Direkt zum Hauptbereich

12 Stockwerke von Arndís Thórarinsdóttir und Hulda Sigrún Bjarnadóttir - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing




2 Stockwerke 

von Arndís Thórarinsdóttir und Hulda Sigrún Bjarnadóttir 

Mein unglaubliches Zuhause am Ende der Welt


Eigentlich hatte sich Dagny auf den Ferienausflug mit ihrer Familie gefreut. Vor allem darauf, endlich ihre Oma kennenzulernen, die auf einer kleinen, wetterumtosten Insel wohnt. Doch als Dagny dort ankommt, fühlt sich das an wie eine Reise ans Ende der Welt! Sämtliche 197 Einwohner leben zusammen in einem einzigen Hochhaus mit zwölf Stockwerken. Von wegen Strandleben, Eisdiele, Geschäfte …  Obendrein ist Oma, die Hausmeisterin im Haus, ziemlich giftig und ein Eisbrocken. Über den Besuch von Sohn und Familie freut sie sich gar nicht. Kaum angekommen gibt es Befehle, was man alles nicht machen darf, und Dagnys Hund ist völlig unerwünscht – ein unnützes Ding, sagt Oma.


Ein halbes Jahr auf der Insel

Und dann kommt heraus, dass sie mit dem letzten Schiff vor dem Frühling angekommen sind, Papa und Mama die Kinder angelogen haben: Sie werden auf dieser ungemütlichen Insel das nächste halbe Jahr verbringen. Oma weist ihnen eine Wohneinheit mit einem einzigen Zimmer zu, ohne Bad und Küche, gegessen wird sowieso in der Kantine. Gleich wird der Familie vorgerechnet, was sie nach einem halben Tag auf der Insel an Energie verschwendet haben. Also rauf aufs Fahrrad, Dagny – und strampeln. Jeder Bewohner muss jeden Tag ran, denn die Sonnenkollektoren auf dem Dach reichen nicht aus. Und ihr Bruder muss die Kartoffelsäcke und einiges mehr in die Vorratsräume bringen – der Wintervorrat für die Bewohner, den das Schiff entladen hatte. Mama wird für einen Job im Kuhstall eingeteilt: Ausmisten, füttern, melken. In der Tiefgarage gibt es Kühe, Schweine und diverses Geflügel. Na, das kann ja gut werden. Handyempfang gibt es nur an einer Stelle auf der Spitze der Insel. Die Kinder, denen sie begegnet, sind angezogen, als hätten sie sich aus den Requisiten für einen Film vor dem Krieg eingekleidet. Wo ist sie nur gelandet?, fragt sich Dagny.


Durchorganisierte Hausgemeinschaft

Sie leben hier zusammen wie in einer Großkommune. Jeder hat seine Aufgaben: Organisation, Küche, Käserei, Metzger, Putzen, Polizei, Feuerwehr, Zahnarzt, Schule (alle Kinder in einer Klasse) usw. Es gibt sogar ein Gefängnis. So beginnt die Geschichte: Papa sitzt im Knast. Das Leben orientiert sich daran, die Gemeinschaft strukturiert durchzutakten, damit sie für alle funktioniert. Jede Verschwendung von Energie und Wasser muss bedacht werden. Wozu ein Saugroboter oder eine Küchenmaschine? Natürlich gibt es auch kein TV. Die Beschäftigung in den freien Zeiten: Man beschäftigt sich miteinander, wie in der Theatergruppe. Dagney findet eine alte Tischtennisplatte und staubt sie ab, sucht sich Mitspieler. Langsam finden sich die Familienmitglieder in die Gemeinschaft ein, kommen gut klar, und die eisige Oma taut langsam auf. Aber irgendwer versucht die Hausgemeinschaft zu sabotieren, und sofort geraten die Neuen in Verdacht. Dagny versucht herauszubekommen, wer der Übeltäter ist. Oma ist nicht nur die Hausmeisterin, die alles im Griff hat – ihr Regime ist streng, da sich alle an die Regeln halten müssen, ihren Job machen. Wehe, einer reißt aus – dann kann die Kette reißen!


