Direkt zum Hauptbereich

Entdeckungsreise von Anthony Rice - Rezension

Rezension

von Sabine Ibing



Entdeckungsreise 

Magische Bilder exotischer Welten


von Anthony Rice


Insofern erzählt das vorliegende Buch nicht nur drei Jahrhunderte abenteuerlicher Expeditionsgeschichte zu und mit den unterschiedlichsten Zielen, es berichtet auch vom allmählichen Entstehen eines Weltbildes im vorfotografischen Zeitalter – und im letzten Kapitel vom beginnenden Siegeszug der Kamera.

Abenteuerliches Reisen, wie sie hier beschrieben werden, sind heute nur noch in Büchern zu finden. Unentdeckte Welten, Tiere, Pflanzen. Die Forscher von damals waren oft eine Mischung aus Abenteurer, Biologen, Zeichner und Reiseschriftsteller in einer Person. Sie schlugen sich mit Buschmessern durch das Dickicht, paddelten auf kleinen Booten unbekannte Flüsse hinauf, wurden von Mücken zerstochen, von anderen kleinen Tieren gebissen, von großen aufgefressen, von Eingeborenen angegriffen, kämpften mit Malaria, Sumpffieber, Würmern usw. und manch einer überlebte seine Reise nicht. Sie waren Entdecker, Aufklärer, Erfinder, Wissenschaftler – Abenteurer – wagemutige Menschen. Alexander von Humboldt, Alfred Russel Wallace, Maria Sibylla Merian, um nur einige zu nennen, waren leidenschaftliche Forscher. Von eben diesen Reisen berichtet der Band mit Text und vielen Bildern.



»Anchovisbirnenbaum, heute grias cauliflora, über den Sloan schrieb: ›Die Früchte werden von den Spaniern eingesalzen und statt Mangos gegessen und als große Rarität von Spanisch-Westindien ins alte Spanien geschickt.«

Das Buch beginnt mit einer Zeichnung des Anchovisbirnenbaum und dazu gesellt sich die »Reise nach Jamaika, 1687-1689 – Sir Hans Sloane«. In diesem Kapitel geht es auch um die erste Milchschokolade, um ein Jamaika, das so gar nicht mit dem Heutigen nicht zu vergleichen ist, um gezeichnete und gepresste Pflanzen.
In den einzelnen Kapiteln wird über die Forscher und ihre Reisen berichtet, das Ganze ausstaffiert mit beeindruckenden Zeichnungen. Interessant ist das Kapitel über Sibylla Merian, »Schmetterlinge in Surinam«, die es nicht leicht hatte zu Lebzeiten. Wegen ihrer Zeichnungen wurde sie als Hexe beschimpft. Wer zeichnet als Frau von Stand auch Kröten und Totenkopfäffchen – soll sie doch lieber sticken. Interessant auch »Die Fahrt der ›Investigator‹«, 1801-1805 – Matthew Flinders & Ferdinand Bauer: Nach der Unabhängigkeit der USA von Großbritannien quollen die Gefängnisse im Königreich wieder über, da man Gefangene nicht mehr nach Amerika abschieben konnte. Neuholland bot sich an, das sich heute Australien nennt. Man ging damals noch davon aus, dass die Insel geteilt sei. So schickte man eine gut ausgestattete Expedition auf die Reise, das Land zu vermessen, einen Mineralogen, je einen Maler für Landschaft und naturwissenschaftliche Objekte, einen Botaniker (Ferdinand Bauer) usw. Zu Flinders gibt es einige interessante Geschichten. Bei seiner Umseglung von Nord Australien segelte er die »Cumberand«, stark beschädigt, nach Mauritius, um sie reparieren zu lassen. Leider hatte er nicht mitbekommen, dass England mit Frankreich im Krieg lag. Das hatte zur Folge, dass der französische Gouverneur ihn festnehmen ließ und wegen Spionageverdacht sechseinhalb Jahre einkerkerte.



Das Buch endet mit »Entdeckungen in der Tiefsee, 1872-1776 – Die Fahrt der ›Challenge‹«. Bis dato hatte man geglaubt, in der Tiefsee könne kein Leben existieren. 10 Entdeckungsreisen, Expeditionen zwischen 1687 und 1876, spannend geschildert, interessante Lebensgeschichten zu den Forschern und ziemlich viel Bildmaterial machen die Buch zum Erlebnis für Naturinteressierte, Freunde von Naturzeichnungen, historisch Interessierte und natürlich Reiselustige. Wie war es damals? – Heute: technisch gut ausgestattet, die Welt vermessen, geimpft usw. – Damals: Reisen war nur Privilegierten vorbehalten und als Forscher die Welt zu entdecken, was zunächst abenteuerlich klingt, sicher auch war – doch ebenfalls lebensgefährlich, konnte die Reise mit dem Tod enden. Diese Forscher brachten den Zauber exotischer Pflanzen und seltener Lebewesen nach Europa. Eine bunte Welt, eine Vielfalt von Arten, Farben, damals Unvorstellbares – alles mit Feder, Bleistift, Kohle und Aquarell festgehalten. Heute sind die Kunstwerke beheimatet in den Archiven des Museum of Natural History in London. Aber das Buch ist mehr. Die Entdeckung der Welt, Gesellschaftsformen aus früheren Zeiten, Kolonialstil, der damalige Stand der Wissenschaft, der Kampf der europäischen Mächte um die Kolonien. Rundum interessantes Buch.

