Rezension
von Sabine Ibing
Versammlung der Toten
von Tomás Bárbulo
Der Anfang: He! Wo willst du hin?‹
Der Pförtner sah Guapo misstrauisch an. So eine Gestalt bekam er nicht alle Tage zu Gesicht in diesem vornehmen Palais in der Madrider Milla de Oro. Auf seinem rechten Arm, von der Schulter abwärts bis zum Handgelenk hatte der junge Mann sich das Wort CHAMPION tätowieren lassen.
Ein Pageturner, eingebunden in eine klassische Gaunerkomödie und ein Roadmovie, Noir-Roman - hochspannend würde ich diesen spanischen Thriller beschreiben - nicht hochliterarisch in der Sprache, aber passend zu den Protagonisten. Hier haben wir es mit einer tumben Gruppe von Kleinstadtkriminellen aus Madrid zu tun: El Guapo, El Chiquitín, El Chato, El Yunque. Ihnen wird durch einen Juwelier ein Coup vorgeschlagen: Ein einfach scheinender Einbruch in eine marokkanische Bank in Marrakesch, in der für eine Nacht eine riesige Menge Schmuck deponiert werden wird. Die Bank ist schlecht gesichert und ein Einbruch durch die Kläranlagen ist kein Problem, so erklärt der Auftraggeber. Wand einschlagen und schon steht man im Tresorraum, Tresore aufschweißen, fertig. Der Anteil für die Truppe: »Zwei Millionen, plus Spesen«. Mit dabei ist ein Spanier, den sie Saharaui nennen, mit marokkanischen Wurzeln, der Schweißer, der sich Land auskennt. Im Kleinbus haben sie nicht nur ihr Schweißgerät usw. dabei, sondern auch ihre Chonis, ihre Tussis, sie täuschen einen mehrtägigen Bildungstrip vor, auf touristischen Pfaden stehen Sehenswürdigkeiten, ein paar Souks und die Medina von Marrakesch auf dem Programm.
Die Bank hat nichts von dem, was Sie erwähnt haben.‹
›Dann muss es eine Parkbank sein.‹ Guapo lachte, setzte sich aber hin und schlug die Beine übereinander.
›Die Bank ist nicht in Spanien.‹
›Wo dann? Afghanistan?‹
›Marokko.‹
Guapo schnaubte.
›Das ist das Gleiche, nur näher.‹
›Waren Sie schon einmal in Marokko?‹
›Ich sehe hier schon jeden Tag genug Araber.
Es gibt keinen Hauptprotagonisten, eine Plotkonstruktion, die parallele narrative Fäden erzeugt, die sich im gesamten Text abwechseln, Cliffhanger erzeugen. Die Sicht des Erzählers zeigt nur Handlungen und Dialoge in schneller Abfolge, was recht abwechslungsreich ist. Er geht mit Kamera auf der Schulter für die Leser von Protagonist zu Protagonist, wobei der Leser mit seinem Wissen den Protagonisten gegenüber im Vorteil ist. Ein wenig Ernst steckt natürlich auch hinter der Story: Man nennt diese Menschen gleich Saharaui oder Mauren, Afrikaner, identifiziert sie am Aussehen, weist ihnen sofort muslimische Religion und islamische Sprache zu, Bildungsferne, ohne zu fragen. Man zeigt ihnen, dass sie nicht dazugehören. Aber auch im fremden Land benimmt sich diese spanische Gaunergruppe exemplarisch im Erobererstil. Selbst am unteren Ende der spanischen Gesellschaft, bildungsfern, von der Krise gebeutelt, verschuldet, blicken sie in Marokko auf die Bevölkerung herab. Tomás Bárbulo beobachtet sehr fein hier die Gesellschaftsstruktur. Jährlich reisen illegal Marokkaner nach Spanien ein, um dort als Erntehelfer zu arbeiten oder zu bleiben. Sie enden meist als Arbeitssklaven. Und genau in dieses Land fahren die dümmsten Gangster von Spanien, um eine Bank auszurauben, der Witz schlechthin. Sie tarnen sich als Touristen – Touristen bringen Marokko viel Geld, viele Spanier kommen ins Land. Vielschichtiger Humor ist dem Roman unterlegt, der auf den ersten Blick als einfache Story daherkommt. Und noch einen drauf: Unterwegs trifft Madrid auf Barcelona …
Für »Die Versammlung der Toten« erhielt Tomás Bárbulo den Silverio Cañadas Preis für den besten Debüt-Kriminalroman. Chonis und Canis unterwegs, Tussis und hohlbirnige Gangster, schon bei den Spitznamen der Protagonisten bricht der Leser in schallendes Gelächter aus: Guapo mit Guapa (die Schönen), Chiquitín mit Chiquíta (dieser Kleine ist ein fetter Riese), Chato mit Chata (die Hohlbirnen), Yunque (Amboss). Die Bank in Marrakesch befindet sich am »Djemaa el Fna« (Versammlung der Toten), ein Platz, auf dem die Sultane früher Hingerichtete ausstellen ließen. Und wer in diesem Roman über den Tisch gezogen werden soll, ist dem Leser von Anfang an klar. Die Frage ist nur wie? Ich verrate noch so viel: Man muss bis zum Ende kommen, um zu kapieren, worum es wirklich geht.
Tomás Bárbulo, geboren 1958 in La Coruña, schreibt als Sahara-Experte seit Jahrzehnten für die spanische Tageszeitung El País. Er lebte in Marokko, bereiste intensiv Tunesien, Algerien und die Westsahara.
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