Insgesamt ein unausgegorenes System

So richtig warm bin ich mit dem Kinderroman nicht geworden. Schrullige Typen, Humor, die Message, sich zu überlegen, was wirklich wichtig im Leben ist, seinen Energiebedarf zu reduzieren und auch die Situation, dass die Kinder bei der Schlachtung und Verwertung der Tiere mit anwesend sein müssen, um zu wissen, was sie auf dem Teller liegen haben.  Es wird ein Ferkel geschlachtet, das es zum Abendessen geben soll. Für 197 Leute ein Ferkel? 197 Einwohner, sie essen viel Fleisch. So viele Tiere können gar nicht in der Garage wohnen, als dass diese zur Nahrung ausreichend sind. Sie haben Korn und Gemüse, das sie anbauen – eine ziemlich kleine, steinige Insel … auch das passt nicht in Relation. So weit, so gut. Ziemlich schnell fragte ich mich: Wie finanzieren sich die Leute? Es gibt einen Laden, in dem man einiges kaufen kann wie Schokolade und Kekse, und die Leute schreiben Listen zur Bestellung vom Festland. Wovon kauft man sich ein Bett (Oma), Bekleidung, persönliche Dinge, Nahrungsmittel für die Gemeinschaft, die man nicht selbst anbaut, wie Salz, Zucker, Gewürze usw. Woher hat der Arzt seine Medikament, Geräte usw.? Die Insel produziert nichts, was sie verkauft. Aber sie kaufen Diverses, natürlich bescheiden, vom Festland. Und genau da geht für mich das Buch nicht auf! Selbstversorgung ja, aber auch Selbstversorger können nicht alles leisten und sie benötigen Tauschwaren oder etwas, das sie verkaufen können. Wir lernen in diesem Kinderroman ca. 20 Personen aus der Gruppe kennen. Was machen die restliche 179, habe ich mich gefragt. Ein wirkliches System konnte ich nicht entdecken. Genau hier wäre der Ansatzpunkt gewesen, eine Produktion zu finden, von der sich diese Kommune finanziert. Das hat der Autor verpasst. Ein interessanter Ansatz, sicher, aber mir zu unausgegoren, um Kindern einen Wirtschaftskreislauf zu erklären. Die Posten werden von der Hausmeisterin vergeben, die anscheinend alles bestimmt; da stellt sich die Frage zur demokratischen Gemeinschaft. Eine weitere Frage zum Kollektiv, die nicht geklärt wurd. Es gibt Gemeinschaftsversammlungen, aber wie genau diese funktioniert, wird auch nicht geklärt. Gelungen ist, darüber nachzudenken, ob wir nicht mit weniger auskommen können, und anstatt Energie zu verschwenden, ob die angeblich wichtigen Dinge, so wichtig sind. Umweltschutz, Energieverschwendung, ein interessantes Thema, aber letztendlich konnte mich das Buch als Gesamtpaket nicht überzeugen. Der Arena Verlag gibt eine Altersempfehlung ab 10 Jahren – passt.


Arndís Thórarinsdóttir und Hulda Sígrún Bjarnadóttir leben mit ihren Familien in Reykjavík. Hulda hat bisher fünf und Arndís hat acht Romane für Kinder veröffentlicht. „12 Stockwerke“ ist ihr erstes gemeinsames Buch. Ausgezeichnet mit dem Icelandic Literary Award 2020.



Arndís Thórarinsdóttir und Hulda Sigrún Bjarnadóttir
12 Stockwerke
Mein unglaubliches Zuhause am Ende der Welt
Übersetzt aus dem Isländischen von Gisa Marehn
Illustration: Felicitas Horst Schäfer
Kinderroman. Kinderbuch, Abenteuer, Umwelt, Natur, Digitalisierung, Isländische Literatur
Hardcover, 336 Seiten
Arena Verlag, 2023
Altersempfehlung: ab 10 Jahren






Kinder- und Jugendliteratur

Kinder- und Jugendliteratur hat mich immer interessiert. Selbst seit der Kindheit eine Leseratte, hat mich auch die Literatur für Kinder nie verlassen. Interesse privat, später als Pädagogin, als Leserin, als Mutter oder Oma. Kinder- und Jugendbücher kann man immer lesen! Hier geht es zu den Rezensionen.
Kinder- und Jugendliteratur


