnt mit einer Message daraus. – Das erinnert natürlich extrem an Juli Zehs «Unterleuten». – Zunächst sind der Anwalt und Frau getrenntlebend – solange, bis er sein Leben familiengerecht in den Griff bekommt, stellt sie in Aussicht. Emily, Diemels Tochter, ist sein ein und alles. Endlich darf er sie für ein Wochenende zu sich nehmen. Dragan besitzt ein schickes Anwesen an einem See, stellt es Diemel zur Verfügung. Kaum sitzt Emily im Auto, ruft Dragan an, hektisch, der Anwalt habe sofort und unverzüglich anzutanzen! Es gäbe ein kleines Problem. Der zornige Dragan hatte jemanden plattgemacht und muss untertauchen, der Anwalt soll derweil alles richten. Diemel reicht es. Er setzt Emily im Büro ab, wo sie die Lederstühle im Konferenzraum bemalen darf, während Diemel in der Garage Dragan in seinem Kofferraum verstaut. Vor der Tür wartet bereits die Polizei. Wie abgemacht, fährt Diemel mit Emily und nun auch mit Dragan zum See. Achtsam, wie es sich gehört, trennt er Arbeit und Freizeit. Dragan muss bis Montag warten – er parkt den Wagen ordentlich ein, lässt ihn in der Sonne stehen. Und das ist der Anfang vom achtsamen morden …
Ein entschleunigter Roman aus der Ich-Perspektive, bissig, sarkastisch, mit einer Menge schwarzem Humor. Karsten Dusse ist Rechtsanwalt, und er macht sich hier gewaltig über seine Kollegen lustig, über Geldgier und Doppelmoral. Schon Shakespeare schrieb in Heinrich VI.: «Das erste, was wir tun, lasst uns alle Anwälte töten!» Diemel ist ein richtiges Anwalts-A…, oberarrogant, zynisch, selbstgefällig, extrem sexistisch (man kann sich daran stoßen, doch es passt präzise auf diese Figur), rachsüchtig – denn das alles kann er trotz Achtsamkeit nicht ablegen. Narzissmus kann man tarnen, aber nicht abstreifen. Sich selbst würde sich Diemel als genau das Gegenteil beschreiben. Dieser Held ist nicht sympathisch, bei weitem nicht – doch die anderen Protagonisten, Emily mal herausgenommen, sind von noch üblerer Sorte. Die Geschichte ist überzogen und voller Klischees und nicht ernst zu nehmen – klar, sonst wäre es keine Satire. Und die hat selbstverständlich einen wahren Kern: Abgesehen von der Achtsamkeit tritt hier eine Seite der Justiz offen heraus: Wirtschaftsanwälte und Strafverteidiger (wie alle Anwälte) arbeiten stets zugunsten der Mandanten, wer auch immer diese Mandanten sind, was auch immer das kosten mag an Recht und Moral – und sie verdienen nicht schlecht dabei. Die Figuren recht oberflächlich gestaltet, aber dies ist eben ein Unterhaltungsroman innerhalb Kriminalliteratur. In diesem Sinn wünsche ich gute Unterhaltung!
Karsten Dusse ist Rechtsanwalt und seit Jahren als Autor für Fernsehformate tätig. Seine Arbeit wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis und mehrfach mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet sowie für den Grimme-Preis nominiert.
Karsten Dusse
Achtsam morden
Sprecher: Matthias Matschke
Spieldauer: 9 Std. und 14 Min.
Ungekürztes Hörbuch, 2019
Satire, Kriminalliteratur
Audible 2019, Anbieter: Random House Audio
Taschenbuch: 416 Seiten
Heyne Verlag, 2019
Björn Diemel ist Mafia-Anwalt, schreckt für sein persönliches Fortkommen nicht vor brutalsten Morden zurück und biegt sich das jedes Mal moralisch zurecht. Im zweiten Teil z.B. bringt er einen Kellner um, nur weil er von diesem nicht so bevorzugt wird, wie er es will. Bei der Bewältigung seines verkorksten Seelenlebens bedient er sich eines Achtsamkeits-Coaches, dem er die Morde verschweigt, und mit dessen Hilfe er immer neue Lebenslügen konstruiert - sein neues Ich strotzt nur so von Toleranz, Großzügigkeit, Gerechtigkeitsliebe und Achtsamkeit.