Dieser großformatige Bildband ist eine Pracht. Auf das Tischchen im Wohnzimmer drapiert, wird
Besuch sicher gern drin blättern und irgendwann tief im Text versinken. Ein schönes Geschenk für andere und für sich selbst.







Romane zum Thema:

Wallace von Anselm Oelze
Ein Roman zur Rehabilitierung des Forschers Alfred Russel Wallace, der Seite an Seite mit Charles Darwin stehen sollte – nach Meinung des Museumswärters Albrecht Bromberg, der zufällig auf den fast vergessenen Naturforscher Alfred Russel Wallace stößt und sich für dessen Geschichte zu interessieren beginnt. In einem Strang des Romans begegnen wir dem bärtigen Mann (Wallace) auf seinen Forschungsreisen, seiner Theorie des Artenwandels, und im zweiten Strang versucht Bromberg, ihn aus der Vergessenheit zu katapultieren, ihn neben Darwin als Mitbegründer der Evolutionstheorie zu nennen. Und wie war das noch mal mit dieser Theorie? Der Stärkere setzt sich durch …

Weiter zur Rezension:   Wallace von Anselm Oelze

Terror von Dan Simmons
»England im Jahr 1845: Unter dem Kommando von Sir John Franklin brechen die modernsten Schiffe ihrer Zeit – die »Terror« und die »Erebus« – auf, um die legendäre Nord-West-Passage zu finden: den Weg durch das ewige Eis der Arktis in den Pazifik. 130 Männer nehmen an der Expedition teil. Keiner von ihnen wird je zurückkehren. Dies ist ihre Geschichte.«

Weiter zur Rezension:   Terror von Dan Simmons


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rezension - Zappenduster von Hubertus Becker

Wahres aus der Unterwelt Kurzgeschichten aus der Unterwelt: »Alle Autoren haben mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht.« 13 Geschichten von 6 verschiedenen Autor*innen. Diverse Schreibstile, vermischte Themen, aber das Zentralthema ist Kriminalität. Knastgeschichten, Strafvollzug, die Erzählungen haben mir unterschiedlich gut gefallen – zwei davon haben mich beeindruckt, die von Sabine Theißen und Ingo Flam. Weiter zur Rezension:  Zappenduster von Hubertus Becker 

Rezension - Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

  Eine fantasievolle poetische Gutenachtgeschichte, eine Bilderbuch-Reise über das, was in der Nacht geschieht. Eine Tochter fragt den Papa: «Was ich dich schon immer mal fragen wollte ..... Was passiert eigentlich, wenn ich schlafe?» Und der Papa beginnt zu erzählen. Es beginnt um neun Uhr. Stunde um Stunde verändert sich die Nacht und zeigt uns ihr wahres, ihr traumgleiches Antlitz: Statuen spielen verstecken, Telefone rufen sich gegenseitig an, der Wal im Schwimmbad traut sich an die Wasseroberfläche, die Laternen trinken aus Pfützen… Ist das möglich, was Papa erzählt? Oder will er uns einen Bären aufbinden? Eine wunderschöne Gutenachtgeschichte ab 4 Jahren, die zu herrlichen Träumen einlädt. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Was macht die Nacht? von Dirk Gieselmann und Stella Dreis

Rezension - Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli

  Eine witzige Geschichte über ein starkes Mädchen, das Verantwortung für ihre Umwelt übernimmt. Eines Tages kommt Juli aus dem Haus und der Baum ist weg. Wo mag er geblieben sein? Doch als Juli nach Hause kommt, liegt er in ihrem Bett: «Kein Bock mehr!» Den Baum hat es erwischt: Burnout. Kein Wunder, dass er so viel arbeiten muss, denn er ist der einzige Baum weit und breit. Aber wo soll die Amsel denn nun ihr Nest bauen? Und wo soll die Fledermaus schlafen? Kein Problem, meint Juli, der Baum brauchte sicher nur mal eine Pause. Und so lange kann sie ja für die Tiere da sein … Humorvolles Bilderbuch mit Tiefgang ab 3 Jahren. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Kein Bock mehr von Anna Lott und Andrea Ringli 

Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada

Am 08.11.2019 war ich zu einer Mischung aus Lesung und Definition des Begriffs Kriminalliteratur in St. Gallen in der Wyborada zu Gast, im Literaturhaus & Bibliothek in St. Gallen in der Frauenbibliothek und Fonothek Wyborada. Else Laudan sprach zum Thema Kriminalliteratur, erzählte ihren Weg mit ihrem freien Verlag Ariadne, ein Verlag, der ausschließlich literarische Kriminalliteratur von Frauen veröffentlicht. Weiter zum Artikel:    Was ist eigentlich Kriminalliteratur? - Ein Abend mit Else Laudan in der Wyborada 