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - Chronisch gesund statt chronisch krank von Dr. med. Bernhard Dickreiter

Von der Schulmedizin bis heute ignoriert: Die wahren Ursachen der chronischen Zivilisationskrankheiten – und was man dagegen tun kann Noch nie hat es so viele chronisch Kranke gegeben wie heute: Arthrose, Diabetes, Alzheimer, Rückenleiden, Krebs, Burnout usw. Der Internist, Reha-Experte und Ganzheitsmediziner Dr. med. Bernhard Dickreiter ist überzeugt, dass diese Patienten selbst aktiv etwas dagegen unternehmen können. Sein Standpunkt: Wir müssen alles dafür tun, damit es den Zellen in unserem Organismus gut geht. Jede Zelle ist von einer organtypischen Umgebung eingeschlossen, in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). Dort zieht die Zelle ihre Nährstoffe, den Sauerstoff, und hier entsorgt sie ihre Abfallstoffe. Ist die Zellumgebung nicht gesund, werden wir krank. Die Schulmedizin bekämpft meist nur Symptome: Schmerzen – Schmerztablette. Die Ursachen werden oft nicht hinterfragt, bzw. operabel versucht zu beheben: neues Knie, neue Hüfte usw. Dickreiter geht ganzheitlich vor. ...

Rezension - #Erstkontakt von Bruno Duhamel

  Doug, ein ehemaliger Fotograf lebt von der Öffentlichkeit zurückgezogen in den schottischen Highlands. Niemand liked seine Fotos, er ist frustriert, darum hat er seit 17 Monaten nichts veröffentlicht. Doch dann fotografiert er durch Zufall am See vor seiner Haustür ein seltsames Wesen – und teilt den Schnappschuss im sozialen Netzwerk «Twister». Danach geht er duschen, kommt zurück, kann es nicht fassen: «150.237 Personen haben auf ihren Post reagiert; 348.069 mal geteilt». Sofort bereut er seinen Post. Er ahnt, was nun geschehen wird, er hat Büchse die Pandora geöffnet … Ein herrlicher Comic, Graphic Novel, fast ein Cartoon, nimmt mit schwarzem Humor Social Media und Aktivist:innen diverser Gruppen auf die Schippe. Weiter zur Rezension:    #Erstkontakt von Bruno Duhamel

Rezension - Das Kamel Leon von Mathias Jeschke und Mathias Weber

  Leon ist mit sich selbst so gar nicht zufrieden, erklärt es seinem Freund, dem Chamäleon Felix. Gern wäre er mal der Erste, der Schnellste, na eben der Beste. Er mault, er sei immer nur mittelgroß, mittelschnell, mittelschlau. Die Löwen sind die Wildesten, die Mutigsten, die Delfine die Schlausten, die Elefanten die Größten und Stärksten. Ziemlich viele sind in irgendwas besser, so meint Leon. Felix geht die Nörgelei auf die Nerven. Und dann holt er Luft und erklärt Leon, dass es etwas gib, worin Leon der mit Abstand der Beste ist … Klasse Bilderbuch ab 3 Jahren zur Bildung von Selbstvertrauen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Das Kamel Leon von Mathias Jeschke und Mathias Weber

Rezension - Nur noch kurz ein kleiner Furz! von Jonny Leighton und Mike Byrne

Kinder lieben Pupsbücher! Wie ist das eigentlich mit den Tieren? Wie pupsen die? Auf einer urkomischen Reise durch das Reich der Flatulenz beobachten Elefant und Maus die unterschiedlichsten Fürze. Und so lernt die Maus, dass Pupsen die normalste Sache der Welt ist! Witzig gestaltet, den Text in Reimform gebracht, macht dieses Bilderbuch Spaß! Lustiges Bilderbuch ab 3 Jahren, Empfehlung! Weiter zur Rezension:   Nur noch kurz ein kleiner Furz! von Jonny Leighton und Mike Byrne