AntwortenLöschenIm Verlauf wird Diemels libertäre Einstellung immer wieder deutlich. Er macht sich dauernd lustig über dicke, kleine, unsportliche Menschen, und solche mit vermeintlich schlechtem Geschmack - aber vor allem über Menschen mit Achtsamkeit für Klima, Umwelt und Minderheiten. Ich dachte immer wieder "was für ein Arschloch". Und war dann wieder beruhigt, wenn der Coach ihm seine unachtsame Art immer wieder vor Augen führt und mit ihm daran arbeitet.
Diemels Antagonisten sind merkwürdigerweise immer wieder "irgendwas mit Klima" - und jedesmal sind sie fragwürdig bigotte, mitunter widerliche Personen. Die Hersteller von vermeintlich klimafreundlichen Schuhen sind skrupellose neokoloniale Ausbeuter. Der Betreiber eines EScooter-Verleihs ist ein Ex-Drogenhändler, der zugibt, er "verdiene" am Klimawandel. Die Photovoltaik-Händler sind hochrangige Bonzen einer chinesischen Triade, und der Faktenchecker ist ein aufgeblasener, selbstgefälliger Mann mit gewaltigem Minderwertigkeitskomplex und Hang zum Mord. Diese Konstruktion machte mich stutzig.
Diemel offenbart bei jeder Gelegenheit seine libertäre Ideologie. Wenn er zum Beispiel in seinem Kindergarten ein Verbot von "Frucht-Quetschies" wegen Plastikmüll verhindert, indem er die Einführung einer unwirksamen CO2-Kompensation der Plastik-Abfälle mit dem Anpflanzen von Tulpen durchsetzt, was völlig absurd ist. Wenn er einem Gegner sein unwissenschaftliches Zerrbild über EAutos mit dem Prädikat "Meinungsfreiheit" aufzwingt, oder bei seiner Reise nach Santiago ganz achtsam vom Kerosingeruch auf dem kleinen Flughafen schwärmt. Oder en passant ein völlig absurdes, tatsächlich wokes Minderheitenschutz-Ranking seines Mitarbeiters schluckt, weil es für seine Zwecke gerade opportun ist.
Ich habe den ersten Teil noch genossen, weil er von Matthias Matschke hervorragend gelesen wurde und ich das Ende nicht absehen konnte. Matschkes Lesung endet nach dem ersten Teil (ich wüsste nur zu gern, warum), und ab dann liest der Autor selbst.
Duss liest nicht ansatzweise so gut wie Matschke - nicht nur wegen des geringeren sprachkomödiantischen Talents (der Text selbst ist tatsächlich teilweise richtig komisch geschrieben); auch liest er die Sätze oft einfach so lieblos herunter, dass die betonungswürdigen Signalwörter komplett untergehen. Darüber konnte ich allerdings hinweg sehen, vor allem weil ich bis zum Schluss darauf hoffte, dass der Held durch das Achtsamkeitstraining entweder seinen Lebenslügen auf die Spur kommt, oder aber am Ende die gerechte Strafe bekommt.
Doch am Ende wird für den vermeintlich achtsamen Schwerverbrecher Diemel alles gut. Er bekommt sogar seine Frau zurück - und ist mit sich selbst völlig im Reinen. Der Coach verhilft Diemel zur Bewältigung seiner Gewissenskonflikte, so wie Diemel seinen Mafiaklienten zur Bewältigung ihrer juristischen Konflikte verhilft - gegen einen Haufen Geld natürlich.
Und damit überlässt Duss auch die Bewertung des Helden dem Leser. Dass der einen Berg von Leichen hinterlässt, mit all seiner Macht Menschen perfide manipuliert, damit die Gesellschaft zu einem unsicheren Ort des Sozialdarwinismus macht, und am Ende nicht bestraft wird - das regt mich auf. Andere mögen das lustig finden, ganz im libertären Geiste unserer Zeit: "Freiheit ist das, was ich mir nehmen darf, weil ich es kann". Duss schrieb eine libertäre, abgrundtief zynische Groteske, verpackt als launiger Schelmenroman.
Auf den Punkt gebracht. Gute Rezension!!
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