Rezension - In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

  Kemi, Brittany-Rae und Muna: drei Frauen leben in Schweden – drei völlig unterschiedliche Lebenswelten; eins haben sie gemeinsam: Sie sind schwarz und nicht in Schweden geboren. Ihre Ausgangssituationen können kaum unterschiedlicher sein. Trotzdem beginnen sich ihre Leben auf unerwartete Weise zu überschneiden – in Stockholm, einer als liberal geltenden Stadt. «In allen Spiegeln ist sie Schwarz» erzählt die schwierigen Themen Migration, Rassismus, Sexismus und Identität mit Leichtigkeit; obwohl nichts komplexer ist als dieser Themenbereich. Spannender zeitgenössischer Roman. Empfehlung!  Weiter zur Rezension:   In allen Spiegeln ist sie Schwarz von Lolá Ákínmádé Åkerström

Rezension - Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

  Aram Mattioli erzählt zum ersten Mal den langanhaltenden Widerstand der First Peoples in den USA - vom First Universal Races Congress (1911) über die Red Power-Ära und die Besetzung von Wounded Knee (1973) bis hin zu den Protesten gegen die Kolumbus-Feierlichkeiten (1992). Die American Indians waren dabei nie nur passive Opfer, sondern stellten sich dem übermächtigen Staat sowohl friedlich als auch militant entgegen.  Schwer verdaulich, wie die Native Americans noch im 20. Jahrhundert entrechtet und diskriminiert wurden. Empfehlung! Weiter zur Rezension:    Zeiten der Auflehnung von Aram Mattioli

Rezension - Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Dieses witzig-gruslige Jugendbuch, bzw., schlicht Comic, nimmt eine über 100 Jahre alten Geschichte von John Kendrick Bangs auf. Die Comic-Zeichnerin Barbara Yelini interpretiert die Story neu mit wundervollen Wasserbildern. Ein wundervoller Comic für Jugendliche, die nicht sehr lesebegeistert sind. Zur Rezension:    Das Wassergespenst von John Kentrick Banges und Barbara Yelin

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues?

Kreativ - Kunst - Zeichnen - Lesen - Künstler - Was gibt es Neues? Große Kunst wird gekauft und verkauft, sie kommt unter den Hammer und wird vorn und hinten versichert. Kleine Kunst ist kein Produkt. Sie ist eine Haltung. Eine Lebensform. Große Kunst wird von ausgebildeten Künstlern und Experten geschaffen. Kleine Kunst wird von Buchhaltern geschaffen, von Landwirten, Vollzeitmüttern am Cafétisch, auf dem Parkplatz in der Waschküche.  (Danny Gregory) Das Farbenbuch von Stefan Muntwyler, Juraj Lipscher und Hanspeter Schneider Als ich dieses Kraftpaket von Buch in den Händen hielt, war ich zunächst einmal platt. Wer dieses Sachbuch hat, benötigt keine Hanteln mehr! Aber Spaß beiseite, wer dieses Buch gelesen hat, hat auch keine Fragen mehr zum Thema Farben. Farben werden aus Pigmenten hergestellt, soweit bekannt. Die beiden Herausgeber sind der Kunstmaler Stefan Muntwyler und der Chemiker Juraj Lipscher, beide lebenslange Farbspezialisten, und dies ist ein Kompendium der P

Rezension - In der Ferne von Hernan Diaz

  Anfang der 1850er Jahre, Håkan Söderström lebt zu einer Zeit in Schweden, in der die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Auszuwandern ins gelobte Land Amerika scheint eine Chance. So schickt der Vater die ältesten Jungen los. Zusammen mit seinem großen Bruder Linus steigt Håkan auf das Schiff nach England. Von dort soll es nach Nujårk, New York, weitergehen, doch im Hafen von Portsmouth verlieren sich die Brüder. Håkan fragt sich durch: Amerika! Doch der Bruder erscheint nicht auf dem Schiff – denn Håkan sitzt auf dem nach Buenos Aires. Das kapiert er zu spät, steigt in San Francisco aus. New York ist sein Ziel. Fest entschlossen, den Bruder zu finden, macht er sich zu Fuß auf den Weg, entgegen dem Strom der Glückssucher und Banditen, die nach Westen drängen. Sprachlich ausgefeilt, eine spannender, berührender Anti-Western, ein Drama mit einem feinen Ende. Die Epoche der Besiedlung Amerikas, Kaliforniens, wird hautnah eingefangen. Empfehlung! Weiter zur Rezension:  In der Ferne v

Rezension - Spanischer Totentanz von Catalina Ferrera

Der erste Barcelona-Krimi, »Spanische Delikatessen«, von Calina Ferrera hatte mir als Hörbuch gefallen: leichte Story mit Lokalkolorit, feiner Humor, spannende Geschichte. Leider konnte mich der zweite Band nicht überzeugen. Weder Spannung noch ein Gefühl für die Stadt kam auf. Touristische Beschreibungen und Restaurantbesuche lähmen eine durchschaubare Kriminalgeschichte, die die Mossos d’Esquadra auf den Cementiri de Montjuïc und die Zona Alta führt. Weiter zur Rezension:    Spanischer Totentanz von Calina Ferrera