Rezension - Die Entführung von John Grisham

  Mitch McDeere wiederbelebt, den wir aus «Die Firma» kennen – ein Folgeroman. Eher nicht, denn ihn und seine Familie erkennen wir nicht wieder, sie wären austauschbar durch irgendwen. Mitch ist nun Partner in der größten Anwaltskanzlei, Scully & Pershing, in Manhattan, die weltweit ihre Ableger führt. Fünfzehn Jahre ist es her, dass er gemeinsam mit dem FBI die verbrecherische Kanzlei, «die Firma», in der er arbeitete, hat hochgehen lassen. Doch nun holt ihn wieder ein Verbrechen ein: Als ihn sein sterbenskranker Mentor Luca in Rom bittet, einen Fall gegen Arafats Libyen zu übernehmen, gerät er in Tripolis in eine Falle. Der schlechteste Grisham ever. Leider. Langweiliger Spannungsbogen, in diesen Justizthriller oberflächliche Charaktere. Weiter zur Rezension:    Die Entführung von John Grisham

Rezension - Der Dinosaurier von nebenan von David Litchfield

  Herr Wilson von nebenan hat ein Geheimnis! Er arbeitet in einer Bäckerei und backt die leckersten Kuchen. Da ist sich Liz sicher. Er hat grüne Haut, nur drei Finger, einen verdächtig langen Hals, klumpige Füße und eine seltsame Vorliebe für grüne Blätter. Ist er vielleicht ein Dinosaurier?! Niemand glaubt Liz. Darum fährt sie zum Museum für Paläontologie, denn die müssen es wissen! Mary sagt zwar, die seien ausgestorben, welch ein Quatsch! Doch was hat sie vor? Feines Bilderbuch zum Thema Toleranz ab 4 Jahren. Weiter zur Rezension:     Der Dinosaurier von nebenan von David Litchfield

Rezension - Synthese von Karoline Georges

  Als ein 16-jähriges Model auf dem Weg nach Kanada ist, passiert zeitgleich in Tschernobyl ein Unglück in einem Atomkraftwerk. Das interessiert sie genauso wenig wie Mode. Eigentlich interessieren sie nur Fiktionen in ihren Büchern und Virtuelles. Sie liebt Bilder, Bilder im Kopf, würde selbst gern ein Bild sein. So wird sie Model, auch weil man so viel Geld verdienen kann, ohne studieren zu müssen. Sie macht in Paris Karriere und wird sehr jung finanziell unabhängig, bezeichnet sich selbst als «ein humanoider Kleiderbügel». Weiter zur Rezension:    Synthese von Karoline Georges

Abbruch - Alles Gute von Eva Rossmann

  Alles Gute von Eva Rossmann Abbruch! Wir beide kamen nicht zusammen. Der Anfang konnte mich nicht begeistern, ich fühlte mich eher wie in einem Kochbuch, nicht wie in einem Krimi. Peter Gruber hat Eine App gegen die Spaltung der Gesellschaft geschrieben, «LISA wünscht ALLES GUTE», die Millionen User hat und damit ist er reich geworden, aber er hat den größten Teil in eine Stiftung gesteckt und etwas für seine Nichte bereitgelegt. Weil er sich bedroht fühlt, verabredet er sich mit der Journalistin Mira Valensky. Gruber erscheint nicht, ist plötzlich spurlos verschwunden. Freiwillig untergetaucht – wenn ja warum? Oder was immer auch passiert ist … Ich habe versucht, zu verstehen, was das für eine App ist. Man kann damit Menschen per Strichmännchen «Alles Gute» wünschen? Und damit soll Gruber Millionen verdienen, weil die User dafür bezahlen? Peter Gruber, ein ehemaliger Lehrer, der vor heutigen politischen Tendenzen warnt, die an die 1930er Jahre erinnern, plädiert für mehr Freundl...

Rezension - Entführung im Drachenwald von Barbara van den Speulhof und Kurzi Shortriver

Theos bester Freund ist der Drache Kokolo, aber das darf keiner wissen. Denn Drachen gibt es ja gar nicht. Mitten in der Nacht klopft Kokolo an Theos Fensterscheibe: Sie müssen schnell etwas unternehmen denn der fiese Adler Malo hat eins der Babys von Tante Xenna Drachen entführt!  Werden sie noch rechtzeitig kommen? Lesenlernen mit einem Comic, kurze Texte, für Leseanfänger konzipiert. Eine spannende Graphic Novel ab 6 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Entführung im Drachenwald von Barbara van den Speulhof und Kurzi Shortriver